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P o s i t i o n

Die CSU nach der Bundestagswahl

Szenarien zur Zukunft einer Erfolgspartei

Von Andreas Kießling - 02. September 2002


Die CSU kann sich nur selbst gefährden - so lautete über Jahre hinweg die einhellige Diagnose von Parteienforscher und politischen Kommentatoren. Spätestens seit dem Scheitern der Futurologen in den 60er und 70er Jahren weiß man, dass die Zukunft ist nicht vorherzusehen ist. Jedoch lassen sich auf der Basis gesicherter Erkenntnisse Trendoptionen formulieren. Fragt man deshalb nach den Auswirkungen der Bundestagswahl auf die CSU, so muss man zunächst die Besonderheiten der Partei in den Blick nehmen, bevor man mögliche Szenarien einer künftigen Entwicklung entwerfen kann.

I. Die CSU als Erfolgsmodell in Bayern

Niederlagen auf Bundesebene wie 1998 sind zwar auch für die CSU schmerzhaft, doch bleibt ihr als Machtbasis die bayerische Heimat. Und hier ist die Welt scheinbar noch in Ordnung:

  • Die CSU ist in die politische Kultur tief verankert und verfugt. Die Einstellungen im Freistaat unterscheiden sich nicht völlig von denen in anderen Teilen Deutschlands. Doch liegt die Besonderheit und Eigenständigkeit der bayerischen politischen Kultur in der starken und positiv besetzten regionalen Identität, die bis in die Gegenwart vital geblieben ist. Prägnante Färbungen erhält die regionale Identität zusätzlich durch die ökonomische Leistungsfähigkeit, die enge Verbindung mit dem Katholizismus und durch die generell konservativere Grundhaltung der ländlichen Bevölkerung. In dieser Komprimierung wird der Wirkungsmechanismus zwischen politischer Kultur und CSU deutlich: Das Bild der CSU als die konservative und christliche "Staatspartei", die als wichtigster politischer Akteur die wirtschaftliche Umgestaltung vorangetrieben hat, passt sich nahtlos in die Einstellungswelten der Mehrheit der Bayern ein.

  • Das Verhältnis zwischen CSU und den Oppositionsparteien ist durch zahlreiche Asymmetrien geprägt. Zunächst bringt die parteipolitische Eigenständigkeit der CSU strategische Vorteile im Wettbewerb mit der SPD: Sie ist Basis für die glaubwürdige Darstellung der CSU als bayerische Interessenvertreterin im Bund und in Europa. Sie bildet außerdem die Plattform für die Abgrenzung von der CDU bei gleichzeitiger gesamtstaatlicher Mitverantwortung. Diese Konstruktion bietet auch in der Mediendemokratie Pluspunkte: Die CSU steht auf einer Stufe mit den anderen im Bundestag vertretenen Parteien und ist eben nicht bloß ein Landesverband einer bundesweiten Partei. Dazu treten die Asymmetrien bei den institutionellen Machtressourcen: Die CSU stellt seit 45 Jahren ununterbrochen alleine die Staatsregierung, so dass zum einen der gesamte Regierungsapparat unterstützend für die Partei wirkt., Zum anderen hat die CSU auch tief in die Gesellschaft hinein wirkende Netzwerke der Macht aufgebaut. Psychologisch hat das zur Folge, dass die SPD in einer Art "Leidensspirale" (Patzelt) gefangen ist, während die CSU auf einer permanenten Erfolgswelle surft.

  • Aufgrund ihrer dominanten Position im Parteiensystem trägt die CSU Züge einer doppelten Kampfgemeinschaft. Ihre absolute Mehrheit ist die Basis der Sonderstellung, nach außen muss sie deshalb gegen alle anderen Parteien antreten - das schweißt zusammen. Da die Partei gleichzeitig fast den einzigen Aufstiegskanal für politische Karrieren im Freistaat darstellt, tobt aber auch nach innen ein harter Wettbewerb zwischen den Machtzentren. In diesem Spagat gelingt der CSU jedoch die Integration von Widersprüchen: Einerseits bewahrt sie ihr geschlossenes Erscheinungsbild, andererseits beruht auf der internen Konkurrenz ihre Selbstregenerationsfähigkeit. Diese hat sie in den verschiedenen Krisen seit dem Tod von Strauß eindrucksvoll unter Beweis gestellt: von der Lösung der Strauß-Nachfolge, über die Definition des neuen Selbstverständnisses im geeinten Deutschland, bis hin zur Überwindung der Amigo-Affären, der Probleme der Doppelspitze Waigel/Stoiber und des schweren Gangs in die Opposition auf Bundesebene.

Welche Konsequenzen wird vor diesem Hintergrund der Ausgang der Bundestagswahl für das Erfolgsmodell CSU haben?

II. Szenario 1: Stoiber verliert - alles bleibt beim Alten?

Die einfachere Situation ist eine Niederlage der Union auf Bundesebene - paradoxerweise vielleicht auch für die CSU. Falls CDU/CSU mehr Stimmen gewinnen als 1998 oder sogar stärkste Partei werden und nur durch Koalitionsarithmetik von der Regierung abgehalten werden, kehrt Stoiber zunächst ungebrochen auf das heimische politische Parkett zurück. Die CSU wird sich weiterhin als die bayerische Staatspartei mit bundesweitem Anspruch präsentieren. Auch wenn die Sozialdemokraten weiter regieren, wird es die SPD-Landesgruppe in der Einstellung der Bürger nicht schaffen, der CSU die Position als Sprachrohr des Freistaats streitig zu machen.

Eine erneute Kanzlerkandidatur wäre für die CSU wenn nicht gänzlich, so doch wieder für die nächsten 20 Jahre ausgeschlossen. Aber die Christ-Sozialen müssten trotzdem den Stabilitätskern des gesamten bürgerlichen Lagers bilden. Denn die große Schwester CDU wird in einer nochmaligen Oppositionsphase den Erneuerungsprozess schmerzlich durchleiden, der eigentlich schon mit dem Ende der Ära Kohl einsetzen hätte müssen. Die Machtkämpfe zwischen Merkel, Merz und Koch sind noch keineswegs entschieden, noch ist unklar unter welchem Signum die neue Zeit in der CDU stehen wird - personell und programmatisch. Damit könnten die Christ-Sozialen ihre Unentbehrlichkeit wieder unter Beweis stellen, sie werden wieder die Speerspitze der Opposition sein.

Wenn Stoiber nicht Kanzler würde, bliebe dann also alles beim Alten? Würde auch die Nachfolgefrage ad acta gelegt und in eine ferne Zukunft vertagt? Würde sich tatsächlich eine parallele Situation ergeben wie Anfang der 80er, als Strauß geschlagen von der Bundesebene zurückkam und in seinem Land einen fulminanten Wahlsieg einfuhr?

Zwei Faktoren haben sich seither verändert: Zum einen wurde in den letzten 20 Jahren selbst der bayerische Wähler wählerischer. Die absoluten Mehrheiten der CSU sind weniger sicher als je zuvor. Der Solidarisierungseffekt, der nach der Niederlage von Strauß in Bayern zu spüren war, wird auch heute noch bei manchem eintreten, nach dem Motto: "Jetzt erst recht!". Er wird sich aber auf weit weniger Bürger erstrecken. Bei den Wechselwählern hätte Stoiber den Nimbus des Erfolgsmenschen verspielt. Zum anderen ist die Stellung von Stoiber in der CSU nicht mit der von Strauß zu vergleichen. Strauß war und ist bis zu einem gewissen Grad auch heute noch die Identifikationsfigur der Christ-Sozialen. Er hat in 27 Jahren Vorsitz die Partei geprägt und war innerparteilich Ende der 70er und Anfang der 80er auf dem Höhepunkt seiner Macht. Sicher polarisierte er wie kein anderer Politiker. Aber je erbitterter die Gegner gegen Strauß auftraten, desto inniger wurde die Beziehung seiner Anhänger zu ihm. Stoiber ist derzeit auch die unumstrittene Nummer eins in der CSU und er hat seinen Einflussbereich in Staatskanzlei und Parteizentrale institutionell abgesichert. Seinem Führungsstil des Politikers als Manager entsprechend beruht die Loyalität der Partei zu ihm jedoch stärker auf rationalen Überlegungen als auf affektiven Bindungen. Stoibers Position in der Partei ist daher extrem leistungsabhängig. Die Stellung von Strauß konnte so nicht durch partiell ausbleibenden Wahlerfolg gefährdet werden, die von Stoiber mittelfristig schon.

III. Szenario 2: Stoiber gewinnt - die CSU vor großen Problemen?

Sollte Stoiber Bundeskanzler werden, so wäre das oberflächlich betrachtet der ultimative Sieg seiner Partei. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird der Bundeskanzler dann nicht Angehöriger der beiden großen Parteien CDU und SPD sein. Die CSU hätte ihren eigenen Anspruch, die bayerische Partei mit bundesweiter Bedeutung zu sein, unverrückbar als Wirklichkeitsdefinition durchgesetzt. Niemand könnte mehr behaupten, die CSU sei doch eher eine regionale Erscheinung. Parteiintern wird zu den bisherigen Mythen, von der jede Kampfgemeinschaft lebt, mit der Kanzlerschaft eine neue Identifikationsgeschichte hinzugefügt. Neben den zu Symbolen des eigenen Erfolgs geronnenen Bildern von Franz Josef Strauß und dem "schönen Bayern" wird die Tatsache, nun auch auf zentralstaatlicher Ebene an der Spitze zu stehen, das Selbstbewusstsein der CSU weiter stärken.

Neben diesen für die CSU positiven Wirkungen werden aber auch erhebliche Schwierigkeiten auftreten. Leichter zu bewältigen sind dabei wohl noch die Probleme, die im prekären Machtverhältnis zur CDU auftauchen werden. Zwar wäre die nicht erst seit dem Kreuther Trennungsbeschluss von 1976 immer wieder virulent werdende Frage der bundesweiten Ausdehnung der CSU endgültig in der Mottenkiste vergangener leerer Drohungen verschwunden. Die Christ-Sozialen hätten mit Stoiber als Kanzler ja gesehen, dass sie alles erreichen können. Umgekehrt wäre auch ihre Unabhängigkeit unwiderruflich fixiert. Bestrebungen - wie sie etwa von Heiner Geißler verfolgt wurden -, die CDU nach Bayern auszudehnen, wären ebenfalls erledigt. Die CSU hätte ihre Lieblingsrolle als Erneuerin der gesamten Union, die sie schon beim Sturz Ludwig Erhards sowie bei der Frage der Oppositionsstrategie in den 70er Jahren gespielt hat, erfolgreich eingenommen.

Jedoch wird das fluide Machtspiel in der Fraktionsgemeinschaft noch sensibler auszutarieren sein. Die CDU-Führung wird ihr größeres Gewicht gegenüber der kleinen Schwester offensiv einsetzen müssen, um innerparteilich glaubwürdig und handlungsfähig zu bleiben. Schlussendlich müsste die CDU auf dem Anspruch beharren, den nächsten Kanzlerkandidaten wieder selbst zu stellen. Für diese Wettbewerbssituation wird dann schon die Regierungsbildung erster Prüfstein werden. Nach dem bewährten Muster der bisherigen Kanzler, die zuvor Ministerpräsidenten waren, wie etwa Kohl und Schröder, ist davon auszugehen, dass Stoiber seinen engsten Beraterkreis, sein "Küchenkabinett", nach Berlin mitnehmen würde. Wenn Walter Schön, derzeit Amtschef in der Bayerischen Staatskanzlei, neuer Staatssekretär im Kanzleramt würde, wird wohl die CDU wenigstens einen "Aufpasser" entsenden. Kritische Nachfragen nach der Effizienz der Regierungsorganisation und nach dem geschlossene Erscheinungsbild der Union könnten so zu ständigen Begleitern der Amtszeit werden.

Das größte Problem für die Christ-Sozialen wird aber sein, dass sie ein zentrales Moment ihres Erfolges nur noch unter großen Schwierigkeiten ausspielen werden können. Denn die parteipolitische Interessenvertreterin Bayerns wird dann selbst den Kanzler stellen. Früher waren Abgrenzungsmanöver von der Bundesregierung, an der die CSU in einer ungeliebten Koalition mit den Liberalen beteiligt war, an der Tagesordnung - und, solange man nur Minister stellte, waren sie auch unproblematisch. Mit Stoiber als Kanzler muss die CSU dagegen wie auf einem Hochseilakt die komplizierte Balance zwischen notwendiger bayerischer Profilierung, dem Erfordernis parteilicher Geschlossenheit und der Wahrung der Führungsstärke ihres eigenen Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden halten.

In dieser Konstellation gewinnt die Ministerpräsidentennachfolge eine zusätzliche und für die CSU zentrale Bedeutung: Sie ist gleichzeitig eine Entscheidung über die Betonung der bayerischen Komponente in der Politik der CSU, über welche die mächtige Landtagsfraktion mit höchster Aufmerksamkeit wachen wird. Die möglichen Kandidaten Beckstein, Huber und Glück werden nicht zuletzt danach taxiert werden, wie sie bayerische Interessenpolitik mit der Unterstützung des dann eigenen Bundeskanzlers vereinbaren können.

IV. Kanzlerkandidatur als zweischneidiges Schwert

Unter den Bedingungen flexiblen Wahlverhaltens ist die Kanzlerkandidatur für die CSU ein zweischneidiges Schwert. Unabhängig davon, wie die Bundestagswahl ausgeht, hat die Kandidatur für die Christ-Sozialen Vor- und Nachteile. Dem größeren Einflusspotential, dem Prestigegewinn und der Steigerung des Selbstvertrauens stehen Unsicherheiten auf den offenen Wählermärkten entgegen. Ein Sieg könnte mittelfristig zu Problemen in der Stammwählerschaft führen, eine Niederlage könnte sich negativ auf die zunehmende Zahl der Wechselwähler auswirken. Feststeht: Weniger denn je wird der Gewinn von Wahlen in Bayern durch die CSU "gottgegeben" sein - trotz ihrer politisch-kulturellen Rückbindung. Vielmehr hängt der Wahlerfolg von Leistung, Medienkompetenz, Kampagnenfähigkeit und Personalausstattung ab. Solange jedoch die SPD ihre eigene Schwäche in Bayern pflegt und auch dem Politikstil der CSU nichts entgegenzusetzen hat, wird es einen Machtwechsel in Bayern trotzdem nicht geben.


  W e b d o s s i e r

Bundestagswahlkampf 2002


 
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang