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P o s i t i o n

Zoran Djindjic: Tod eines Handelsreisenden

Eine erste Einschätzung von Folgen und Ursachen

Von Wim van Meurs - 13. März 2003


Gestern nachmittag um 13:30 erlag Premier Zoran Djindjic in einem Belgrader Krankenhaus seine schweren Schussverletzungen und die Regierung verhängte den Ausnahmezustand ...

Nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern auch die eigene Bevölkerung reagierte mit tiefem Entsetzen auf das Attentat eines Heckenschützen. Unter Milosevic wurden verschiedene Prominente Opfer politischer Gewalt, nicht zuletzt dessen Vorgänger Ivan Stambolic, der Oppositionspolitiker Vuk Draskovic oder auch der Extremist und Kriegsverbrecher Arkan. Vor sowie nach dem Sturz von Milosevic im Herbst 2001 wurde bei verschiedenen Anschlägen (u.a. auf Geheimdienstkommandant Momir Gavrilovic und den ehemaligen Polizeichef von Belgrad, Bosko Buha) immer wieder gerätselt, ob es sich wirklich um politische Gewalt oder um kriminelle Abrechnungen handelte.
Auch beim bislang prominentesten Opfer wird besonders in Belgrad mit Spannung auf erste Ergebnisse der Verhöre der zwei oder drei Verhafteten gewartet. Erste Mutmaßungen, auch von Vizepremier Nebojsa Covic im serbischen Fernsehen, verwiesen auf Djindjic jüngstes Vorgehen gegen die organisierte Kriminalität im Lande. Andererseits lässt der Zeitpunkt des Attentats auch auf einen reaktionär-nationalistischen Hintergrund schliessen. Dass die amtierende Präsidentin Natasa Micic umgehend den Ausnahmezustand ausrief, lässt vermuten, dass auch in Belgrad eher an politische Motive gedacht wird.

Das wahrscheinlichste Szenario ist aber eine Kombination aus politischen und kriminellen Motiven. Nicht nur in den bangen Tagen der Konfrontation mit dem Wahlverlierer Milosevic im Herbst 2000, sondern auch bei dessen Verhaftung und Auslieferung am 1. April 2001 konnte Djindjic sich auf die serbischen Sicherheitsdienste und Polizeisondereinheiten verlassen. Sie bildeten auch einen wichtigen Teil seiner serbischen Hausmacht im Kräftemessen mit dem von der jugoslawischen Armee unterstützten Präsidenten Kostunica. Seit längerem wurde darauf hingewiesen, dass die Auseinandersetzung mit diesen bewaffneten Einheiten, die nicht nur in kriminellen Machenschaften verwickelt seien, sondern deren Kommandanten auch auf der Kriegsverbrecherliste von Carla del Ponte stünden, noch aussteht. Just gestern hätte sich die Regierung, so hieß es nach dem Attentat, zu Haftbefehlen gegen Milorad Lukovic und andere (ehemalige) Kommandanten durchgerungen. Befürchtet haben diese wohl an erster Stelle eine Auslieferung an das Tribunal und weniger die serbische Strafjustiz. Ist es nicht abwegig zu unterstellen, dass dieser Schritt, wie die Verhaftung von Milosevic vor zwei Jahren, unter Druck des US-Senats zustande kam, der die Kooperation mit dem Tribunal als Hauptkriterium für Wirtschaftshilfe ansetzt? Dagegen haben die europäischen Hauptstädte mehr Rücksicht genommen auf die innenpolitischen Zwänge, die ein Reformer wie Djindjic ausgesetzt war und auf seine Einschätzung, was in Sachen ICTY machbar und zielführend war, vertraut. Der modus operandi der Attentäter mit zwei Scharfschützen auf einem gegenübergelegenen Gebäude macht dieses Szenario umso plausibler. Dieser Hintergrund lässt auch die sofortige Entscheidung, den Ausnahmezustand auszurufen, der den Einsatz der Armee (an der Stelle der Polizei) ermöglicht, in einem anderen Licht erscheinen.

Mehrere Führungspersönlichkeiten kämen als Nachfolger in Frage, nicht zuletzt Vojislav Kostunica, Vizepremier Nebojsa Covic, Zoran Zivkovic aus Djindjics Demokratischer Partei oder auch der international geschätzte Außenminister Svilanovic. Während viele Politiker aus dem DOS-Bündnis sich gerne über Djindjics dominanten Führungsstil beschwerten und ihn als "der kleine Slobo" titulierten, war auch allen klar, dass das Bündnis ohne ihn weder im Kampf gegen Milosevic noch jetzt im Kampf für Reformen und gegen die immer noch mächtigen nationalistischen Kräfte Bestand haben würde.

Die größte Gefahr nach dem ersten Schock ist nicht ein eher unwahrscheinlicher Rückfall in Nationalismus und Bürgerkrieg. Die Hauptgefahr stellen weitere Verzögerung und Verschleppung der politischen und wirtschaftlichen Reformen im Schlüsselstaat der Balkanregion dar. Ein offener politischer Machtkampf und ggf. Neuwahlen würden ähnlich wie in den letzten beiden Jahren, als Djindjic und Kostunica sich mit allen Mitteln bekriegten, zu weiterer politischer Paralyse und Zeitverlust im Umbau von Staat, Verwaltung und Volkswirtschaft führen. Die erste Entscheidung, die Führung einem siebenköpfigen Gremium zu übertragen, deutet in diese Richtung und erinnert fatal an die Postenrotation und paritätische Besetzung von Führungspositionen aus der Zeit nach Tito. Kein Politiker würde außerdem in der jetzigen Situation heikelste Fragen wie die Implementierung des Belgrader Abkommens mit Montenegro oder gar die Beziehungen zu Kosovo angehen. Eine Verzögerung von Normalisierung und Reform im Inland sowie in der Region würde destabilisierenden Kräften in die Hand wirken. Außerdem steht zu befürchten, dass eine neue Trennlinie durch Südosteuropa, die sich seit längerem abzeichnet, sich verfestigt. Würde Kroatien als EU-Beitrittskandidat zu Rumänien und Bulgarien aufschließen, bliebe ein neuer - kleinerer, aber umso instabilerer - Balkan zurück. Serbien und Montenegro, Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien haben zwar aus Brüssel die Zusicherung einer EU-Perspektive erhalten, können aber kaum Fortschritte bei der Umsetzung der Reformen vorweisen.

Der fünfzigjährige promovierte Politikwissenschaftler und Habermas-Schüler Zoran Djindjic war in Serbien selbst sehr umstritten, war aber gleichzeitig auch die Galionsfigur der Revolution vom Herbst 2001. Schlussendlich war er es, und nicht Präsident Kostunica, der die Auslieferung des Ex-Diktators an das Tribunal in Den Haag durchsetzte. Im Westen galt Djindjic lange Zeit als der bevorzugte Partner: ein Pragmatiker ohne nationalistische Anfechtungen, ein Europäer, ein Intellektueller und ein willensstarker Reformer. Seine erzwungene oder gesuchte Dauerbeschäftigung mit der inneren Machtkonsolidierung durch Taktieren und Paktieren schadete seinem internationalen Renommee zusehends. Dies umso mehr, als er gelegentlich an nationalistische Sentiments appellierte, indem er z.B. neuerdings eine begrenzte Rückkehr serbischer Truppen nach Kosovo vorschlug oder, um seinen nationalistischen Widersachern den Wind aus den Segeln zu nehmen, eine internationale Konferenz über den Status des Kosovo im Sommer 2003 verlangte. Die internationale Gemeinschaft ist (noch) nicht bereit, diese Frage anzugehen und lehnt die serbische Verhandlungsposition - eine Teilung nach ethnischen Grenzen - kategorisch ab.

Dem unermüdlichen Handelsvertreter seines Landes auf dem internationalen Parkett gelang es aber 2001 einen internationalen Schuldenerlass zu erwirken und 1,2 Mrd. $ Wirtschaftshilfe sicherzustellen. Es ist weitgehend sein Verdienst, dass Serbien keine drei Jahre nach einer zehnjährigen Diktatur, die die gesamte Region in Krieg und Elend stürzte, internationale Anerkennung fand: Zoran Djindjic wird Serbien fehlen.


 

 
           
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Aktualisiert am: 28.04.2003   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang