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Politikstile der Kanzlerkandidaten

Macht-Manager, keine Policy-Leader

Forschungsgruppe Deutschland - Juli 2002


In Wahlkampfzeiten dramatisieren Parteien die Gegensätze. Polarisierung soll Alternativen aufzeigen und Wähler mobilisieren. So werden auch die unterschiedlichen Politikstile der Kanzlerkandidaten von SPD und Union inszeniert. Die Sozialdemokraten setzen ganz auf ihren geschmeidigen Medienstar und Kommunikationskünstler Schröder, der jovial und locker erst im Dauerblitzlichtgewitter der Journalisten zu Topform aufläuft. CDU/CSU versuchen dagegen aus den Schwächen des mediensperrigen Erfolgsmenschen Stoiber Stärken zu machen: kantig, echt, erfolgreich.

Diese Gegensätze sind allerdings nur oberflächlich relevant. Trotz der Problematik der Vergleichbarkeit von Regierungsstilen auf Bundes- und Landesebene sind doch die Gemeinsamkeiten zwischen Schröder und Stoiber aufschlussreicher und politisch bedeutender als die medienvermittelte Imageunterschiede. Die Ähnlichkeiten beziehen sich nicht nur auf die bereits zum Gemeinplatz gewordene Angleichung der Programme der beiden großen Parteien, sondern auch auf die Art des Regierens, auf die Instrumente des Machterhalts und des Machterwerbs.


Machtakkumulation in der Regierungszentrale und in der Partei

Bei beiden fällt zunächst die enorme Machtzentralisierung auf - in ihrer jeweiligen Regierung und in ihrer jeweiligen Partei. Nach anfänglichen Problemen baute Schröder sein Kanzleramt zu einer effektiven Regierungszentrale aus. Mittlerweile sind dort rund 500 Mitarbeiter beschäftigt - auch weil für den Kanzler sensible Politikbereiche symbolträchtig integriert wurden: Aufbau Ost und Kultur. Ähnliches gilt für Stoiber, der seit seinem Amtsantritt als Bayerischer Ministerpräsident 1993 die Staatskanzlei umfassend reorganisiert und modernisiert hat. Scheinbar weniger wichtige Zuständigkeiten wurden abgegeben, dafür wurden die IT-Referate des Wirtschaftsministeriums und sogar das komplette Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten eingebunden.

Nachdem die wichtigsten innerparteilichen Gegner ausgeschaltet waren - hier Lafontaine, dort Waigel - dehnten Schröder wie Stoiber ihren Machtbereich auf die Partei aus. Müntefering hält als "geschäftsführender Vorsitzender" (Schröder) für den Bundeskanzler im 1999 neu eingeführten Amt des Generalsekretärs die SPD unter Kontrolle. Stoiber verordnete der CSU-Landesleitung eine Radikalkur und lässt seinen loyalen Generalsekretär sicherheitshalber noch durch einen Geschäftsführer aus dem inner circle bewachen. Schröder wie Stoiber haben klar erkannt: Führungsmacht ist in erster Linie Parteimacht.

Umarmungskünstler in Konsensrunden

Schröder wie Stoiber wissen, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Konsens ist daher ein wichtiges Instrument des Machterhalts - zumal schon der Konsens an sich für die Deutschen ein wichtiger Wert ist. Bekanntermaßen entwickelte sich Schröder zu einem Umarmungskünstler in Konsensrunden. Zu allen wichtigen Themen wurden Ad hoc-Gremien eingerichtet, an denen alle wichtigen gesellschaftlichen Größen und zum Teil auch die oppositionellen Parteien teilnahmen, z.B. Bündnis für Arbeit, Atomkonsens, Ethikrat, Zuwanderungskommission.

Es wäre zu kurz gegriffen, wenn man den Regierungsstil Stoibers auf eine autoritative Steuerung durch die absolute CSU-Mehrheit in Bayern reduzieren würde. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass auch Stoiber zum Umarmungskünstler avanciert: Bis vor kurzem war der korporatistische Führungsstil im Freistaat durch den Bayerischen Senat noch institutionalisiert. Stoiber ergänzte dies durch moderne Varianten wie das Bündnis für Arbeit, das im Freistaat "Beschäftigungspakt" heißt, oder den Umweltpakt. Die Stoiber´sche Umarmung führte sogar so weit, dass der bayerische Gewerkschaftschef und SPD-Abgeordnete Schösser den Ministerpräsidenten als "Lichtgestalt" bezeichnete.

Symbolträchtige Steuerungsinitiativen

Symbolträchtige Steuerungsinitiativen scheinen typisch für den Politikstil des Kanzlers und seines Herausforderers. Während allerdings Stoiber durch seine verschiedenen High-Tech-Offensiven kontinuierlich eine Richtung zu verfolgen scheint, sind die Chefsachen bei Schröder sprunghafter: Holzmann-Rettung, Greencard-Initiative oder Hartz-Kommission verfolgen unterschiedliche politische Ansätze, die ein Gesamtkonzept nicht erkennen lassen. Dennoch gelang es beiden, ihre Machtposition durch diese Maßnahmen zu stärken. Stoiber belebte das Erfolgsrezept der CSU wieder, die Kombination aus Tradition und Fortschritt unter dem Slogan "Laptop und Lederhose", das unter Streibl verschüttet war. Schröder setzte im Gegensatz zu seinem Vorgänger Kohl wieder stärker auf die Innenpolitik und konnte als Manager der Deutschland AG zumindest kurzfristig positive Wirkungen für sich erzielen. Folge ist, dass die Zustimmung für Schröder größer ist als für seine Partei. Betrachtet man übrigens nur Bayern, so gilt dasselbe auch für Stoiber.

Parallelen im Wahlkampf 1998 und 2002

Auffällig sind schließlich - trotz aller Unterschiede in den Rahmenbedingungen - die Parallelen in den Wahlkampfstrategien von SPD und Union 1998 und 2002, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: zuerst das möglichst spät entschiedene Kandidatenrennen Schröder/Lafontaine hier, Stoiber/Merkel dort. Darauf folgt ein sanfter Wahlkampf des Herausforderers, der verspricht nicht alles anders, aber vieles besser zu machen. Schröder reagiert wie Kohl mit der gleichen - bisher erfolglosen - Strategie, den Kandidaten zum klaren Beziehen von Positionen zu zwingen. Die permanente Frage Kohls: "Wofür steht Schröder?", wird wortgleich vom jetzigen Kanzler wiederholt. Stoiber und die Union kopieren mit wenigen - hauptsächlich den Spezifika der Schwesterparteienkonstellation geschuldeten - Abweichungen das Erfolgsrezept der SPD von 1998. Zwar können CDU und CSU keine Kampa als einheitliche Wahlkampfzentrale aufbauen, doch setzen auch die Unions-Spezialisten auf weiche Formulierungen und auf den weitgehenden Verzicht auf negative campaigning. Eine kreative Antwort von Seiten der SPD steht dazu noch aus.

Macht-Manager, keine Policy-Leader

Die vier Punkte zeigen dennoch: Schröder und Stoiber sind virtuose Manager der Macht. Aber wie konnte dann die Regierung Schröder sich derart schnell verschleißen? Wie konnte es passieren, dass die am Boden liegende Union schon nach vier Jahren wieder eine Chance hat, die Regierung zu stellen? Die übergeordnete Frage ist also, was macht neben den genannten Faktoren einen erfolgreichen Politikstil aus? Betrachtet man die Kennzeichen des Regierungsstils langer bzw. prägender Kanzlerschaften, so fehlt Schröders Machtrezept eine wesentliche Zutat: Der Regierungschef ist kein Policy-Leader, er hat kein politisches Projekt. Policy-Leadership bedeutet dabei nicht die Verwirklichung eines ideologisch-dogmatischen, bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Programms, sondern das Setzen eines pragmatisch gehandhabten, visionären Großziels. Schwache, nur kurz amtierende Kanzler hatten keine derartige politikfeldspezifische Vision: Erhards soziale Marktwirtschaft war bereits Realität, Kiesinger regierte als "wandelnder Vermittlungsausschuss" und Schmidt war ein geachteter Krisenmanager. Adenauer dagegen stritt in großen Kontroversen für die Westintegration, Brandt setzte gegen oppositionelle Stürme seine Reformpolitik durch, Kohl bewies unter den Bedingungen gesamtgesellschaftlicher Aufwühlung Steherqualitäten bei der Nato-Nachrüstung. Westbindung, Reformpolitik und europäische Einigung sowie schließlich die deutsche Einheit wurden zum Signum der jeweiligen Amtszeiten. Bei Schröder ist Vergleichbares nicht zu erkennen: Die Messlatte, die der Bundeskanzler selbst eingeführt hatte, den Abbau der Arbeitslosigkeit, ist deutlich verfehlt. Hat Stoiber noch in Bayern mit seiner Hightech-Politik ein solches Markenzeichen gehabt, scheint auf Bundesebene die Courage zur Kreativität verloren. Aufschwung und Arbeitsmarkt sind für beide Kandidaten denkbar ungeeignete Politikfelder für Policy-Leadership, weil sie weder direkt steuerbar noch radikal reformierbar sind. Deshalb erleben wir heute den Höhepunkt des Kampfes der Machtmanager und Politikpragmatiker und damit eines Politikstils der kurzfristig erfolgversprechend ist, weil er die Mitte integriert, langfristig aber problematisch werden kann. Höhepunkte sind aber oft auch Wendepunkte. Vielleicht erleben wir schon bald die Geburt eines neuen Politikstils, der den Politiker als Manager ablöst und Medienkompetenz und Mitteorientierung kombiniert mit programmatischer Vision, die auch in der Kontroverse durchgehalten wird.


Literatur

Helms, Ludger, Gerhard Schröder und die Entwicklung der deutschen Kanzlerschaft, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, Heft 4, 2001, S. 1497-1517

Hirscher, Gerhard/Karl-Rudolf Korte, Aufstieg und Fall von Regierungen. Machterwerb und Machterosionen in westlichen Demokratien, München 2001

Jäger, Wolfgang, Wer regiert die Deutschen? Innenansichten der Parteiendemokratie, Osnabrück/Zürich 1994

Korte, Karl-Rudolf/Gerhard Hirscher (Hrsg.), Darstellungspolitik oder Entscheidungspolitik? Über den Wandel der Politikstile in westlichen Demokratien, München 2000

Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.), "Das Wort hat der Herr Bundeskanzler". Die großen Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder, Opladen 2002

Krause-Burger, Sibylle, Wie Gerhard Schröder regiert, München 2000

Niclauß, Karlheinz, Kanzlerdemokratie. Bonner Regierungspraxis von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl, Stuttgart 1988

Stiller, Michael, Edmund Stoiber. Der Kandidat, 2. Aufl., München 2002


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  W e b d o s s i e r

Bundestagswahl 2002

1. Interview

2. Wahlsystem

3. Trends des Wählerverhaltens

4. Wahlkampf in der Mediendemokratie

5. Politikstile der Kanzlerkandidaten

6. Blickpunkte

7. Links
 
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang