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Arbeitsteilung in der Europäischen Union - die Rolle der Regionen
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Franz H.U. Borkenhagen, Thomas Fischer, Fritz Franzmeyer, Siegfried
Magiera, Peter-Christian Müller-Graf: Arbeitsteilung in der
Europäischen Union - die Rolle der Regionen, Verlag Bertelsmann
Stiftung, Gütersloh 1999, ISBN 3-89204-847-9.
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Zusammenfassung
In seinem einführenden Beitrag nimmt Franz H.U. Borkenhagen eine Standortbestimmung
der deutschen Bundesländer in der Europäischen Union vor. Ausgehend
von der aktuellen Kritik an einer angeblich generellen Blockadepolitik
der Länder gegenüber der Bundesregierung, führt Borkenhagen diesen
Vorwurf auf die Tatsache zurück, daß nicht die Eigenständigkeit der
Länder an sich, sondern der Ländereinfluß in seiner Gesamtheit
auf die Bundesrepublik erhöht wurde. Dieses Schema überträgt der
Autor auf die europäische Ebene und fragt nach der Effizienz und
Zweckmäßigkeit des Ländereinflusses auf die deutsche Europapolitik
über den Bundesrat.
Der Forderung nach Subsidiarität, Dezentralisierung und dem Entstehen
der Europäischen Union von unten nach oben wird durch den neuen Art.
23 Grundgesetz (GG) und durch die Europakammer des Bundesrates Rechnung
getragen. Dabei liegt die Realität des Interessenausgleichs in der
Europapolitik von Bund und Ländern zwischen den beiden Extremen »Blockade«
und »Korrektiv«. Mit Artikel 23 GG, dem Zusammenarbeitsgesetz zwischen
Bund und Ländern in europapolitischen Angelegenheiten, sowie der
Bund-Länder-Vereinbarung sind innerstaatlich Mechanismen geschaffen
worden, die den Föderalismus deutscher Prägung auch auf die Artikulation
deutscher Interessen in der EU übertragen. Dabei ist die Wahrnehmung der
Länder als eine geschlossene Interessenvertretung nicht zutreffend;
vielmehr gilt hier sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene
der Wettbewerb der Regionen untereinander. Eine Reform oder Überarbeitung
des deutschen Föderalismuskonzeptes in bezug auf Effizienz steht auch
aus diesem Grund auf der Tagesordnung. Die Forderung nach einer Beschränkung
der Mitsprache der Länder auf bestimmte Bereiche - hier ist die interregionale
Zusammenarbeit vorrangig zu erwähnen - darf nicht als Auflösung des
bundesrepublikanischen Föderalismus gesehen werden, sondern kommt einer
Neuorientierung gleich, deren Notwendigkeit in der europäischen Integration
selbst liegt. Länderzuständigkeiten müssen in einer europäischen
Zukunft klarer definiert und eindeutiger geregelt werden.
Die Möglichkeiten und Grenzen der Beachtung der dritten Ebene bei der
Kompetenzverteilung in Europa sind das Thema von Siegfried Magiera. Er
konstatiert, daß sich Europa mit staatlichen und zwischenstaatlichen Strukturen
entwickelt, dabei aber bisher nur zwei Handlungsebenen eine Rolle spielten.
Für den weiteren Integrationsprozeß muß die dritte Ebene als Handlungssubjekt,
vor allem im Sinne einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten
und der Europäischen Kommission, stärker einbezogen werden.
Ihr herausragendes Merkmal ist ihre Bürgernähe bezüglich der Entscheidungsinhalte.
Als Problem stellt sich die Heterogenität der dritten Ebene innerhalb
der Mitgliedstaaten der Europäischen Union dar. Die Verfassungsstruktur
der Mitgliedstaaten bietet ein Spektrum von zentralistisch, über regional
bis hin zu föderal organisierten Staaten. Diese Heterogenität setzt
rechtliche und faktische Grenzen der Einbeziehung der dritten Ebene in
den Entscheidungs- und Willensbildungsprozeß innerhalb der Union.
Das derzeit praktizierte Integrationsprinzip mit dynamisch-funktionaler
Kompetenzabgrenzung, sollte nach Einschätzung Magieras mit Hilfe
des Subsidiaritätsprinzips ausgeglichen werden. Eine Fixierung der
europäischen und der mitgliedstaatlichen Kompetenzen auf fest umgrenzte
Sachaufgaben erscheint ihm für Europa noch verfrüht. Darüber hinaus stuft
er einen Kompetenzkatalog als Hemmschuh einer flexiblen und entwicklungsoffenen
Kompetenzverteilung ein. Trotz der unmöglichen Vereinheitlichung der Mitwirkungsrechte
aufgrund der Heterogenität der dritten Ebene, sieht Magiera genau
in dieser eine Chance für den Integrationsprozeß. Denn aus der Vielfalt
heraus kann über interregionale Zusammenarbeit ein gegenseitiger Lernprozeß
und zwischenstaatliches Verständnis erwachsen. Auch der Sachverstand
der dritten Ebene muß vermehrt in den europäischen Willensbildungsprozeß
einbezogen werden. Als Beispiel für die Beteiligung am Integrationsprozeß
werden die deutschen Länder angeführt, deren Instrumente der Mitwirkung
effektiv und mit der Integration vereinbar sind.
Thomas Fischer betont in seinem Beitrag, daß das europäische Handeln
in wachsendem Maße typische Angelegenheiten subnationaler Gebietskörperschaften
betrifft. Die dadurch entstehenden Kompetenzverteilungsprobleme werden
durch die Heterogenität der Regionalstrukturen verstärkt. Vor
allem mit Blick auf die Osterweiterung muß man zudem von einer weiteren
Zunahme der Heterogenität der dritten Ebene ausgehen, die der Etablierung
einer homogenen dritten Ebene in der EU entgegensteht. Darüber hinaus
existiert keine explizite vertragsrechtliche Benennung von Zuständigkeiten
für die Regionen.
Fischer schlägt daher ein gesondertes Subsidiaritätsprotokoll
für typische Regionalangelegenheiten vor. Der Schlüssel zum Erfolg für
die europäischen Kommunen und Regionen liegt im Ausbau ihrer Mitwirkungsrechte
und Kompetenzbestände in den jeweiligen staatlichen Verfassungsordnungen.
Dabei gilt als Rahmenbedingung für das Handeln der Wettbewerb der Regionen
in Verbindung mit einem kooperativen Politikstil. Die umfassende Einbindung
regionaler Akteure bei Politikformulierung und -implementation fördert
dabei das Potential informeller Netzwerkbildung genauso wie das Erstarken
eines regionalen Selbstbewußtseins. Gegenseitiges Lernen und Regionalisierung
als »bottom up-Prozeß« bilden die Grundlage für das Funktionieren grenzüberschreitender
Kooperationen. Eine »Integration von unten« in einem »Europa der Bürger«
kann dabei auch für die Heranführung Osteuropas an die Europäische
Union hilfreich sein. Die optimale Nutzung der politischen Handlungsspielräume
trotz der heterogenen Regionalgliederung in den Mitgliedstaaten sowie
deren Bereitschaft voneinander zu lernen, sind laut Fischer die Kernelemente
für die Stärkung der dritten Ebene.
Fritz Franzmeyer beschäftigt sich mit dem Thema »Zentralisierungs-
und Dezentralisierungstendenzen im europäischen Mehrebenensystem«.
Die Ausweitung der Kompetenzen der EU und der Ausbau ihrer Organe und
Institutionen berührt zwangsläufig die unteren Ebenen. Zugleich werden
im Zuge der Deregulierung die Entscheidungsmöglichkeiten privater Akteure
gestärkt, was wiederum eine zentrale Kontrolle nötig macht. Insgesamt
könnten sich je nach Politikfeld eher zentrale, dezentrale oder föderale
Entscheidungsstrukturen entwickeln. Dabei gilt es für jeden Bereich abzuwägen,
welche Kompetenzen die verschiedenen Ebenen erhalten sollten. Grundsätzlich
betont die ökonomische Theorie die positiven Auswirkungen einer möglichst
großen individuellen Entscheidungsfreiheit, solange es nicht zu unfairen
externen Effekten kommt. Diese Effekte sollten von der Ebene reguliert
werden, die den Kreis der Betroffenen umfaßt. Es gibt also eine optimale,
dem Subsidiaritätsprinzip folgende Föderalität. Franzmeyer diskutiert
die Zentralisierungs- und Dezentralisierungskräfte für die Bereiche
Binnenmarkt, Kohäsionspolitik, Agrar- und Strukturpolitik, sowie
für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Er kommt
zu dem Schluß, daß in den verschiedenen Politikfeldern unterschiedliche
Tendenzen zu beobachten sind. Diese sind daraufhin zu überprüfen, ob sie
zu einer im ausgeführten Sinne vorteilhafteren oder weniger vorteilhaften
Kompetenzverteilung führen. Für den Binnenmarkt beispielsweise sieht Franzmeyer
die Notwendigkeit, einen Wettbewerb verschiedener Regulierungssysteme
so zu organisieren, daß er nicht zu einer Harmonisierung auf niedrigem
Niveau führt.
Im Beitrag von Peter-Christian Müller-Graff wird ebenfalls das Gegensatzpaar
Zentralisierung und Dezentralisierung thematisiert. Der Autor stellt vorab
klar, daß die Zentralisierung in der EU, das heißt die Verstärkung
des Entscheidungsgewichtes auf Unionsebene, nicht mit einer Zentralisierung
in einem Föderalstaat verglichen werden kann. Denn die Entscheidungsmacht
der Union ist immer noch sehr begrenzt und ein Durchsetzen von Entscheidungen
gegen widerstrebende Mitgliedstaaten bleibt fast ausgeschlossen. Basierend
auf dieser Grundannahme widmet sich Müller-Graff den Zentralisierungs-
bzw. Dezentralisierungstendenzen, wobei er diese getrennt nach vertraglicher
Basis und der tatsächlichen Handhabung des Vertragsrahmens untersucht;
er unterscheidet also »Verfassung und Verfassungswirklichkeit«. Mit dem
Vertrag von Amsterdam sind Zentralisierungstendenzen in der Zunahme vergemeinschafteter
Sachgegenstände und im Funktionsausbau der Organe zu erkennen. Eher
dezentralisierenden Charakter hat die Einführung einer »Verstärkten
Zusammenarbeit«.
Bei der Handhabung des Vertragsrahmens ermittelt Müller-Graff eine Tendenzmischung
mit »aber vielleicht doch eher zentralisierender Neigung«. Dezentralisierend
wirken die Nichtumsetzung von Richtlinien, die Nichtbeachtung von Entscheidungen
der Kommission oder des Gerichtshofes, die Infragestellung der Zuständigkeiten
des EuGH oder auch unkorrektes Finanzgebaren der Gemeinschaftsorgane.
Die laufende Verwirklichung des Binnenmarktes - insbesondere im Hinblick
auf die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion - läßt
allerdings die Zentralisierung als stärker erscheinen; die Zentralisierung
geht mit der Europäisierung einher. In seinem Resümee ermittelt Müller-Graff
ein Tendenzenparadoxon, nach dem zunächst als zentralisierend anzusehende
Maßnahmen mit der Umsetzung dezentralisierende Wirkungen entfalten können.
Info: Dr. Claus Giering
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