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Agenda 2000 - Reform der Gemeinsamen Agrapolitik
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Elmar Rieger: Agenda 2000 - Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik,
Verlag Bertelsmann Stiftung, ISBN 3-89204-841-X, Gütersloh
1999
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Resümee
Die Vorschläge der Kommission im Rahmen der Agenda 2000 bedeuten keine
echte Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Im Gegenteil werden die Subventionstatbestände
erweitert und der Interventionsumfang vergrößert.
Solange das institutionelle System der sogenannten Marktordnungen nicht
angetastet wird, kann es keine freien Agrarmärkte und damit auch keine
Entfaltung betrieblicher Produktivitäts- und Innovationspotentiale geben.
Selbst wenn im Gefolge der Reduzierung institutioneller Preise autonome
Marktbewegungen eine größere Bedeutung gewinnen, vollziehen sie
sich immer im Schatten von Marktordnungen; Preisentwicklungen mit positiven
Wirkungen für betriebliche Einkommen werden von den Landwirten als
verdientes Resultat eigener Anstrengung akzeptiert, solche mit negativen
Wirkungen werden mit Forderungen nach politischen Interventionen beantwortet.
Das Resultat ist eine Status quo-Orientierung sowohl der Agrarpolitik
wie der Betriebe.
Die Reformpolitik muß erstens mit der Einsicht beginnen, daß
der Status quo angesichts veränderter innerer und äußerer Kontexte
nicht mehr zu halten ist, und daß die Agrarpolitik zu einem Problem
für sich selbst wurde. Sie hat sich in immer enger gelegten Interventionsschleifen
der Korrektur von Korrekturen verfangen. Damit hat sie sich auch immer
weiter nicht nur von den tatsächlichen Problemlagen der europäischen Landwirtschaft,
sondern auch von den Präferenzen der Landwirte entfernt. Dem agrarpolitisch
erzwungenen Verhalten der Betriebsleiter entsprechen keine privaten Präferenzen
mehr. Deshalb kann die Gemeinsame Agrarpolitik nicht mehr gerechtfertigt
werden. Ihren Kosten und ihren für Landwirtschaft und Agrarwirtschaft
verhängnisvollen Konsequenzen steht kein ausreichender öffentlicher Nutzen
mehr gegenüber.
Die Trennung des agrarpolitischen Verhaltens der Landwirte von ihren eigentlichen
Überzeugungen konnte deshalb so tiefgreifend und verhängnisvoll werden,
weil die supranationale Organisation der Agrarpolitik Interessenkonfrontation
und damit Interessenklärung verhindert, demokratische Willensbildung in
der Agrarpolitik ausschließt und einer parlamentarischen Ergebniskontrolle
entzieht. In einer freien Abstimmung würde das gegenwärtige agrarpolitische
System bei den Landwirten und bei der Landbevölkerung keine Unterstützung
finden - genausowenig bei anderen sozialen Gruppen. In einer freien Entscheidung
über die Verteilung agrarpolitischer Kompetenzen würde ein Großteil
wieder den nationalen und den regionalen Ebenen zugeordnet.
Diese grundsätzliche Illegitimität der gegenwärtigen Ordnung der Gemeinsamen
Agrarpolitik, die Tatsache, daß sie keinen Rückhalt in den
Überzeugungen der Bürger hat, gibt einer echten Reformpolitik große
Realisierungschancen. Kleine strategische Veränderungen wie die, über
die Kriterien und die Finanzierung der direkten Einkommenshilfen die nationalen
Parlamente bestimmen zu lassen, werden große, systemverändernde
Wirkungen haben.
Trotzdem ist zweitens der Übergang zu einer alternativen Agrarpolitik
eine Aufgabe ausdrücklicher politischer Gestaltung. Das Problem der
Implementation systemverändernder Reformen kann kaum überschätzt
werden. Ein entscheidendes Hindernis ist dies aber nicht, weil an der
unumgänglichen Tatsache, daß der landwirtschaftliche und agrarpolitische
Status quo nicht zu halten ist und deshalb nicht Bezugspunkt des individuellen
und des politischen Verhaltens sein kann, kein Weg vorbeiführt.
Die Frage ist nicht, ob die Agrarpolitik ernsthaft reformiert wird, sondern
wie und mit welchen Ergebnissen. Deshalb ist schließlich drittens
eine Agrarpolitikreform institutionell zu sichern. Dabei kann die Regel-
und Kompetenzenhierarchie so organisiert werden, daß die Reform
ausreichend große Chancen einer Selbstbekräftigung und Möglichkeiten
der Selbstbindung der Entscheidungsträger zum Schutz des einmal Erreichten
erhält.
Bei der inhaltlichen Gestaltung einer alternativen Agrarpolitik müssen
zwei Punkte im Mittelpunkt stehen.
Erstens ist der grundsätzlich lokale Charakter land- und agrarwirtschaftlicher
Probleme zu beachten. Dieses Faktum geographischer Bindung und Abhängigkeit
macht die Agrarpolitik zu einem natürlichen Kandidaten subsidiärer
Verantwortungsverteilung. Agrarökologische und agrarsoziale Kompetenzen
sind regionalen und mitgliedstaatlichen Ebenen zuzuordnen, die Wettbewerbspolitik
der Union und die Grundregeln der Agrarpolitik dem policy-Regime der WTO.
Letzteres ist vor allem deshalb wichtig, weil in einer interdependenten
Welt funktionsfähige transnationale Märkte ein besseres Koordinationsinstrument
sind als das tit-for-tat bilateraler Handelspolitik.
Zweitens sollen agrarpolitische Interventionen zur Korrektur negativer
externer Effekte oder zur Schaffung positiver externer Effekte möglichst
ursachen- bzw. zieladäquat sein.
Info: Roman Maruhn
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