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P o s i t i o n

Irak als europäische Herausforderung

Von Felix Neugart - 09. September 2002


Wer in diesen Tagen Washington besucht, kann die Aufbruchstimmung in manchen Think Tanks der Stadt, insbesondere den konservativeren, förmlich spüren. Es ist die Zeit für die grand designs, die Masterpläne der Schreibtischstrategen für den anvisierten Regimewechsel im Irak und darüber hinaus. Die Kernfrage ist dabei nicht mehr die Errichtung eines möglichst effektiven Regimes der internationalen Gemeinschaft, um den Irak an der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu hindern, sondern der Sturz des irakischen Regimes um Saddam Hussein selbst. In der neokonservativen Vision vom "Neuen Nahen Osten" unter der pax americana ist der Regimewechsel im Irak sogar der Schlüssel zur Lösung der Probleme der Region. Von einem amerikanisch dominierten Irak aus ließe sich der Druck nicht nur auf Iran, in dem viele nach wie vor den eigentlichen Hort des Terrorismus sehen, sondern auch auf Syrien und Libanon drastisch erhöhen. Saudi-Arabien, ein enger Verbündeter Amerikas, dessen Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit nach dem 11. September immer wieder in Frage gestellt wurde, würde automatisch an strategischer Bedeutung in der Region verlieren und wäre wesentlich empfänglicher für die lange Liste amerikanischer Forderungen. Und natürlich, der israelisch-palästinensische Konflikt würde im Zuge der großen regionalen Transformation gleich mitgelöst werden.
Vor diesem Hintergrund ist in der Sommerpause die öffentliche Diskussion um das Für und Wieder einer Militäroperation gegen Irak entbrannt, ausgelöst durch die Bedenken einiger Kernleute der ersten Bush-Administration, wie dem früheren Außenminister Baker sowie dem früheren Sicherheitsberater Scowcroft. In der Administration selbst lassen sich drei Gruppen unterscheiden:

  • Die neokonservativen "Falken" um Vizepräsident Dick Cheney und den stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz sehen nicht nur in einem Regimewechsel im Irak eine absolute Notwendigkeit für die Sicherheit Amerikas, sondern das Vorgehen gegen Irak als Auftakt für eine sehr viel weiter gehende Transformation des Nahen Ostens.

  • Die "Realisten" um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld befürworten einen Militärschlag gegen Irak, um Saddam Hussein zu stürzen, stehen aber einem weitergehenden amerikanischen Engagement in der Region eher kritisch gegenüber.

  • Die "Internationalisten" um Außenminister Colin Powell warnen vor einem unilateralen Vorgehen und drängen auf die multilaterale Kooperation mit Amerikas Verbündeten und die Einhaltung der internationalen Legitimität.

Die ersten beiden Gruppen scheinen dabei ein deutliches Übergewicht gegenüber den Bedenkenträgern erreicht zu haben. Der Paradigmenwechsel lässt sich nur vor dem Hintergrund der veränderten Stimmung nach den Anschlägen des 11. September verstehen. Die von vielen Amerikanern zumindest subjektiv empfundene Isolierung der Vereinigten Staaten von den Problemen der Welt ist durch den schmerzhaften Beweis der eigenen Verwundbarkeit erschüttert worden. Die Einsicht, dass die Probleme "da draußen" zu einer Gefährdung der nationalen Sicherheit werden können - eine Situation mit der die Europäer seit Jahrzehnten leben - hat damit die Bereitschaft zur gezielten Prävention gegen echte und vermeintliche Bedrohungen nachhaltig verstärkt.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich in dieser Frage bisher nicht auf eine einheitliche Position einigen können. Großbritanniens Premier Blair suchte den Schulterschluss mit George W. Bush und der italienische Ministerpräsident Berlusconi hat ebenfalls Unterstützung bis hin zur Entsendung von Truppen angeboten. Dagegen lehnt der deutsche Kanzler Gerhard Schröder jegliche deutsche Beteiligung an einem Militärschlag gegen Irak, selbst unter dem Dach eines UN-Mandats, ab. Frankreich hat sich ebenfalls gegen einen Militärschlag ausgesprochen, die französischen Stimmen blieben jedoch im Kontrast zum deutschen Wahlkampfgeschrei eher leise. Der kleinste gemeinsame Nenner aller EU-Staaten, der auch nach dem informellen Treffen der Außenminister im dänischen Helsingoer gebetsmühlenartig wiederholt wurde, ist die Notwendigkeit der Erfüllung der UN-Resolutionen und die Zuständigkeit des Sicherheitsrates für alle weitergehenden Schritte. Diese Minimalposition wird jedoch in der gegenwärtigen, dynamischen Situation kaum ausreichen, zumal gegenwärtig im Sicherheitsrat keine überzeugenden Optionen sichtbar sind. Die EU sollte daher eine Strategie erarbeiten, die als glaubwürdige Alternative zu den Plänen der "Falken" in Washington bestehen kann. Diese würde auch von moderaten Stimmen in der amerikanischen öffentlichen Diskussion dankbar aufgenommen werden.

Die EU sollte zuerst die Gefahren der Vision der Hardliner in den Vordergrund rücken. Ein unilateraler, nicht durch ein UN-Mandat gedeckter Angriff der Vereinigten Staaten auf Irak mit dem Ziel eines Regimewechsels könnte irreparablen Schaden für das Völkerrecht und die internationale Legitimität bedeuten. Es ist vollkommen unklar, wie eine stabile Ordnung im Irak in einer möglichen post-Saddam Ära aussehen würde. Die Vorstellung, man brauche das unterdrückte irakische Volk nur vom Joch des Regimes zu befreien und danach würde automatisch ein demokratisches und friedliches System entstehen ist bestenfalls sehr optimistisch; das Beispiel Afghanistan rät eindeutig zur Vorsicht. Ein Krieg gegen den Irak würde die internationale Koalition gegen den Terrorismus sprengen, da gerade die für eine erfolgreiche Bekämpfung terroristischer Gruppen unentbehrlichen Staaten der arabischen Welt den Militärschlag nahezu geschlossen ablehnen. Zudem würde die Ordnung der Region nachhaltig erschüttert und die Legitimität der moderaten arabischen Staaten erheblich geschwächt; damit würden die Pläne für eine weitergehende Transformation der Region zu einem höchst gefährlichen Spiel.

Die EU sollte diese Warnung mit einer realistischen Strategie für die Implementierung der relevanten UN-Resolutionen verbinden. Der Kern dieses Ansatzes sollte die Forderung nach der Wiederaufnahme von UN-Inspektionen sein, unterfüttert durch ein Ultimatum an den Irak, dessen Nichterfüllung Zwangsmaßnahmen bis hin zu militärischem Druck nach sich ziehen würde. Die Details dieses Ansatzes müssten von den Vertretern der Mitgliedstaaten so schnell als möglich ausgearbeitet werden. Die Verstärkung des Drucks auf das irakische Regime sollte einhergehen mit einer neuen Initiative des Vermittler-Quartetts im israelisch-palästinensischen Konflikt (USA, EU, Russland und UN) mit dem Ziel der Gründung eines palästinensischen Staates. Die Gemeinschaft sollte offensiv ihre eigene Vision von einem demokratischen und prosperierenden Nahen Osten vertreten, dessen Staaten durch multilaterale Kooperation im Rahmen der euro-mediterranen Partnerschaft vernetzt sind. Die EU müsste darüber hinaus anregen, sich der Problematik der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen an autokratische und aggressive Regime aus dem Blickwinkel des Völkerrechts anzunehmen, denn die Bedrohung durch diese Waffen ist für Europäer genauso real wie für Amerikaner. Hier reicht ein achselzuckender Verweis auf die nationale Souveränität nicht aus, denn die vielfältigen grenzüberschreitenden Probleme des 21. Jahrhunderts (z.B. Terrorismus oder Drogenhandel) sind mit diesen Instrumenten des 19. Jahrhunderts nicht lösbar.


  L i n k s

Projekt: Europa und der Nahe Osten

Webdossier: Sechs Monate nach dem Terror 
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang