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P o s i t i o n

Rechtspopulisten auf Wählerfang

Analyse zum Bundestagswahlkampf 2002

Von Dr. Lars C. Colschen - 21. August 2002


Mit Rechtspopulismus lässt sich gegenwärtig sehr erfolgreich auf Wählerfang gehen. Rechtspopulistische Parteien, die im Parteienspektrum lange Zeit eine nur untergeordnete Rolle spielten, konnten in den letzten Jahren in mehreren europäischen Ländern beachtliche Wahlerfolge erzielen und haben Einzug in die Parlamente gefunden. Einige dieser Parteien sind scheinbar zu einem dauerhaften Bestandteil ihres politischen Systems geworden.

Die Liste reicht von Österreich (Jörg Haider, FPÖ), über Belgien (Filip Dewinter, Vlaame Blok), die so tolerant-multikulturelle Niederlande (mit der Lijst Pim Fortuyn des gleichnamigen ermordeten Politikers), Schweiz (Christoph Blocher, Volkspartei), Frankreich (Jean-Marie LePen, Front National) und Portugal (Paulo Portas, Partido Popular) bis nach Italien mit Umberto Bossi (Lega Nord) und Gianfranco Fini (Alleanza Nazionale). Selbst im eigentlich so progressiven Norden Europas ist dieser Trend mit Pia Kjaersgaard (Dansk Folkeparti) und Carl Hagen (Norwegische Fremskrittspartit) unübersehbar. In Deutschland hat jüngst Ronald Schill (Partei Rechtsstaatliche Offensive) Erfolge an der Wahlurne verbuchen können.

Erleben wir einen anhaltenden Rechtsruck in den europäischen Gesellschaften oder handelt es sich nur um eine kurzlebige Modeerscheinung?

Nicht alle rechtspopulistischen Erscheinungsformen sind gleichzusetzen. Auch kann nicht von einem homogenen ideologischen Block gesprochen werden. Dennoch zeigt ein Vergleich, dass sich Rechtspopulisten ganz bestimmten Politikfeldern widmen und auch sehr ähnliche Forderungen stellen:

  • Begrenzung der Zuwanderung mit xenophoben Warnungen vor Überfremdung verknüpft mit dem Wunsch nach Abgrenzung (wir vs. die anderen),

  • Erhöhung der inneren Sicherheit verknüpft mit einem Autoritätsanspruch, der den Staat über die Gesellschaft stellt,

  • Reduzierung von Sozialleistungen zur Erhöhung der Leistungsbereitschaft,

  • Rückkehr zu mehr nationaler Souveränität und Stärke insbesondere mit dem Blick auf Brüssel.

Die Forderungen werden provozierend gestellt und nach den Gesetzmäßigkeiten der Medienwelt präsentiert. Sie enthalten typischerweise drastische Kritik am Konsensmodell der etablierten Parteien sowie der Abgehobenheit ihrer Politiker. Neben gesellschaftlichen Missständen (u.a. Arbeitslosigkeit, Kriminalitätsraten, maroder öffentlicher Sektor) beklagen sie einen allgemeinen Werteverfall in einer sich schnell verändernden globalisierenden Welt. Für den Kampf gegen bestehende gesellschaftlich-politische Formen werden Feindbilder und Sündenböcke konstruiert, die in einer vereinfachten dichotomen Sichtweise (Gut vs. Böse, Freund vs. Feind) als Erklärungen für diese Missstände präsentiert werden.

Rechtspopulistische Politiker bedienen sich dabei diffuser Ressentiments, Emotionen und Unzufriedenheiten in der Bevölkerung. Sie machen Angst und gaukeln einfache Lösungen vor. Diese neue Klasse postdemokratischer Rebellen nimmt für sich in Anspruch, das auszusprechen, was viele denken, aber sich keiner zu sagen traut. Die Botschaften werden milieu- und klassenübergreifend in einer pauschalisierenden Sprache formuliert. Sie sprechen nicht nur gesellschaftliche Ränder an, sondern wirken bis in die politische Mitte hinein. Statt demokratischer Auseinandersetzung mit Inhalten dominieren agitatorische Polemik, kalkulierte Tabubrüche und Verstöße gegen die verbalen Codes der demokratischen Mehrheitskultur.
Populistische Parteien sind typischerweise durch einen Mangel an innerparteilicher Demokratie und den systematischen Aufbau eines Personenkults um den Vorsitzenden gekennzeichnet, der den Aufstand gegen das etablierte System wagt. Dies sind in der Regel schillernde Persönlichkeiten, die im massenmedialen Inszenierungszeitalter die ihnen gebotenen Plattformen - die sie direkt neben das langweilig erscheinende Politikestablishment rücken lassen - zu nutzen wissen. Ihr Machtanspruch wird in der Regel als Notwehrreflex gegen die unfähig-unehrliche, worthülsenproduzierende und visionsarme bestehende Politikerkaste dargestellt.
Als multifaktorielles Phänomen profitiert der Rechtspopulismus zum einen von einer Krise der Repräsentation. Zum anderen hat die beschleunigte Modernisierung in den Industriegesellschaften zu einer wachsenden Auflösung traditioneller Bindungen und Lebensverhältnisse geführt. Sie verleiht ein Gefühl der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Vielfach geht die Angst vor dem sozialen Abstieg um.

Wenn die Globalisierung auch nicht unmittelbar das verstärkte Auftreten des Rechtspopulismus nach sich zieht, so besteht doch ein Zusammenhang. Die mit der desintegrierenden Wirkung der Globalisierung einsetzenden Veränderungen der Sozialstruktur haben die Rahmenbedingungen für nationalstaatlich organisierte Demokratien dramatisch verändert. Ökonomische Instabilität, wachsende soziale Ungleichheit und der Bedeutungsverlust des Nationalstaates haben tendenziell zu einer Demokratieentleerung geführt. Unter diesen Rahmenbedingungen kann populistische Politik prächtig gedeihen.

Die Wählerpotentiale werden in einigen Ländern auf 15-30% geschätzt. In Hamburg-Wilhelmsburg erreichte Schill in einigen Wahllokalen sogar über 40%. Die Wähler stammen aus allen sozialen Schichten und rekrutieren sich aufgrund unterschiedlicher Umstände:

- Protestwähler, die sich gegen den überbordende Staat und das Dahinregieren der etablierten Parteien wenden,

- Wechselwähler, die aufgrund der Auflösung traditioneller Milieu- und Parteizugehörigkeiten zusehends politisch wie gesellschaftlich orientierungsloser werden,

- Politikverdrossene, für die ein Aufbrechen des bestehenden Parteiensystems eine attraktive Alternative zum Nichtwählen darstellt,

- Modernisierungsgegner, die fürchten, zu den abstiegsbedrohten Gruppen - nicht nur im materiellen Sinne - zu gehören.

Die vergleichsweise begrenzten Erfolge rechtspopulistischer Parteien in Deutschland sind sowohl auf politisch-kulturelle wie institutionelle Barrieren zurückzuführen. Sie erklären sich einerseits aus historischen Bezugnahmen, die die Rechtsparteien schnell in die Nähe zum Nationalsozialismus rücken. So wird in Deutschland offener Rassismus aufgrund der NS-Vergangenheit stärker als in anderen europäischen Gesellschaften tabuisiert, was zu einem Ausweichen der Rechtspopulisten auf Politikfelder wie innere Sicherheit und Kriminalität führt. Andererseits sorgt der Föderalismus dafür, dass die Wähler ihrem Unmut nicht unbedingt bei Bundestagswahlen Luft zu machen brauchen. Stattdessen können sie auf die als unwichtiger empfundenen Landtags- oder Europawahlen ausweichen. Hinzu gesellt sich die Uneinigkeit rechtspopulistischer Strömungen und das Fehlen einer integrierend wirkenden Führungspersönlichkeit wie dies z.B. in Österreich gegeben ist.

Aber nicht nur die Wahlergebnisse sind bei einer Debatte über den Rechtspopulismus in den Blick zu nehmen. Feststellbar ist auch eine sich verändernde Grundatmosphäre in breiten Bevölkerungsschichten. Rechtspopulisten haben sich - besonders in Österreich, Frankreich und Italien - als äußerst erfolgreich erwiesen, die öffentliche Stimmung zu verändern. Sie sorgen für eine mediale Verbreitung ihrer Gedankenwelten, die der Logik der Extreme und Polarisierung folgt. Dies wirkt sich auf die öffentliche Debatte enttabuisierend aus und führt zu einer spürbaren Veränderung von Sprache und Ton in Politik und Gesellschaft. Hinzu kommt, dass etablierte Parteien versuchen, den Wettkampf um die Wählergunst für sich dadurch zu entscheiden, dass sie rechtspopulistische Themen mit der gleichen Emotionalität aufgreifen, mit denen sie von den Rechtspopulisten besetzt wurden. Hier liegen die eigentlichen Gefahren des bis in die Mitte des demokratischen Parteienspektrums reichenden und teilweise aus ihm stammenden Rechtspopulismus. Rechtspopulistische Tendenzen werden nicht von allein verschwinden. Sollen sie sich nicht zu einem selbstverständlichen Bestandteil des politischen Systems verfestigen, dann wären nicht in erster Linie die selbsternannten Volkstribune, sondern der populistische Nährboden in den Gesellschaften insgesamt der Ansatzpunkt für Gegenstrategien.


  W e b d o s s i e r

Bundestagswahlkampf 2002


 
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang