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Neue Zürcher Zeitung, 7. Dezember 2001 Der Bürger als Gewinner in der MediendemokratieKolloquium zur Wechselwirkung zwischen Medien und Politik Je höher die Informationsflut steigt, desto schwerer ist es, den Bürger zu beeindrucken. Deshalb werden in der Politik Auftritte der Prominenz und Parteitage sorgfältig inszeniert. Einguter Berater muss abstrakte Sachverhalte in eingängige Symbole verwandeln können. Der erfolgreiche Politiker braucht hingegen die Fähigkeit, nicht nur unterschiedliche Zuhörer zu beeindrucken, sondern auch durch schlagfertige Antworten in Talkshows und Unterhaltungssendungen eine gute Figur zu machen. Welche Rolle da noch Sachkenntnis und die besseren Argumente spielen, war kürzlich Thema eines Kolloquiums in Berlin, das vom Centrum für angewandte Politikforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München organisiert worden war. Willige BotschafterDie Wortführer der politischen PR-Branche taten sich schwer, Sympathie für ihr Metier zu wecken. Für Wahlkämpfe scheint ihre Arbeit zwar unerlässlich. Auch sind die Medien oft willige Träger der jeweiligen Botschaft, in der die Vereinfachungslogik dominiert. Aber wer beispielsweise bei Parteitagen zum Objekt von Inszenierungen gemacht wird, reagiert zuweilen negativ und verlangt mehr Ehrlichkeit. Nicht alle amerikanischen Trends könnten in Europa Fuss fassen, meinten Journalisten. Für Klaus von Dohnanyi, ehemals Erster Bürgermeister Hamburgs, lassen sich Glaubwürdigkeit und Führungsqualitäten gar nicht oder nur auf kurze Zeit inszenieren. Der zeitweilige Berliner Senator Peter Radunski mit viel Erfahrung als Wahlkampfmanager der CDU stimmte dem zu. Zu den Gewinnern der Mediendemokratie gehöre erfreulicherweise der Bürger, der bei entsprechendem Eigeninteresse oft gut informiert sei. Zu den Verlierern, so Radunski, zählten die Parteien. Der Innsbrucker Politikprofessor Fritz Plasser fragte, ob immer mehr private Fernsehanbieter nicht eine Fragmentarisierung der Öffentlichkeit bedeuteten, die danach mit erheblichem Aufwand wieder zusammengefasst werden müsse. Die verneinende Antwort eines Münchner Kollegen basierte auf abschreckenden Erfahrungen mit staatlich verankerten Fernsehmonopolen. Ein zweiter Teilnehmer wollte wissen, wann es je eine nicht fragmentierte Gesellschaft gegeben habe. In der pluralen Welt stellten die Medien in ihrer Gesamtheit sogar eine gewisse Homogenität her. SchnäppchenjägerDie positiv gewertete Rolle der deutschen Provinzzeitungen für eine qualitätsbewusste Information beschäftigte das Kolloquium nur vorübergehend. Sein Wunsch, mit Hilfe renommierter Wahlforscher den Schleier über den Bundestagswahlen im Herbst 2002 schon jetzt lupfen zu können, blieb unerfüllt. Dafür bestätigten die Experten die weiter abnehmende Zahl von Stammwählern, so dass der über die Medien noch beeinflussbare Wechselwähler durchweg den Ausschlag gebe. Der Kölner Wissenschafter Karl Rudolf Korte nannte die Wähler von heute "Schnäppchenjäger", bei denen Lust am Spass mit Ernsthaftigkeit abwechsle. Mit alten Mustern lasse sich diese Gesellschaft nicht mehr beschreiben, meinte er. Es dominiere Flexibilität, die man auch bei Politikern voraussetze. Ob sich diese Eigenschaft mit Stabilität und Glaubwürdigkeit in einer Person vereinen lässt, blieb offen. |