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P o s i t i o n
Licht und Schatten - eine Bilanz der Konventsergebnisse
Von Janis A. Emmanouilidis und Claus Giering - 20. Juni
2003
I. Bilanz der Konventsergebnisse
Das Rad der europäischen Integrationsgeschichte hat sich erneut
gedreht Nach 16 Monaten harten Ringens ist es geschafft: Der Konvent hat
seinen Entwurf einer Verfassung für die Europäische Union vorgelegt.
In einem in sich geschlossenen Text ohne Optionen haben die 105 Konventsmitglieder
und ihre Stellvertreter in vier Teilen und insgesamt 460 Artikeln versucht,
die Europäische Union auf eine neue Stufe zu heben. Doch in vielerlei
Hinsicht konnten die Defizite der bisherigen Vertragsentwicklung nicht
behoben werden. Die undurchsichtige Struktur und die mangelhafte Lesbarkeit
des Gesamttextes, die weit gehende Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips
in der Außen- und Sicherheitspolitik, das Vorschlagsrecht des Europäischen
Rates bei der Auswahl des Kommissionspräsidenten oder die unzureichende
Reform des Ministerrates konterkarieren die Bürgernähe und die
Handlungsfähigkeit eines großen Europa. So wird die erweiterte
Europäische Union ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen können.
Vor allem aber ist das Ergebnis den Bürgern kaum zu vermitteln -
eine gemeinsame europäische Verfassungsidentität wird so nicht
gefördert. Es ist kein vollendeter Verfassungstext, der in einfacher
und abstrakter Form die Grundlagen der EU als Verfassungsgemeinschaft
vermittelt.
Dennoch wurde einiges erreicht, was vor Jahresfrist noch unmöglich
schien. Die Zusammenführung der bisherigen Verträge in einem
Gesamtdokument, die Übernahme der Grundrechtscharta, die Ausdehnung
der Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat und die Festlegung des Mitentscheidungsrechts
des Europaparlaments als Regelverfahren in der Gesetzgebung sind Glanzpunkte
der Konventsarbeit. Diese und andere Fortschritte heben die bestehenden
Verträge auf ein neues Niveau. Zurecht spricht der Entwurf selbst
in den Schlussbestimmungen des Teils IV aber von einem "Vertrag über
eine Verfassung".
In der Summe bedeuten die Konventsergebnisse jedoch einen signifikanten
Schritt nach vorn. Sie gehen weit über das hinaus, was wohl eine
Regierungskonferenz erreicht hätte und revidieren einige der größten
Fehlentwicklungen des Vertrags von Nizza. Daher muss nun Sorge getragen
werden, dass diese neue Stufe der Integration auch Verfassungswirklichkeit
wird und in Kraft treten kann. Ohne die richtigen Weichenstellungen droht
die Arbeit des Konvents in der Regierungskonferenz unterzugehen und als
weitere Blaupause ins Archiv der Integrationsgeschichte eingestellt zu
werden.
Die größten Fortschritte der Konventsvorschläge sind
...
-
die Neustrukturierung und die Zusammenführung der bisherigen
Verträge in einem Gesamtdokument;
-
die Verleihung einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit an
die EU;
-
die Übernahme der Grundrechtscharta an herausgehobener Stelle
als zweiter Teil des Verfassungsentwurfs;
-
die Einführung eines von den Staats- und Regierungschefs gewählten
Präsidenten des Europäischen Rates, der Kontinuität,
Sichtbarkeit und Kohärenz in der EU-Vertretung nach innen und
außen bringt;
-
die ab 2009 geplante Verringerung der Anzahl der Kommissare, wodurch
die Kommission auch mit 25 und mehr Mitgliedstaaten handlungsfähig
bleibt und ihren Mitgliedern angemessene Aufgaben übertragen
werden können;
-
die Einführung der Position eines EU-Außenministers;
-
die Einigung auf eine Solidaritätsklausel zur gegenseitigen
Unterstützung im Falle von Terroranschlägen und Katastrophen;
-
die Anerkennung der Euro-Gruppe als eigenständiges Gremium,
das seinen Vorsitz als "Mr. Euro" für zwei Jahre wählt;
-
die Festlegung der qualifizierten Mehrheit im Rat als Regelverfahren
der Beschlussfassung sowie deren Vereinfachung ab 2009;
-
die Festlegung des Mitentscheidungsverfahrens als Regelverfahren
in der Gesetzgebung.
Die größten Defizite der Konventsvorschläge sind ...
-
der schiere Umfang und die komplexe Struktur des Entwurfs sowie
die zahlreichen Doppelungen und Überschneidungen zwischen den
einzelnen Teilen, da sich dadurch die Lesbarkeit der Verfassung für
den Bürger erschwert;
-
die Protokolle und Erklärungen zu den einzelnen Verfassungsteilen,
da sie eine neue Unübersichtlichkeit schaffen und die Regierungskonferenz
geradezu einladen, diese Form der Zusätze und Einschränkungen
inflationär zu nutzen;
-
die unklare Trennung der konstitutionellen von den Ausführungs-
und Detailbestimmungen und damit die vergebene Chance, letztere grundsätzlich
auf der Grundlage eines weniger komplexen Verfahrens verändern
zu können;
-
die weiterhin undurchsichtige Aufgabenverteilung zwischen der EU
und ihren Mitgliedstaaten, da sich die Kompetenzsystematik in Teil
I der Verfassung nicht im Aufbau des Teil III widerspiegelt, da jeweils
eine andere Reihenfolge und Zuordnung der Aufgaben gewählt wurde;
-
die unzulängliche Festlegung der Arbeitsteilung zwischen dem
Präsidenten des Europäischen Rates und dem EU-Außenminister,
da ohne eine klare Rollenverteilung der Einfluss, die Glaubwürdigkeit
und die Sichtbarkeit Europas in der Welt geschwächt werden;
-
die fehlende Trennung in einen Gesetzgebungsrat sowie Formationen
des Ministerrats mit rein exekutiven und koordinierenden Befugnissen,
um so den Anforderungen an eine klare Gewaltenteilung gerecht zu werden;
-
das Vorschlagsrecht des Europäischen Rates bei der Auswahl
des Kommissionspräsidenten, da dies die Bedeutung der Europawahlen
für die Bürger konterkariert;
-
die nationalen Listen zur Auswahl der Kommissare, da der Kommissionspräsident
so nicht unabhängig und eigenständig die Zusammensetzung
seines Kollegiums bestimmen kann;
-
die Nicht-Einführung der Mehrheitsentscheidungen im Rat als
Regelverfahren in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik,
in der Handelspolitik sowie bei Steuerfragen.
II. Analyse des Konventsentwurfs
Die Ergebnisse des Reformkonvents müssen sich an fünf Eckpunkten
messen lassen: Das künftige europäische Grundlagendokument muss
Identität stiften, das Aufgabenprofil der EU schärfen, politische
Führung gewährleisten, die Handlungsfähigkeit eines großen
Europa sichern sowie die Weiterentwicklung des Verfassungsvertrags ermöglichen.
1. Identität stiften
Das Projekt Europa den Bürgern wieder näher zu bringen, ist
ein zentrales Ziel des laufenden Reformprozesses. Ein nachvollziehbares
Grundlagendokument ist daher von größter Bedeutung für
die Identifikation der Bürger mit dem politischen Europa. Der Konvent
hat hier einige wichtige Entscheidungen getroffen. Dazu gehören
vor allem
-
die Zusammenführung der bisherigen Verträge in einem Gesamtdokument;
-
die Verleihung einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit an
die EU;
-
die Übernahme der Grundrechtscharta in die Verfassung an herausgehobener
Stelle als zweiter Teil der Verfassung;
-
die Einigung auf eine Solidaritätsklausel zur gegenseitigen
Unterstützung im Falle von Terroranschlägen und Katastrophen.
Sprachlich und aufgrund eines komplexen strukturellen Aufbaus dürften
die Bürger jedoch Schwierigkeiten haben, sich mit diesem Mega-Vertrag
als ihre Verfassung zu identifizieren:
-
Es ist nicht gelungen, ein knappes und übersichtliches Verfassungsdokument
zu erarbeiten. Der erste Teil ist nicht, wie von vielen vorgeschlagen,
ausreichend, um dem Bürger ein geschlossenes Bild der EU als
Verfassungsgemeinschaft zu vermitteln. Statt dessen erschließen
sich die Rechte und Pflichten, die Ziele und Grenzen der Europäischen
Union erst aus der Lektüre von 460 Artikeln.
-
Hinzu kommt, dass einige essenzielle Bestimmungen zur Rolle der
nationalen Parlamente, zur Verhältnismäßigkeit und
zur Subsidiarität, die nicht nur Einfluss auf die EU-Gesetzgebung
haben, sondern gerade für die Bürger von großem Interesse
wären, unnötigerweise in Protokolle ausgelagert wurden.
Das öffnet Tür und Tor für die Regierungskonferenz,
um weitere Bestimmungen und Relativierungen als Protokolle anzuhängen
und so erneut ein undurchschaubares Dickicht an Vertragsbestimmungen
zu schaffen.
-
Zudem ergeben sich durch die Aufnahme der Grundrechtscharta als
Teil II der Verfassung vielfach Überschneidungen mit Bestimmungen
des ersten Teils - vor allem in Bezug auf die Titel Grundrechte, Unionsbürgerschaft
und demokratisches Leben. Im Ergebnis schränkt dies nicht nur
die Übersichtlichkeit des Textes ein, vielmehr könnten von
einander abweichende Formulierungen auch zu Auslegungsschwierigkeiten
bei der Rechtsetzung und -sprechung führen.
2. Aufgabenprofil schärfen
Zu einem klaren Aufgabenprofil gehört eine eindeutige Arbeitsteilung.
Vor allem muss die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Union und der
mitgliedstaatlichen Ebene das Spannungsfeld zwischen zentripetalen und
zentrifugalen Kräften austarieren. Um künftigen Herausforderungen
gerecht werden zu können, darf eine Kompetenzabgrenzung den Handlungsspielraum
und die dynamische Entwicklungsfähigkeit der Union jedoch nicht übermäßig
beschneiden.
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In diesem Sinne ist es ein Fortschritt, dass nun im ersten Teil
eine Kategorisierung der Kompetenzordnung vorgenommen wurde. Es wurde
festgelegt, in welchen Politikfeldern die EU ausschließliche
Befugnisse hat, welche Aufgaben sich die Union und die Mitgliedstaaten
teilen und in welchen Bereichen die EU nur ergänzend oder unterstützend
tätig werden darf. Für die Koordinierung der Wirtschafts-
und Beschäftigungspolitik, die Außen- und Sicherheitspolitik,
die Verteidigungspolitik sowie für den Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts wurden Sonderregelungen getroffen.
-
Diese Aufstellung schafft per se mehr Klarheit über die Arbeitsteilung
zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten. Doch kann sich daraus de
facto eine Fortführung der nicht mehr sachgerechten Säulenstruktur
ergeben, die sogar noch um eine Säule der offenen Koordinierung
im Raum der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik ergänzt
worden ist.
-
Die Aufgabenkategorien sind nicht in dem Maße klar abgegrenzt
worden, dass damit eine dauerhafte und eindeutige Kompetenzverteilung
vorliegt. Vielmehr sind weiterhin alle relevanten Bestimmungen, die
klar benennen, wer in welchen Politikfeldern mit welchen Mitteln tätig
werden darf, im dritten Teil der Verfassung geregelt. Es wurde also
verpasst, prinzipielle Regelungen für die einzelnen Kategorien
festzulegen, die die Reichweite und Tiefe des Unionshandelns ausreichend
begrenzen. Das Prinzip der Einzelermächtigung, wonach sich die
Kompetenzen der EU aus einer Übertragung der Mitgliedstaaten
herleiten, ist weiter bestimmend und lässt die Kategorien im
ersten Teil eher als Rhetorik denn als justiziables Verfassungsrecht
erscheinen.
-
Zudem spiegelt sich die Systematik der Kompetenzzuordnung des ersten
Verfassungsteils nicht im dritten Teil wider, da jeweils eine andere
Reihenfolge und Zuordnung der Aufgaben der EU gewählt wurde.
So finden sich beispielsweise die ausschließlichen und geteilten
Kompetenzen im dritten Teil nicht entsprechend der Auflistung in Teil
I wieder.
3. Führung gewährleisten
Die Handlungsfähigkeit einer auf 25 und mehr Staaten erweiterten
Union wird maßgeblich von der Fähigkeit der politischen Führungsspitzen
abhängen, strategische Vorgaben zu definieren und deren Umsetzung
in konkrete Politik zu befördern. Das künftige Machtgefüge
der EU muss den gemeinschaftlichen und zwischenstaatlichen Legitimationssträngen
der Union als Verbund von Staaten und Bürgern gleichermaßen
gerecht werden. Hier hat der Verfassungsentwurf einiges bewegt:
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Positiv ist vor allem die Einführung eines von den Staats-
und Regierungschefs gewählten Präsidenten des Europäischen
Rates. Dieser soll die Sitzungen des Europäischen Rates vorbereiten,
diese leiten und darüber Bericht erstatten sowie auf seiner Ebene
- unbeschadet der Zuständigkeiten des Außenministers -
die Vertretung der EU nach außen sicher stellen, was Kontinuität,
Visibilität und Kohärenz in der EU-Vertretung nach innen
und außen bringt.
-
Auch ist eine Stärkung des außenpolitischen Profils
durch die Einrichtung der Position eines europäischen Außenministers
mit Befugnissen erfolgt, die über die derzeitigen Möglichkeiten
des Hohen Vertreters weit hinausgehen.
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Ein echter Durchbruch ist die Verringerung der Anzahl der Kommissare.
Auch wenn dies erst ab 2009 gilt, bleibt die Kommission dadurch mit
25 und mehr Mitgliedstaaten handlungsfähig und ihren Mitgliedern
können angemessene Aufgaben übertragen werden.
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Damit verbunden ist die Stärkung des Kommissionspräsidenten
bei der Festlegung der internen Arbeitsteilung der Kommission, da
er dadurch die Kommission nach sachgerechten Erwägungen und
nicht nach nationalem Proporz gestalten kann. Er kann einzelne Kommissare
auffordern, ihr Amt niederzulegen.
Doch wie schon in Amsterdam und Nizza haben sich die höchsten Hürden
auf dem Weg zur Einigung bei der Anpassung der Führungsgremien befunden:
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Der zu schwach geratene Präsident des Europäischen Rates
droht zur Marionette zu werden. Ein für tatkräftige Persönlichkeiten
letztlich unattraktiver Job ist für die Führung und Außendarstellung
der EU kein Gewinn. Es sollte hier nicht um Symbolik, sondern um mehr
Output-Effizienz im Europäischen Rat gehen. Und dies insbesondere
dann, wenn die EU-Mitgliedstaaten nur auf der Grundlage eines Kompromisses
auf allerhöchster politischer Ebene aktiv werden können.
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Durch die anvisierte Umgestaltung kann es gerade in der Außenpolitik
zu erheblichen Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Präsidenten
des Europäischen Rates und dem neuen Außenminister sowie
zwischen diesen beiden und dem Kommissionspräsidenten kommen.
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Der Außenminister hat zudem eine Zwitterrolle in der Kommission,
die er potenziell auch zu Lasten der Kommission auslegen kann. Er
hat die Möglichkeit, die gesamten außenpolitischen Ressourcen
im Sinne des Europäischen Rates und nicht des Kommissionskollegiums
zu nutzen. Die Kommission steht hier weiter in der Pflicht, ohne echten
Einfluss auf die politische Zielsetzung und Führung zu haben.
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Durch die nationalen Listen zur Auswahl der Kommissare wird der
Kommissionspräsident in seinen Möglichkeiten beschränkt,
unabhängig und eigenständig die Mitglieder und die Größe
seines Kollegiums zu bestimmen.
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Vor allem wird das Machtgleichgewicht zwischen den Institutionen
dadurch in Frage gestellt, dass sowohl der Präsident des Europäischen
Rates wie der Kommissionspräsident letztlich durch den Europäischen
Rat eingesetzt werden. Anstatt dem Europäischen Rat bei der Auswahl
des Kommissionspräsidenten ein Vorschlagsrecht einzuräumen,
sollte der Kommissionspräsident vom Europäischen Parlament
gewählt und daraufhin von den Staats- und Regierungschefs bestätigt
werden. Nur so können die Legitimität und Machtbasis der
Kommission und ihres Präsidenten gestärkt, die Personalisierung
der Europapolitik gefördert und die Bedeutung der Europawahlen
als Wahl- und Kontrollakt für die Bürger gefestigt werden.
4. Handlungsfähigkeit sichern
Die Handlungsfähigkeit der Union erfordert nicht nur politische
Führung, sondern auch wirksame Mechanismen und Verfahrensweisen,
um strategische Absichtserklärungen rasch und sachgerecht in die
politische Wirklichkeit umzusetzen. Gemessen an dieser Forderung weisen
die Vorschläge des Konvents in die richtige Richtung:
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Der Umstand, dass künftig im normalen Gesetzgebungsverfahren
Entscheidungen im Ministerrat in der Regel mit qualifizierter Mehrheit
getroffen werden und das Europäische Parlament ein Mitentscheidungsrecht
genießt, ist ein Erfolg. Ausnahmen, denen zur Folge Entscheidungen
im Rat weiterhin einstimmig beschlossen werden, müssen künftig
explizit aufgeführt werden. Im Ergebnis ergibt sich dadurch eine
substanzielle Verbesserung der Handlungsfähigkeit in einer weiter
wachsenden Union. Nicht zuletzt können dadurch inhaltlich unbegründete
Tauschgeschäfte, wie die zwischen Milchquoten und Steuerfragen,
tendenziell unterbunden werden.
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Positiv zu beurteilen ist auch, dass künftig die neue Ratsformation
"Allgemeine Angelegenheiten und Gesetzgebung" zusammen
mit dem Europäischen Parlament die Gesetzgebung der EU vornimmt.
Vor allem können dadurch in ihrer Wirkung gegensätzliche
Entscheidungen unterschiedlicher Ratsformationen vermieden werden.
Allerdings wäre nur eine explizite Trennung in einen Gesetzgebungsrat
sowie Formationen des Ministerrats mit rein exekutiven und koordinierenden
Befugnissen den Anforderungen an eine klare Gewaltenteilung gerecht
geworden.
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Überfällig war auch die Anerkennung der Euro-Gruppe als
eigenständiges Gremium, das seinen Vorsitz als "Mr. Euro"
für zwei Jahre wählt. Offen gehalten wurde dabei, ob dieser
aus dem Kreise der Minister kommen oder eine externe Persönlichkeit
sein soll.
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Hervorzuheben ist auch die Regelung im Konventsentwurf, der zu
Folge das Europäische Parlament auf der Ausgabenseite volle Haushaltsbefugnisse
erhält und somit Haushalt, Gesetzgebung und Kontrolle in einem
klaren Zwei-Kammer-System gebündelt werden.
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Trotz dieser positiven Einschätzung können die Potenziale
der EU natürlich solange nicht ausgeschöpft werden, wie
immer noch zahlreiche zentrale Entscheidungen mit einem Vetorecht
jedes einzelnen Mitgliedstaates versehen sind. Deshalb sollte es auch
in der Nachbesserungsphase bis Mitte Juli darum gehen, noch möglichst
viele Politikbereiche - vor allem in der GASP, in der Handelspolitik
(Dienstleistungen und geistiges Eigentum) und in Steuerfragen - in
das Verfahren der qualifizierten Mehrheitsentscheidung im Rat zu überführen.
Die Beibehaltung der Einstimmigkeit in diesen Bereichen wird in einer
EU-25-plus zu Blockaden führen, die gerade im Bereich der GASP
letztlich nur durch den Ausweg der differenzierten Integration - gegebenenfalls
auch außerhalb der Verträge - aufgelöst werden können.
5. Fähigkeit zur Weiterentwicklung ermöglichen
Entscheidend für die Beständigkeit der europäischen Verfassung
wird ihre Fähigkeit sein, Dynamik und Stabilität dauerhaft in
Einklang zu bringen. So muss die EU einerseits einen klar umrissenen Grundkonsens
definieren, andererseits jedoch Neuerungen und institutionelle Anpassungen
an veränderte Verhältnisse zulassen.
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Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext der Umstand, dass
der Verfassungsentwurf die in Amsterdam und Nizza eingeführten
Grundlagen einer innerhalb des Vertragsrahmens möglichen flexiblen
Integration spezifiziert und erweitert. Die vertraglichen Regelungen
des Flexibilitätsinstruments der verstärkten Zusammenarbeit
werden in einer übersichtlicheren Form zusammengeführt.
Darüber hinaus werden im Bereich der gemeinsamen Verteidigungspolitik
zwei neue Differenzierungsinstrumente eingeführt: Zum einen sieht
der Verfassungsentwurf eine "strukturierte Zusammenarbeit"
der Staaten vor, die anspruchsvolle Kriterien in Bezug auf ihre militärische
Fähigkeiten, die noch nicht explizit benannt werden, erfüllen.
Zum anderen besteht künftig die Möglichkeit einer "engeren
Zusammenarbeit" auf dem Gebiet der gegenseitigen Verteidigung.
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Zudem wurde sichergestellt, dass die Verfassung nach ihrem Inkrafttreten
auch verändert werden kann. In diesem Punkt sieht der Konventsentwurf
vor, dass künftige Verfassungsreformen von allen Mitgliedstaaten
ratifiziert werden müssen. Sollte diese nach einer Frist von
zwei Jahren nach der Unterzeichung von vier Fünftel der Mitgliedstaaten
ratifiziert worden sein und in gewissen Mitgliedstaaten Ratifikationsschwierigkeiten
auftreten, soll sich der Europäische Rat mit der Frage befassen.
Hier fehlt eine Bestimmung, dass im Falle einer (mehrfachen) Ablehnung
durch einzelne Staaten oder deren Bürger, diese ihre Mitgliedschaft
nach dem neuen Austrittsverfahren, zur Disposition stellen müssen.
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In historischer Perspektive ist sicherlich am dramatischsten, dass
es nicht gelungen ist, alle konstitutionellen Bestimmungen in einem
Dokument zusammen zu führen und im Gegenzug die Ausführungs-
und Detailbestimmungen in gesonderter Form zu behandeln. Dadurch ist
vor allem die Chance vertan worden, letztere grundsätzlich auf
der Grundlage eines weniger komplexen Verfahrens verändern zu
können. Statt dessen bleibt für die Revision der Gesamtverfassung
mit ihren 460 Artikeln ein langwieriges Verfahren bestehen - ein Umstand,
der sich in einer EU der 25 und mehr Mitgliedstaaten langfristig als
äußerst kontraproduktiv erweisen könnte.
Einige Systemfehler sind bereits zu tief verankert, als dass sich daran
noch etwas ändern ließe. Dies gilt vor allem für Umfang,
Struktur und Revisionsmöglichkeiten der Gesamtverfassung. Der Konvent
hat aber noch die Chance, einige Hürden zu nehmen, bevor sich die
Verfassung in der Arena der Regierungskonferenz bewähren muss. Dort
wird sich zeigen, ob der Rahmen der Verfassung stabil und in sich schlüssig
genug ist, um den Änderungsdrang der nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten
als Gesamtkonzept überstehen zu können.
III. Vom Entwurf zur Realisierung
Doch bevor die Verfassung für die Bürger und Staaten der EU
Geltung erlangt, muss sie eine Reihe von Nagelproben überstehen:
Der Verfassungsentwurf des Konvents wurde den Staats- und Regierungschefs
in Thessaloniki vorgelegt; bis Mitte Juli kann der Konvent noch letzte
Hand anlegen; die im Herbst beginnende Regierungskonferenz wird alle Veränderungen
des Status quo kritisch durchleuchten, bevor die Verfassung den Ratifikationsprozess
in 25 Mitgliedstaaten durchlaufen muss; und letztlich müssen die
Bürger die Verfassung als Grundlagendokument der Einheit Europas
akzeptieren. Folgende Weichenstellungen werden daher über das weitere
Schicksal des Verfassungsentwurfs entscheiden:
Erstens sollte der Konvent den zeitlichen Spielraum nutzen, um letzte
Hand an die noch revidierbaren Schwachpunkte des Entwurfs zu legen. Dies
betrifft vor allem die Straffung der Arbeitsweise des Ministerrates sowie
die Abschaffung des Vetorechts, um Stillstand in einer EU mit 25 und mehr
Mitgliedstaaten zu verhindern. Zudem sollte die Wahl des Kommissionspräsidenten
vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Das EP sollte den Kommissionspräsidenten
wählen, der nur noch von den Staats- und Regierungschefs bestätigt
wird.
Zweitens muss verhindert werden, dass die im Herbst 2003 beginnende Regierungskonferenz
das Gesamtpaket aufschnürt und die bereits erreichten Fortschritte
im Streit der nationalen Partikularinteressen zerrieben werden. Der Konventsentwurf
sollte nicht nur ein Vorschlag, sondern die verbindliche Grundlage für
die kommende Regierungskonferenz sein. Für die Regierungskonferenz
sollte zudem ein fester Zeitplan und ein klarer Auftrag festgelegt werden.
Drittens muss bereits jetzt darüber nachgedacht werden, wie der
Verfassungsvertrag den Bürgern nahe gebracht werden kann. Denn letztlich
müssen die Bürger diesen als Identität stiftendes Dokument
der Einheit Europas akzeptieren. Dazu ist eine langfristig angelegte Initiative
nötig, um den Verfassungsvertrag auf europäischer, nationaler,
regionaler und kommunaler Ebene in eine breite Öffentlichkeit zu
tragen. Hier sind die Regierungen und vor allem die Konventsteilnehmer
in der Pflicht - ihr Auftrag ist mit dem Ende der Beratungen in Brüssel
noch nicht abgeschlossen. Nur so kann ein positiver Ausgang der notwendigen
Referenden und Ratifikationsprozesse in den Mitgliedstaaten sichergestellt
werden.
Projekt
Das Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P)
begleitet gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung im Rahmen des Projektes
Systemwandel in Europa
die Arbeit des EU-Verfassungskonvents durch kritische Analysen und strategische
Reformvorschläge. Die Anregungen werden dem Konvent und der Öffentlichkeit
in einem eigens entwickelten Medium - dem Konvent-Spotlight
- regelmäßig zur Verfügung gestellt. Alle bisherigen Ausgaben
zum Download finden Sie unter: www.eu-reform.de.
Ansprechpartner
Janis A. Emmanouilidis
E-Mail: janis.emmanouilidis@lrz.uni-muenchen.de
Dr. Claus Giering
E-Mail: claus.giering@lrz.uni-muenchen.de
Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P)
Maria-Theresia-Str. 21
81675 München
Tel.: +49-89-2180-1300
Fax: +49-89-2180-1329
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