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Die Transformation der DDR - Verfahren und Resultate

Demokratie und Interessenausgleich

Helmut Wiesenthal: Die Transformation der DDR - Verfahren und Resultate, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 1999, ISBN 3-89204-845-2

Die Transformation Ostdeutschlands in den Jahren 1989 und 1990 läßt sich in vielerlei Hinsicht als Sonderfall eines Systemwandels bezeichnen. Das Projekt der deutschen Einheit, seine Prozesse und Resultate sind zu einem bevorzugten Gegenstand politischer Kontroversen geworden. Fragen nach den strukturellen Besonderheiten dieser Transformation oder nach möglichen Alternativen sind auch ein knappes Jahrzehnt danach nicht verstummt. Vor diesem Hintergrund untersucht die Studie den Transformationsweg, die Verfahren und Resultate des deutschen Vereinigungsprozesses aus einer betont distanzierten und vergleichenden Perspektive.

Strategie der Transformation: Die in der Transformation Ostdeutschlands angewandte Strategie räumte der Herstellung von institutioneller Gleichheit zu Westdeutschland Vorrang ein. Die Herstellung baldiger und vollständiger Einheit war wichtiger als das Ziel einer maximalen Entwicklung der DDR. Diese Prämisse mußte den Ostdeutschen nicht aufgenötigt werden, sondern wurde von ihnen selbst artikuliert. Die politisch-institutionelle Transformation wurde dabei von den politischen Akteuren als relativ simpel und in ihren Grundzügen rasch zu verwirklichen eingeschätzt. In der Hochphase gesellschaftlicher Mobilisierung (Nov. 89 - März 90) stand jedoch nicht die Wahl der "richtigen" institutionellen Formen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern die Herstellung von "Sicherheit" im turbulenten Wandel der Lebensbedingungen.

Die sozio-ökonomische Transformation erlangte Priorität, als die Forderung nach staatlicher Vereinigung sich durchgesetzt hatte. Die ökonomischen Interessen der Ostdeutschen liefen mit der westdeutschen Präferenz der Beibehaltung des vorhandenen Systems zusammen. Die ökonomische Risiken eines übergangslosen Systemwandels, wie er mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 vollzogen wurde, wurden einerseits unterschätzt und andererseits bewußt in Kauf genommen. Zur Unter-schätzung ermutigten die Aussicht auf eine Wiederholung des westdeutschen Wirt-schaftswunders der 60er Jahre, die Überbewertung des ostdeutschen Industriepotentials sowie die skeptische Risikobewertung von prinzipiellen Alternativen.

Die Inkaufnahme der auf wesentlich niedrigerem Niveau erwarteten Transformationsko-sten kann mit dem Ziel der politischen Eliten erklärt werden, die westdeutschen Institutionen vor unkontrollierbaren Veränderungsimpulsen zu schützen. Daraus ergaben sich zwiespältige Wirkungen für "Unterstützer" und "Unterstützte": zunächst gewichtige ökonomische Vorteile durch Währungsaufwertung und Einkommensangleichung, sodann aber der Kollaps der internen Wertquellen und die Angewiesenheit auf externe Alimentation, schließlich das Erfordernis einer wie auch immer gearteten Anpassung der Realitäten unter dem Druck erhöhter Ansprüche und verschlechterter Bedingungen.

Zeithorizont und Reihenfolge der Transformationsschritte: Der Zeithorizont, in dem die Schlüsselentscheidungen über die deutsche Einheit getroffen wurden, war extrem kurzfristig. Einerseits sollte ein außenpolitisches "window of opportunity" genutzt werden, andererseits befürchteten die externen Unterstützer gravierende Risiken bei einer verlängerten Existenz der DDR (Soziale Konflikte und Arbeitsmigration, ineffiziente Subventionen, Entwicklung der innenpolitischen Agenda). Die Eliten in der DDR drängten zur baldigen Beendigung der Interimszustandes, als sie bemerkten, daß Westdeutschland keine Garantiefunktion für ein eigenständiges Reformprogramm der DDR-Regierung zu übernehmen bereit war.

Es bestand eine klare Reihenfolge der politischen und ökonomischen Reformschritte. Die politische Liberalisierung erfolgte zunächt informell und setzte sich in die Realisierung und Ergänzung der bereits bestehenden Verfassungsnormen fort. Die anschließende ökonomische Reform empfing ihre wichtigsten Impulse aus der gleichzeitigen Umsetzung mehrerer gravierender Reformen: Preise gemäß Weltmarktbedingungen, offene Gütermärkte, hohe "Mindestlöhne" und Transfereinkommen sowie eine extrem ungünstige Währungsrelation. Der ökonomische Maßnahmenkatalog folgte einer "politischen" Logik. Die rasche Implementation sicherte zwar die Unumkehrbarkeit der Reformen, verringerte aber die Möglichkeiten späterer Feinjustierung bzw. einer "trial-and-error-correction"-Steuerung.

Erfolgsmaße: Die politische Liberalisierung verlieh dem Transformationsprojekt nur für begrenzte Zeit eine Erfolgsnote. Bereits vor Beginn der ökonomischen Reformen setzten sich in der Transformationsgesellschaft ökonomische sowie sicherheitsbezogene Erfolgskriterien durch. Sie beeinflußten entscheidend das Transformationskonzept, und zwar auf Kosten der ökonomischen Rationalität. Wesentliche Randbedingungen der Ökonomisierung der Erfolgsdefinition sind:

  • die Orientierung am westdeutschen Wohlstandssystem bei gleichzeitiger Geltung eines Konzepts, das Ungleichheiten als illegitim ausweist,

  • die allgemeine Verbreitung sozio-ökonomischer Ansprüche und Konsumstandards,

  • unrealistische ("naive") Vorstellung von Möglichkeiten des Wohlstandstransfers. Ökonomische Erfolge der Transformation sind zusätzlich Maßstäben der "Verteilungsgerechtigkeit" unterworfen. Das erklärt, warum auch in der Gruppe der absoluten Gewinner Unzufriedenheit auftritt.

Die im Reformprozeß maßgeblichen Unterstützter verwendeten andere Erfolgsmaße: Unter dem vorrangigen Ziel der Herstellung nationalstaatlicher Einheit rangierten das Erfolgsmaß institutionelle Kontinuität und Integrität sowie die Erfolgskriterien des Parteienwettbewerbs.

Bewertung des Transformationskonzepts: Im Falle der DDR wie in anderen mittelosteuropäischen Ländern hatte die autoritäre Führung ihren Vertrauenskredit und ihre Legitimation für umfassende Reformprogramme vollständig verspielt. Die "alten" Führungsgruppen waren unwiderruflich diskreditiert. Die Vorstellung, daß alle wichtigen Veränderungen kurzfristig nötig und realisierbar seien, beflügelte die gesellschaftliche Mobilisierung. Die den Prozeß der deutschen Einheit bestimmende Orientierung an kurzfristigen Entscheidungen ("Short-Termism") scheint nicht nur sachlich und kontextbedingt, sondern muß auch vor dem Hintergrund der opportunistischen Versuchung des Parteienewettbewerbs betrachtet werden. In allen anderen Transformationsfällen existiert ein wesentlich größerer (mehrere Dekaden umfassender) Zeithorizont.

Das Verlangen, den westeuropäischen Ländern entsprechende Institutionen zu errichten, bestand in allen mittelosteuropäischen Transformationsstaaten. Diese "Homologie-Präferenz" dürfte aus der Zugehörigkeit zu europäischen Kulturtraditionen und Kommunikationsgemeinschaften resultieren. Sie begrenzte die Möglichkeit einer Vertagung von einzelnen als wichtig empfundenen Modernisierungs- und Liberalisierungsschriften. Einzelne Schritte wurden unter Umständen als Indikatoren der Glaubwürdigkeit des ganzen Reformprojektes gewertet; ihre Verschiebung konnte die Kosten der Herrschaftssicherung und gesellschaftlichen Integration erhöhen.

Die Betreuung westdeutscher Eliten mit dem Mandat der Transformation schien zunächst selbstverständlich und relativ problemlos. Die Zuständigkeit der "Stellvertreter" war auf seiten der DDR-Gesellschaft mit erheblichen politischen und materiellen Vorteilen verbunden. In anderen Fällen, in denen externe Unterstützung zu weniger sofort spürbaren Vorteilen führt, scheint der Handlungsspielraum der Unterstützer - und damit auch ihre Effektivität - erheblich geringer. Proteste gegen "Überfremdung" und "Kolonialisierung" tauchten jedoch selbst in den neuen Ländern auf. Das erklärt auch teilweise den unerwarteten Erfolg der PDS bei ostdeutschen Wählern. Des weiteren ist zu erwähnen, daß mit der Mandatsannahme durch die westdeutsche Akteure Gelegenheiten zur einseitigen Vorteilsnahme entstanden, deren Thematisierung lange Zeit vermieden wurde. Ein Beispiel ist die vor dem 1. Juli 1990 verbreitete Praxis ostdeutscher Betriebe, trotz rückläufiger Produktion und Produktivität erhebliche Lohnerhöhungen vorzunehmen.

Externe Unterstützung: Bei Vergleichen, in denen der DDR-Fall Verwendung findet, ist zu beachten, daß alle wesentlichen Elemente des Reformkonzeptes außenpolitisch verhandelt und in nur schwer revidierbaren Staatsverträgen festgelegt worden sind. Dadurch wurden die Risiken schrittweisen Vorgehens, der Unvereinbarkeit von Maßnahmen minimiert. Der Preis dafür lag in der Haftung für die Folgen ineffizienter, suboptimaler und auf Mangel an Kenntnis festgelegter Teilschritte. Sowohl die Erfolge der deutschen Einheit als auch alle Fehler und Risiken sind ferner nur mit Blick auf die Entscheidungsgesichtspunkte und die Optionen der externen Partner erklärbar. Das Spektrum aller gravierenden Einflüsse wird vor allem im Vergleich mit anderen Transformationsländern deutlich. Hier sind mehrere Einflüsse zu nennen:

Auch in der demokratisierten DDR-Gesellschaft von 1990 waren noch die Folgen der Abwanderung von großen Teilen einer potentiellen Elite (vor 1961, 1989 sowie nach dem Fall der Mauer) spürbar. Gleichzeitig war die politische Opposition in der DDR weniger als anderswo auf den Regimewechsel vorbereitet. Regimekritik und Reformdiskurse bewegten sich häufig in einem sehr allgemeinen Rahmen. Das war durch die strenge Sanktionierung "antisozialistischen" Denkens wie durch ein überdurchschnittliches Niveau der ideologischen Integration bedingt. In der Konsequenz waren ostdeutsche Politiker und Intellektuelle 1989 auf praktische Institutionenreformen kaum vorbereitet.

Das durch externe Ressourcen, klare Zielvorgaben und höhere Handlungsfähigkeit der Unterstützer ermöglichte Tempo der Transformation beeinflußte auch die Zusammensetzung der reformpolitischen Agenda. Für eine ausführliche Befassung mit den Defiziten des alten Systems und dem daraus folgenden Reformbedarf mangelte es nicht nur an Kompetenz, sondern auch an Zeit und Gelegenheit. Die Unterstützungsempfänger gerieten in die Position von Klienten, die überwiegend nur per Mängelrüge auf den Prozeß Einfluß nahmen. Im Unterschied zu anderen Ländern hatte sich in der DDR auch nach der Demokratisierung keine pragmatische Reformdiskussion entwickelt. Große Teile der Transformationsgesellschaft blieben über Ausgangssituation, Alternativen und Risiken der Reformpolitik uninformiert. Das erklärt unter anderem ihre geringe Bereitschaft zum "Gratifikationsaufschub".

Die im wesentlichen "außengeleitete" Steuerung des Vereinigungsprozesses durch die Bundesrepublik führte unter anderem zum Vorwurf der "Kolonialisierung Ostdeutschlands". Tatsächlich verfügten aber auch die Unterstützten über Einflußpotential, wenn sie innerhalb der integrierten Organsiationen agierten. Im übrigen wurden die Unterstützer vom Wettbewerb um Wählerstimmen genötigt, an den einst postulierten Zielen festzuhalten und Abweichungen von den gewählten Verfahren zu minimieren. Gleichwohl erscheint die Transformations- bzw. Reformpolitik vielfach auf die Kommunikation von "Forderungen" an Externe reduziert. Weder im Verhältnis der neuen Bundesländer untereinander noch zwischen diesen und anderen Reformländern ist eine Art "Wettbewerb" um Innovations- und Reformerfolge wahrzunehmen. Die faktische Zuständigkeit Externer für das Reformgeschehen begünstigt im übrigen eine falsche Zuschreibung der Ursachen von Mängeln und Unzufriedenheit: Sie werden regelmäßig den externen Unterstützern, nicht aber den Ausgangsbedingungen oder dem eigenen Handeln und Unterlassen zugeschrieben.

Info: Olaf Hillenbrand


 
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