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P o s i t i o n

Weichenstellung in Paris

Deutschland und Frankreich schlagen EU-Doppelspitze vor

Von Roman Maruhn - 16. Januar 2003


Einmal mehr wird das Wort "historisch" bemüht, um die erste gemeinsame deutsch-französische Position in der Frage der Institutionenreform der Europäischen Union zu würdigen. Im Vorfeld des 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags liegt nun auch als Nachweis der Funktionsfähigkeit des europäischen Integrationsmotors eine Grobskizze des zukünftigen politischen Systems der EU vor: Der vom Europäischen Parlament gewählte Kommissionspräsident soll zusammen mit einem vom Ministerrat gewählten Präsidenten die Europäische Union führen.

Diese Einigung ist an sich alles andere als historisch, da lediglich ein schlichter Sachkompromiss erreicht wurde, der die Interessen von Integrationisten und Intergouvernementalisten zu vereinen sucht, wenngleich die historische Tradition gewahrt bleibt, die EU sowohl über die Bürger als auch über die Mitgliedstaaten zu legitimieren. Dennoch setzen Bundeskanzler Schröder und Präsident Chirac in der Debatte um die europäischen Institutionen einen wichtigen Akzent, der einerseits das Konzept von Konventspräsident Giscard d'Estaing flankiert und andererseits als Signal für die anderen Mitgliedstaaten gelten darf. Dänemark und Italien haben bereits ihre Zustimmung zur Doppelpräsidentschaft angedeutet.
Historischen Dimensionen nähern sich Berlin und Paris allerdings erst dann, wenn über die jeweiligen Kompetenzen der beiden Präsidenten verhandelt wird: Wer erledigt das Tagesgeschäft? Wem obliegt die strategische Planung der Union? Welcher Präsident vertritt die EU nach außen? Die tatsächliche kreative und produktive Konsensfähigkeit Deutschlands und Frankreichs wird sich bei der Entscheidung über die Machtfrage, zu welchen Teilen die beiden Präsidenten jeweils aus den Zutaten Repräsentieren und Regieren bestehen werden, noch erweisen müssen. Hier wird sich entscheiden, ob lediglich der aktuelle Status Quo festgeschrieben wird oder ob es eine Machtverschiebung im Institutionengefüge der EU geben wird.

Ende der europäischen Integrationsromantik

Über eines kann und darf die Übereinkunft jedoch nicht hinwegtäuschen: Die freudige und idealistische Europagesinnung der Deutschen und Franzosen vergangener Zeiten ist definitiv vorbei und mit der Wahrnehmung Europas als ernstem und kompliziertem Geschäft ist seit drei Jahren erst Ernüchterung, dann Realismus und jetzt wieder der Wille zur konstruktiven Zusammenarbeit in Paris und Berlin eingezogen. Währung, Wirtschaft und Sicherheit, das ist keine Erbsenzählerei mehr, sondern hier geht es knallhart um essentielle und vitale Interessen der europäischen Staaten. Die Nationalstaaten befinden sich in unumkehrbarer Abhängigkeit von Brüssel. Europa muss jetzt so geformt werden, dass es die ihm übertragenen Kompetenzen selbständig erfüllen und vertreten kann. Nicht mit idealistischen oder visionären Gründen, wie etwa dem Blick in die Vergangenheit oder der Angst vor einer möglichen Katastrophe, müssen heute die Integrationisten argumentieren, sondern aus dem globalen Wettbewerb und der Sicherung und Verteidigung europäischer Interessen in der Welt heraus.

Ein Europa der Koalitionen und Allianzen

Dieses Ziel vollständig zu erreichen, scheint in der heutigen Konstellation der EU allerdings unmöglich. Nicht einmal der Europäischen Konvent konnte darüber hinwegtäuschen, dass Koalitionen und Allianzen das Europa der Nationalstaaten prägen. In der Frage der institutionellen Reform sind es mächtige Gestaltungsgruppen der Mitgliedsländer, die ihre Ordnungsvorstellungen auf die Organisation des Machtgefüges der Europäischen Union übertragen wollen. Der Konvent steht im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten vor den Alternativen, sich um Unterstützung für seine Vorstellungen zu bemühen oder Angriffe auf seine unabhängige Verfassungsgebungsarbeit abwehren zu müssen. Dies fällt ihm um so schwerer, als dass er bereits intern über verschiedene Koalitionen und Interessen hinweg Kompromisse finden muss: Zwischen Parlaments- und Regierungsvertretern, kleinen und großen Mitgliedstaaten, Anhängern der Gemeinschaftsmethode und solchen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit verlaufen nicht nur zahlreiche horizontale sondern auch vertikale Bruchlinien.
Ein Blick auf die großen Drei der EU kann Zukunftsoptionen verraten: Das europäische Dreieck zwischen Berlin, Paris und London, in dem die Mitte-Links-Politiker Blair und Schröder eine gemeinsame Zukunft in Europa suchten, hatte als Interimskonstrukt nur kurzen Bestand und konnte bis auf die schleppende Generierung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik keine Aktiva vorweisen. Sichtbar übrig bleibt nun wiederum die Achse Berlin-Paris, die ihre Existenz zu einem großen Teil der Gegenposition des Outsiders London verdankt: Die Regierung Blair steht in ihrer zweiten Amtszeit vor einem Berg europäischer Bringschuld, dessen Bewältigung immer unwahrscheinlicher wird. Auch die enge internationale Anlehnung an Washington produziert im Endergebnis für London kaum Sicherheits- und Machtzuwächse, sondern in erster Linie größere Isolation im europäischen Verbund. Der Euro schließlich bindet Frankreich und Deutschland enger denn je als Schicksalsgemeinschaft aneinander und grenzt Großbritannien durch seine Enthaltung von zukünftigen Integrationsprojekten weitgehend aus.

Die Eurozone - Arena der zukünftigen Integration

Vor diesem Hintergrund schält sich die Währungsunion mit ihren politischen Folgefragen neben der Sicherheitspolitik zum neuen und dynamischen Integrationskern der Europäischen Union heraus. Ohne diesen zentralen Bestandteil des europäischen Einigungswerks kann der Erfolg der EU im internationalen System nicht gelingen. Dementsprechend kann der gemeinsame Konventsbeitrag der Außenminister de Villepin und Fischer zur Ordnungspolitik vom 22. Dezember 2002 als Schlüsseldokument deutsch-französischer Zukunftsplanung verstanden werden: Das Ziel, der Eurozone eigene Entscheidungsfähigkeit und sichtbare Außenvertretung zu geben, kann einerseits als Meilenstein auf dem Weg zu einer weit entfernten politischen Union und andererseits als Errichtung eines massiven Druckpotentials gegenüber Großbritannien gesehen werden. Im weiterentwickelten Szenario eines Europas der differenzierten Integration könnte sich die Eurozone zu einem großen Kern der zu weitreichender Integration bereiten Mitgliedsländer entwickeln. Die außerhalb der gemeinsamen Währung stehenden Staaten würden dagegen Teil einer eher stabilisierenden Integrationsperipherie mit reduziertem Politikinhalt, die dementsprechend offen beitrittswilligen Staaten gegenüber stehen könnte.

Pragmatische Partnerschaft statt vollmundiger Freundschaft

Sowohl Paris als auch Berlin haben erkannt, dass sie ihre europäische Kohabitation nun weiter fortführen müssen. Die Terminpläne ähneln sich: Die Wahlen von 2002 haben für klare Fronten gesorgt und die nächsten knapp vier Jahre - eine für Europa entscheidende Phase - werden Schröder und Chirac gemeinsam das europapolitische Tagesgeschäft bestreiten müssen. Dabei müssen die beiden Politiker allerdings nicht bei Null anfangen. Mittlerweile kennt man sich, auch wenn man sich anfangs vielleicht nicht schätzte, und es bleibt keine andere Wahl als die enge Nachbarschaft und die noch engere Verbindung durch die EU konstruktiv und pragmatisch zu gestalten. Eine erste Zwischenbilanz bestätigt diese Perspektive:

  • Die Gemeinsame Agrarpolitik wurde zumindest erweiterungsfähig gemacht, wenn auch eine substantielle Reform noch aussteht.

  • In der Irakkrise konnten die außenpolitische Negativposition Berlins und konstruktive Position Paris bis dato umgesetzt werden, wenn hier auch ein größerer Koordinierungsbedarf anzumahnen ist und der endgültige Erfolg unsicher scheint.

  • Die Erweiterung ist beschlossen und es gelang Frankreich und Deutschland, eine aktive und dialogorientierte Position der EU gegenüber der Türkei zu eröffnen.

Mit dem jüngsten Vorstoß, der bereits jetzt auf die Regierungskonferenz 2004 abzielt, kann diese Serie vermeintlich "historischer", aber immerhin pragmatischer Kompromisse und Vereinbarungen fortgeschrieben werden. Sachlich gesehen haben sich die Paradigmen des Integrationsmotors Deutschland-Frankreich geändert: Aus vollmundiger Freundschaft ist pragmatische Partnerschaft geworden. Die Erfahrungen der letzten zwei, drei Jahre haben gezeigt, dass es keine Alternative zum deutsch-französischen Duo gibt: Gegen oder ohne Paris und Berlin läuft in Europa fast nichts, mit den beiden aber fast alles.


  W e b d o s s i e r

EU-Konvent


P u b l i k a t i o n

Bridging the
Leadership Gap

A Strategy for Improving Political Leadership in the EU by the Thinking Enlarged Group

EU 25+
Eine Bestandsaufnahme nach dem Europäischen Rat in Kopenhagen  
           
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Aktualisiert am: 28.04.2003   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang