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Wahlsystem

Organisation, Funktion und Wirkungsweise

Forschungsgruppe Deutschland - Juli 2002


Am 22.September sind Bundestagswahlen. Rund 61,2 Million Deutsche wählen dann das neue Parlament, aus dessen Mitte der Bundeskanzler hervorgehen wird. Gleichzeitig verkleinert sich das Parlament mit der neuen Legislaturperiode von jetzt 656 auf dann 598 Abgeordnete. Als einzig direkt legitimiertes Bundesorgan ist der Bundestag besonders dazu geeignet, den engen Zusammenhang zwischen Wahlen und Demokratie aufzuzeigen.


Bedeutung und Funktion von Wahlen

Ohne Wahlen, ohne den offenen Wettbewerb politischer Gruppen um Macht, gibt es keine Demokratie. Die Wahl ist die demokratische Methode der Herrschaftsbestellung - und zugleich das wesentliche Element demokratischer Partizipation. Jedoch haben Wahlen neben der Bildung einer funktionsfähigen Repräsentation mannigfaltige weitere Funktionen. Die Bedeutung des Wahlaktes ist auf vielen Ebenen zu spüren, seine Auswirkungen reichen weiter als reine Herrschaftsbestellung und -legitimierung: Die Legitimierung des politischen Systems gehört genauso dazu wie die Rekrutierung der politischen Elite. Wahlen kanalisieren politischer Konflikte, integrieren gesellschaftlichen Pluralismus. Durch Wahlen erfolgt die Bildung eines politisch aktionsfähigen Gemeinwillens sowie die Einsetzung einer parlamentarischen Regierung genauso wie einer kontrollfähigen Opposition.

Allein diese Aufzählung zeigt eindrucksvoll die Bedeutung von Wahlen. Aber: Welche Bedeutung kann dem personalisierten Verhältniswahlsystem in Deutschland beigemessen werden, wie es funktioniert es und welche Einflüsse hat das Wahlsystem auf das Wahlverhalten der Bürger, welche auf das Parteiensystem?

Der Grundsatz der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen, geheimen Wahl

Um der Forderung nach demokratischen Wahlen gerecht zu werden, müssen eine ganze Reihe von Anforderungen erfüllt werden. Diese sind, abschließend, im Grundgesetz im Artikel 38 Absatz 1 aufgezählt: Politische Wahlen müssen in Deutschland grundsätzlich allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein.

  • Allgemeine Wahl bedeutet, dass alle wahlberechtigten deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger bei der Bundestagswahl unabhängig von Rasse, Sprache, Geschlecht, Besitz, Religion oder politischen Überzeugungen wählen und gewählt werden können.

  • Unmittelbare Wahl heißt, dass alle Abgeordneten direkt gewählt werden - nicht über ein Wahlgremium, nicht über Wahlmänner und -frauen.

  • Freie Wahl bedeutet, dass es für die Wählerinnen und Wähler Wahlmöglichkeiten geben muss, dass sie zwischen unterschiedlichen Personen und Programmen - ohne Druck und Zwang - frei entscheiden können.

  • Gleiche Wahl bedeutet, dass jede Stimme bei der Wahl gleich viel zählt.

  • Geheime Wahl gewährleistet, dass die jeweiligen Entscheidungen der einzelnen Wahlberechtigten nicht nachprüfbar sind.

Grundtypen von Wahlsystemen

Generell werden durch Wahlen die Stimmen der Wählerinnen und Wähler in Parlamentsmandate umgerechnet - und somit letztendlich politische Mehrheiten geformt. Hierfür gibt es verschiedene Methoden, mit je eigenen Vor- und Nachteilen. Alle Wahlsysteme stehen hierbei im Spannungsbogen zwischen den Polen "Proportionalität" auf der einen und "Effektivität" auf der anderen Seite: Einerseits soll das Wahlergebnis den politischen Willen der gesamten Wählerschaft im Parlament möglichst korrekt abbilden; es wird hier auf eine möglichst genau proportionale Repräsentation Wert gelegt. Andererseits soll die Wahl zugleich eine mehrheitsfähige Regierung bilden; hier steht die mehrheitsbildende Effektivität der Wahl im Vordergrund.

a) Das Mehrheitswahlsystem

Die Mehrheitswahl gehorcht eher dem Funktionalitäts-, denn dem Proportionalitätsgebot. Nach dem Prinzip "The Winner takes it all" wird die Region, in der gewählt wird, zuerst in so viele Wahlkreise eingeteilt, wie Mandate im Parlament zu vergeben sind. Die Parteien stellen ihre Kandidaten in den einzelnen Wahlkreisen auf - und allein derjenige Kandidat erhält das Mandat, der je nach Art der Mehrheitswahl entweder die absolute oder die relative Mehrheit der Stimmen in einem Wahlkreis auf sich vereinigen kann. Alle übrigen Stimmen gehen verloren. Nicht Willensmessung ist vorrangiges Ziel der Wahl, sondern Willensbildung, es geht weniger um die Wahl des Parlaments, als um die Wahl der Regierung. Das Mehrheitswahlsystem ist darauf ausgerichtet, stabile Mehrheiten im Parlament zu schaffen.

Über die Wirkungen des Mehrheitswahlsystems auf die Parteienlandschaft, das Wahlverhalten, die Mehrheitsbildung im Parlament ist viel geforscht worden. Dass die Mehrheitswahl aber spezifische Auswirkungen auf das politische System eines Landes hat, ist unbestritten, und trotz gewichtiger Ausnahmen ist prinzipiell empirisch auch ablesbar, dass das Mehrheitswahlsystem

  • einen mehrheitsbildenden Effekt hat; also das Parteien, die über eine relative Mehrheit der abgegebenen Stimmen verfügen später im Parlament über eine absolute Mehrheit der Mandate verfügen

  • oft ein Zweiparteiensystem fördert und ein Zersplittern des Parteiensystems verhindert; die Etablierung von neu gegründeten Parteien ist im Mehrheitswahlsystem schwierig.

Hingegen wird in der Literatur oftmals negativ angemahnt, dass das Mehrheitswahlsystem

  • nicht allen Stimmen den gleichen Wert zumisst; de facto haben die Stimmen der unterlegenden Kandidaten in einem Wahlkreis keinen Wert, sie fallen unter den Tisch

  • keine ausgewogene Repräsentation zulässt; vielmehr gibt es eine Disproportionalität von Stimmen und Mandaten, mithin die Möglichkeit des "bias", also der Umkehrung der Relation von Stimmen und Mandaten.

b) Das Verhältniswahlsystem

Das Verhältniswahlsystem, zu dem auch die in Deutschland etablierte personalisierte Verhältniswahl gehört, basiert auf dem Prinzip "one man one vote". Jede Stimme soll den gleichen Wert bei der Auszählung haben. Die Entscheidungsregel ist hier nicht, wie im Mehrheitswahlsystem der Majorz, sondern der Proporz: Nach dem Gerechtigkeitspostulat, welches auf eine möglichst genaue Proportionalität von Stimmenanteilen und Mandatsanzahl abzielt, erhält jede Partei genau so viele Mandate, wie dies dem prozentualen Anteil an gewonnenen Stimmen entspricht. Ziel des Verhältniswahlsystems ist es, die politischen Strömungen in einer Gesellschaft möglichst unverzerrt, repräsentativ im Parlament abzubilden - was mitunter auf Kosten einer effektiven Mehrheitsgenerierung gehen kann.

Das bundesdeutsche "personalisierte Verhältniswahlsystem"

Das Wahlsystem in Deutschland verbindet Elemente des Mehrheits- mit Elementen des Verhältniswahlsystems. Nach dem sogenannten "personalisierten Verhältniswahlsystem" wird die Hälfte der Abgeordneten in einem Wahlkreis direkt gewählt, während die andere Hälfte über die Landeslisten der Parteien in den Bundestag einzieht.

Der Bundestag verkleinert sich mit der Wahl am 22.September von jetzt 656 auf dann 598 Abgeordnete. Die Verkleinerung des Bundestages wurde mit dem Gesetz zur Neueinteilung der Wahlkreis vom 13. Februar 1998 bestimmt, in dem die Zahl der Wahlkreise um 29 verkleinert wurde. So gibt es nach der Reform anstatt 328 nunmehr lediglich 299 Direktmandate zu gewinnen. Der neue Zuschnitt der Wahlkreise war notwendig geworden, da verfassungsmäßig jede Stimme den gleichen Erfolgswert haben muss, was bei einer ungleich großen Wahlkreiseinteilung nicht der Fall sein kann. Bei der Neu-Zuschneidung der Wahlkreise wurde nicht nur darauf geachtet, dass diese nun annähernd die gleiche Einwohnerzahl aufweisen, es wurde auch auf politische Grenzen, Ländergrenzen, Regierungsbezirke Rücksicht genommen.

Jeder Wahlberechtigte hat in Deutschland zwei Stimmen: Mit der ersten Stimme wird jeweils ein Kandidat eines Wahlkreises nach dem relativen Mehrheitswahlsystem in den Bundestag gewählt. Mit der ersten Stimme kann der Bürger so über die personelle Zusammensetzung - zumindest der Hälfte - des Bundestages mitentscheiden. Nach dem Verhältniswahlsystem werden mit der Zweitstimme weitere 299 Abgeordnete über die Landeslisten der Parteien gewählt. Die Zweitstimme entscheidet darüber, wie viele Sitze einer Partei im Bundestag zustehen. Bei Bundestagswahlen gibt es nur starre Listen, d.h. auf die Aufstellung der Listenkandidaten der Parteien kann bei der Wahl kein Einfluss genommen werden. Auch gibt es nicht, wie auf kommunaler Ebene vereinzelt möglich, die Möglichkeit für den Wähler, Stimmen zu kumulieren oder zu panaschieren. In Deutschland erfolgt die Umrechnung der Zahl der Zweitstimmen in die Anzahl der Mandate, die einer Partei zustehen, nach dem "Hare-Niemayer-Verfahren". Danach werden zunächst die Zweitstimmen sämtlicher Landeslisten einer Partei zusammengezählt und anschließend durch die Gesamtzahl der gültigen Zweitstimmen geteilt. So ergibt sich die Anzahl der Mandate, die einer Partei zustehen. Jede Partei muss eine Sperrklausel überwinden, um überhaupt in den Bundestag zu kommen: Sie muss entweder 3 Direktmandate-, oder 5 Prozent der Zweitstimmen gewinnen. Hat sie dies geschafft und ist die Anzahl der Mandate für jede Landesliste wiederum nach "Hare-Niemayer" bestimmt, werden in jedem Bundesland die der Partei zustehenden Mandate zunächst mit den gewonnenen Direktmandate aufgefüllt - bleiben Mandate übrig, ziehen jeweilige Listenkandidaten der Parteien nach; hat eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewonnen als ihr nach dem Zweitstimmenanteil zustehen, kommt es zu sogenannten "Überhangmandaten": Direkt gewählten Abgeordneten kann niemand mehr ihr Mandat abnehmen - sie müssen in den Bundestag einziehen und vergrößern diesen damit automatisch. Überhangmandate können sich extrem auf die Machtverhältnisse im Bundestag auswirken: Im 1998 gewählten Parlament hatte die SPD insgesamt 13 Überhangmandate erhalten - und konnte damit ihren Vorsprung zur Union ausbauen und konsolidieren. 1994 hätte die Regierung Kohl - zieht man alle Überhangmandate ab - lediglich 2 Stimmen Vorsprung gehabt. Auch um die Zahl der Überhangmandate zu reduzieren, ist die neue Wahlkreisaufteilung vorgenommen worden.

Wirkungen von Wahlsystemen

Dass das Wahlsystem das Parteiensystem prägt, und zudem Auswirkungen auf das Wahlverhalten der Bürger hat, ist in der Literatur unbestritten. Kontroversen gibt es lediglich bei der Frage, wie groß der Einfluss des Wahlsystems konkret ist: Ist das Wahlsystem also wichtiger als etwa das Verhältnis von Parlament und Regierung, ist es wirkungsmächtiger als die Struktur der Gesellschaft, prägender als die vorherrschenden politischen Konfliktmuster? Ist das Wahlsystem, wissenschaftlich gesprochen, also letztlich eine unabhängige oder eine abhängige Variable?

Die Literatur spricht von "mechanischen" und "psychologischen" Effekten, die jedes Wahlsystem ausübt und durch die es die Wahlentscheidung des Wählers sowie die parteiliche Zusammensetzung des Parlaments strukturiert: Psychologische Effekte werden bei der Stimmabgabe auf den Wähler ausgeübt, etwa wenn dieser seine Wahlentscheidung nicht rein nach Präferenz-, sondern auch danach ausrichtet, welche Chancen ein Wahlkreiskandidat in einem absoluten Mehrheitswahlsystem hat. Mechanische Effekte entstehen zudem bei der Übertragung von Stimmen in Mandate. Deutlich wird dies durch die Dippproportions- oder mehrheitsbildende Effekte der Mehrheitswahlsysteme.


Literatur

Busacker, Helene (Hrsg.): Wahlergebnisse in der Bundesrepublik Deutschland und in den Ländern. 1946 - 1999 ; insgesamt und nach Alter und Geschlecht, Sankt Augustin 1999.

Hübner, Emil: Wahlsysteme und ihre möglichen Wirkungen, 6., völlig überarb. Aufl., München 1984.

Klingemann, Hans-Dieter (Hrsg.): Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 1998, Wiesbaden 2001.

Korte, Karl-Rudolf: Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland, 3. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn 2001

Nohlen, Dieter: Wahlrecht und Parteiensystem, 3., völlig überarb. Aufl., Opladen 2000.


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  W e b d o s s i e r

Bundestagswahl 2002

1. Interview

2. Wahlsystem

3. Trends des Wählerverhaltens

4. Wahlkampf in der Mediendemokratie

5. Politikstile der Kanzlerkandidaten

6. Blickpunkte

7. Links
 
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang