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P o s i t i o n

Strategische Antworten gesucht

Perspektiven von CDU/CSU nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen

Von Andreas Kießling - 27. Januar 2003


Der Schwung des Triumphes am Wahltag trägt eine Regierung selten über die ganze Legislaturperiode. Nahezu alle Sieger haben die leidvolle Erfahrung von Midterm-Verlusten erdulden müssen. Dennoch ist die aktuelle Lage einmalig: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fiel eine Regierung nach einer gewonnenen Wahl so schnell so tief in ein Umfrageloch wie die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Schröder, noch nie konnte sich eine Oppositionspartei unmittelbar nach der Niederlage so hoher Zustimmung erfreuen wie derzeit CDU und CSU. Oberflächlich betrachtet ist die Union somit in einer hervorragenden Ausgangsposition. Die anstehende Landtagswahl in Hessen scheint sie schon so gut wie gewonnen zu haben, wenn auch leise Zweifel angemeldet werden, wie ihr dortiger Koalitionspartner FDP die Causa Möllemann übersteht. Selbst in Niedersachsen hat der "ewige Zweite" Wulff nun eine Chance, den Schröder-Nach-Nachfolger Gabriel abzulösen. Fast vergessen ist bereits, dass die Union die zweite Bundestagswahl in Folge verloren hat. Die Konsequenzen daraus werden - wie vor vier Jahren - wieder nicht diskutiert.

Der Aufstieg der CSU in der Union

Der momentane demoskopische Einbruch der Koalition ist nur vergleichbar mit der Situation von August bis November 1999: Auch hier sackten SPD und Grüne in der Sonntagsfrage auf 30 bzw. 5 Prozent ab, während CDU/CSU auf bis zu 49 Prozent kamen. Die Erfolge der Union bei Landtags- und Europawahlen im Zuge dieses erdrutschartigen Stimmungsumschwungs schienen die Analyse der Ursachen für die Niederlage von 1998 überflüssig zu machen. Jäh gestoppt wurde der Höhenflug - zumindest der CDU - durch die Aufdeckung des Spendenskandals Ende des Jahres 1999. Doch auch er verhinderte die Diskussion von notwendigen programmatischen und parteistrategischen Konsequenzen, weil es galt, im tagtäglichen Krisenmanagement zu bestehen. Jeder kleine Fehler konnte für die CDU-Spitzen in der aufgeheizten Lage karriereriskant werden.

Für die CSU dagegen zeigten sich von 1998 bis 2002 die Vorteile der Parteiautonomie: Der Verlust des Regierungsmandats in Berlin ist für die Christ-Sozialen leichter zu verkraften, da ihre Machtbasis die absolute Mehrheit in Bayern ist, die sie kurz vor der Bundestagswahl 1998 noch einmal ausbauen konnten. Auch vom Spendenskandal der großen Schwester wurde die CSU nur peripher betroffen. Sie präsentierte sich als Stabilitätsanker des bürgerlichen Lagers und als Speerspitze der Opposition. Das fluide Machtverhältnis zwischen den beiden Unionsparteien veränderte sich in dieser Konstellation massiv zugunsten der CSU. Drei Faktoren waren dafür verantwortlich: Zunächst ist dies auf die anhaltende Schwäche der CDU zurückzuführen, die auch nach der Überwindung der höchsten Ausschläge der Spendenkrise ein Führungsdefizit aufwies. Die Doppelspitze Merkel/Merz war keine Handlungseinheit, und beide Akteure wurden immer latent gefährdet durch die Frage nach der zukünftigen Rolle von Roland Koch. Zum zweiten überwand die CSU ihr eigenes Führungsproblem durch den Rücktritt des Parteivorsitzenden Waigel. Die Ausdehnung des "Systems Stoiber" auf die ganze CSU bedeutete das endgültige Ende der langen Übergangszeit seit dem Tod von Franz Josef Strauß. Drittens verhielt sich die kleine bayerische Schwester im Spendenskandal strategisch klug und schlug nicht noch zusätzlich auf die am Boden liegende CDU ein. Deshalb entstand dort keine Wagenburg-Mentalität gegen die CSU, wie dies noch beim offensiven Oppositionskurs von Strauß in den 70er Jahren zu beobachten war.

Bundestagswahl 2002: "Strategischer Sieg" mit großen Optimierungspotentialen

Die logische Konsequenz aus dieser Entwicklung war die Kanzlerkandidatur von Stoiber bei der Bundestagswahl 2002. Die CSU sah sich einmal mehr in ihrer Lieblingsrolle als Erneuerin der ganzen Union, die sie schon beim Sturz von Kanzler Ludwig Erhard Mitte der 60er Jahre und in der Oppositionszeit in den 70er Jahren vergeblich eingenommen hatte. Die CDU sollte und soll vom Erfolgsmodell der CSU lernen - eine Formel, die auch im Hinblick auf die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen bei der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Kreuth 2003 wieder beschworen wurde. Ein oberflächlicher Blick auf das Bundestagswahlergebnis scheint der These durchaus eine gewisse Plausibilität zu verleihen: Der "strategische Sieg", die wiedererlangte "gleiche Augenhöhe mit der SPD" ist in erster Linie auf das hervorragende Abschneiden der CSU zurückzuführen. Die bayerische "Staatspartei" gewann 11 Prozent hinzu, der Stimmenanteil der CDU dagegen vergrößerte sich im übrigen Bundesgebiet nur um knapp mehr als ein Prozent. Doch die Ursache dafür liegt nicht in der Schwäche der CDU alleine, vielmehr ist das vergleichsweise schlechte Abschneiden im Norden und Osten der Republik ein Problem der gesamten Union. Die Erfolgsrezepte des Südens sind nicht eins zu eins auf andere Teile Deutschlands zu übertragen, wo die Union in einem ganz anderen politisch-kulturellen und ökonomischen Umfeld agieren muss. Hierin liegt das Hauptdefizit der Union, das nun nicht durch eventuelle Erfolge bei Landtagswahlen aus dem Blick geraten darf. Insofern gelang auch dieses Mal die Erneuerung der Union aus der CSU heraus nicht.

Die Machtarchitektur zwischen CDU und CSU hat sich nach der Bundestagswahl wieder verschoben. Zwar ging die CSU gestärkt daraus hervor und zog mit 58 Abgeordneten in den verkleinerten Bundestag ein. Innerhalb der Fraktion bildet die bayerische Landesgruppe ein politisches Schwergewicht, welches die CSU als Führungsanspruch interpretieren wird. Doch ist Angela Merkel derzeit die unumstrittene Nummer eins der Union, sie ist die Oppositionsführerin und wird als Gegenspielerin von Gerhard Schröder wahrgenommen. Die Vereinigung von Partei- und Fraktionsvorsitz erlaubt ihr, auch ihre Unions-interne Position weiter zu festigen. Der von Friedrich Merz kurz vor Weihnachten geäußerte Vorwurf zum Vorgehen Merkels bei der Übernahme des Fraktionsvorsitz beweist schlaglichtartig, wie geschickt es die Parteivorsitzende versteht, auf der Klaviatur der Machtpolitik zu spielen und ihre Stellung auszubauen. Die absehbaren Erfolge der CDU bei den nächsten Landtagswahlen wird diese Tendenz verstärken, doch bergen sie auch Probleme für die Union. Fatal wäre es, sich schon für 2006 auf der Gewinnerstraße zu sehen. Das Wählerverhalten ist dazu viel zu flexibel, die Stimmungslagen viel zu labil. Die enormen Ausschläge bei den Landtagswahlen zwischen 1998 und 2002 einmal zugunsten der CDU, dann zugunsten der SPD beweisen die Unvorhersehbarkeit längerfristiger Trends. Die viel zitierte "strukturelle Mehrheitsfähigkeit", die der Union als "geborene" stärkste Kraft im Parteiensystem jedenfalls bis zur deutschen Einheit einen Vorsprung bei der Regierungsbildung zugewiesen hat, hat die Union endgültig verloren.

Strategische Antworten von CDU/CSU

Umso mehr gilt es für CDU/CSU aus einer realistischen Analyse der Bundestagswahl 2002 drei strategische Antworten zu formulieren: Zum einen müssen aus den Defiziten der Wahlkampfführung im engeren Sinn Schlussfolgerungen gezogen werden. Zwar profitierte die Union von der Geschlossenheit, die nicht zuletzt auf die Disziplinierung der CSU durch die Kanzlerkandidatur von Stoiber zurückzuführen ist. Die Mängel des Unions-Wahlkampf sind aber genauso offensichtlich: Die komplizierte Organisation mit Stoiber-Team, Kompetenzteam, Team "40+" und den weiteren Akteuren, wie der CDU-Bundesgeschäftsstelle, der CSU-Landesleitung und der bayerischen Staatskanzlei, verhinderte ein schnelles, konsistentes Reagieren auf spontane unvorhersehbare Ereignisse. Die Union war nur solange gut und lag nur solange in den Umfragen vorn, solange sie selbst die Themenagenda bestimmen konnte. Die Wahlkampfkoordination von zwei Parteien ist naturgemäß schwieriger und komplizierter als das bei einer Partei der Fall wäre. Dies ist der Nachteil, der den bei weitem gewichtigeren Vorteilen der Parteiautonomie von CDU und CSU gegenüber steht. Deswegen muss der Aufbau einer schlagkräftigen Wahlkampfzentrale, die auch außerhalb der eigentlichen Parteistrukturen angesiedelt werden kann, das nächste Mal gelingen, will man nicht wieder auf den letzten Metern verlieren. Zusätzlich wirkte die alleinige Konzentration auf das Thema "Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" monoton und ermüdend. In Zeiten flexibler Wählermärkte entscheidet die beste Inszenierung im Schlussspurt, die genau getimte Zuspitzung zum Wahltag hin. CDU/CSU hatten der Schröder´schen Dramaturgie mit Hartz-Konzept und Irak-Frage nichts mehr entgegen zu setzen.

Zum anderen wird die CDU ihre internen Probleme lösen müssen. Noch immer ist unklar, unter welchem Signum die neue Union in der Nach-Kohl-Ära steht. Ein Sieg bei der Landtagswahl in Hessen wird die Schwierigkeiten weiter verstärken. Zum ersten Mal in der Geschichte Hessens hätte ein CDU-Ministerpräsident zwei aufeinander folgende Wahlen gewonnen. Das wird die Ambitionen von Roland Koch, bundespolitisch ein noch gewichtigeres Wort mitzureden, steigern. Die gerade geklärte Führungsfrage wäre erneut aufgeworfen - zumal die künftige Rolle von Friedrich Merz offen ist. Zurzeit scheint er zwar nicht mehr in der ersten Reihe zu stehen, doch könnte er in einem Machtkampf zwischen Merkel und Koch der lachende Dritte sein. Nicht zu vergessen dabei ist, dass in seinem Heimatverband Nordrhein-Westfalen 2005, also ein Jahr vor der Bundestagswahl, ein neuer Landtag zu bestimmen ist - es bleibt somit ausreichend Zeit für die Vorbereitung einer Spitzenkandidatur.

Doch die Frage nach dem Standort der CDU geht über die Lösung der Führungsfrage hinaus: Wie kann es gelingen, die Stammwähler im Süden der Republik zu halten und zu mobilisieren und gleichzeitig in neue Wählerschichten vorzudringen? Wie kann man gleichzeitig den katholischen Landwirt in Niederbayern und die junge, karrierebewusste Frau in Berlin, Hamburg oder in den neuen Bundesländern für die Union begeistern? Wie kann dabei gleichzeitig die Geschlossenheit der Partei aufrecht erhalten werden? Das sind die Fragen, auf die CDU und die CSU neue kreative Antworten brauchen. Aus der Regionalisierung des Wählerverhaltens muss die Union ihre Konsequenzen ziehen, die nur in einer umfassenden Strategiediskussion gefunden werden können. Wenn sie auch nur die situative Mehrheitsfähigkeit wieder erlangen will, muss die Union konsistente Politikangebote auf den Markt bringen, die trotzdem stärker auf regionale Besonderheiten Rücksicht nehmen. Nur insofern kann die Union von der CSU lernen. Hinzu kommen muss allerdings mittelfristig eine Erweiterung der Koalitionsoptionen. Bei dieser Neupositionierung muss die CDU/CSU einen doppelten Spagat schaffen: Einerseits müssen alte Traditionsbestände und neue Elemente homogen integriert werden, andererseits darf die Regionalisierung nicht das erlangte Maß an Geschlossenheit gefährden.


 
 
           
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Aktualisiert am: 28.04.2003   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang