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Deutsche Europapolitik - Vorschläge zur Effektivierung
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Josef Janning, Patrick Meyer:
Deutsche Europapolitik - Vorschläge zur Effektivierung,
Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 1998, 36 S., ISBN 3-89204-830-4.
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Die deutsche Europapolitik befindet sich in einem Rollenkonflikt: Einerseits
strebt die Bundesrepublik auf europäischer Ebene die Reform der Europäischen
Union, die Währungsunion und die Osterweiterung an, andererseits
besteht heute weniger Bestimmtheit in der Umsetzung von Integrationsprojekten
in Deutschland. Während im europäischen Rahmen wichtige Weichenstellungen
erfolgen, scheint eine zunehmende Zahl von nationalen Entscheidungsträgern
weiteren Integrationsschritten zögerlich gegenüberzustehen. Bei der
Öffnung von Wirtschaft und Gesellschaft nach Osten, in der Finanz- und
Haushaltspolitik im Vorfeld der Währungsunion, bei der Umsetzung
der Binnenmarktregelungen, bezüglich der Stärkung der EU-Kompetenzen
sowie bei der Gewährung von Subventionen weichen europapolitische
Rhetorik und tatsächliches Handeln immer häufiger voneinander
ab. Die Entscheidungsprozesse der deutschen Europapolitik sind zu stark
sektoralisiert und durch ein "Primat der Verfahren" zu inflexibel gestaltet.
Eine nach Amsterdam institutionell kaum reformierte EU bedarf um so mehr
der politischen Führung integrationswilliger Nationen. Deutschland
hat konkrete Gestaltungsinteressen in der EU und muß deshalb eine
Führungsrolle suchen. Die deutsche Europapolitik sollte auf diese
Aufgabe hin das Mischungsverhältnis von Integrationsstrategie, der
Vorschläge zur Fortentwicklung der europäischen Verträge
und der operativ-taktischen Handlungen neu bestimmen. Differenzierte Integrationsformen
auf EU-Ebene sowie eine an Kriterien der Effizienz und Legitimität
orientierte Optimierung der Europapolitik im Binnensystem der Bundesrepublik
müssen Hand in Hand gehen, damit deutsche Präferenzen klarer
sichtbar werden. Mehr innenpolitische Reflexion über die Konsequenzen
europäischer Strategien, die bewußte Förderung öffentlicher
Debatten zur Stärkung der Legitimität der deutschen Europapolitik
und ein effizient koordinierter Beratungs- und Entscheidungsprozeß
der exekutiven und legislativen Akteure sind erforderlich.
Kernpunkt der institutionellen Umsetzung dieser Ziele ist die Auflösung
der Europa-Doppelzuständigkeit von Auswärtigem Amt und Wirtschaftsministerium.
Die Bundesregierung sollte ihre europapolitischen Organisationsstrukturen
durch die Etablierung eines im Kanzleramt ansässigen "Staatsministers
für die Europäische Integration" neu zuschneiden, der mit seinem
Stab den Gesamtrahmen operativer europapolitischer Beratung und Vertretung
koordiniert. Die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes für
die allgemeine integrationspolitische Fortentwicklung der Europäischen
Union und die strategische Kompetenz des Bundeskanzlers würde damit
nützlich ergänzt. Der Staatsminister sollte dem Staatssekretärausschuß
für Europafragen vorsitzen, der mit Hilfe von "Task Forces" die Integrationspolitik
der Bundesregierung aufgabenorientiert strafft, flexibler abstimmt und
frühzeitig auf europäische Prioritäten ausrichtet. Ein
juristischer und ein haushaltsrechtlicher Dienst unterstützen dabei
die Arbeit des Staatsministers und des Ausschusses der Staatssekretäre.
Dem Staatsminister sollte auch die "Ständige Vertretung der Bundesrepublik
Deutschland bei der Europäischen Union" in Brüssel direkt zugeordnet
werden. Auf ministerieller Ebene sind ergänzend flexible und flache
Kommunikationswege und projektbezogene Führungsmechanismen zu etablieren.
Die europapolitisch tätigen Beamten sollten zudem in Praxis und Wissenschaft
fortgebildet werden, externe Experten sind auf Zeit in die Europaarbeit
der Bundesregierung einzubinden.
Der Bundestag sollte in der Europapolitik in seiner strategischen, konsultativen
und kommunikativen Rolle aufgewertet werden. Dazu würde ein mit der
Exekutive abgestimmtes, detailliertes legislatives Integrationsprogramm
beitragen, das für die Bundesregierung, die Fraktionen und Fachausschüsse
des Bundestages, die Interessengruppen sowie die Öffentlichkeit als Orientierungsmarke
und Diskussionsgrundlage dient. Ferner sollte durch eine effiziente Verfahrenskooperation
zwischen EU-Ausschuß und den Fachausschüssen des Bundestages
das Reaktionsvermögen des Bundestages auf Vorlagen aus Brüssel verbessert
werden. Die Berufung einer "Enquete-Kommission Europäische Union"
würde dazu beitragen, sowohl der fachlichen als auch der öffentlichen
Diskussion zu Europathemen neue Impulse zu geben.
Schließlich ist die europapolitische Einflußnahme der Länder
auf regionale und nachbarschaftliche sowie struktur- und wirtschaftspolitische
Aspekte zu konzentrieren. Das EU-Recht muß zügig und gewissenhaft
von den Ländern umgesetzt werden. Auf den weiteren Ausbau der verfahrensmäßigen
Länderrechte in der Europapolitik sollte verzichtet werden. Ergänzend
sollte aber die Beteiligung der Länder an der Meinungs- und Willensbildung
des Bundes zu allen innenpolitisch relevanten Europa-Themen auf flexible
und unbürokratische Weise auf Ressortebene und in den Koordinationsgremien
der Bundesregierung und des Bundestages gestärkt werden. Diese Vorgehensweise
ersetzt zwar nicht die notwendige umfassende föderale Reform auf nationaler
Ebene, die eine Koordinierung der Europapolitik zwischen Bund und Ländern
deutlich erleichtern würde, sie kann jedoch Fehlentwicklungen im
Bund-Länder-Verhältnis ausgleichen.
Die europäische Integration bleibt als Handlungsebene zentral für
die deutsche Politik - gerade deswegen wird die bewußte Wahrnehmung
politischer Orientierung und Führung unerläßlich. Die
europäischen Rahmenbedingungen für eine Führungsrolle der
deutschen Europapolitik erscheinen günstig: Größe, Ressourcen
und Lage machen Deutschland zu einem Schlüsselstaat der Europäischen
Union. Deutschland muß in Europa mit einer Stimme sprechen können.
Führung zu übernehmen bedeutet zudem Mehrarbeit, die ohne entsprechende
personelle und institutionelle Ressourcen nicht möglich ist. Die deutsche
Europapolitik braucht Managementkapazität, konzeptionellen Elan und
einen kohärenten operativen Apparat.
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