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P o s i t i o n
Endspiel im Friedensprozess
Von Felix
Neugart - 22. April 2002
Die sich täglich schneller drehende Gewaltspirale zwischen Israelis
und Palästinensern hat eine neue Dimension erreicht. Die Offensive
der israelischen Arme wird zumindest temporär zur Wiederbesetzung
aller Autonomiegebiete führen und die verbleibenden Institutionen
der palästinensischen Autonomiebehörde zerstören. Der Oslo-Prozess
ist damit gescheitert; der 1991 in Madrid begonnene israelisch-arabische
Friedensprozess in ein post-Oslo Endspiel transformiert worden. Die Grundidee
von Oslo, die Konzeption "Gasa und Jericho zuerst", sah ja vor,
über Zugeständnisse in Interimsabkommen eine Vertrauensbasis
für die Lösung der schwierigen Kernprobleme (Grenzen, Siedlungen,
Jerusalem und Flüchtlinge) des Konflikts zu schaffen. Das Ende des
Oslo-Ansatzes bedeutet jedoch nicht, dass die Suche nach Frieden zwischen
Israelis und Palästinensern hoffnungslos geworden ist. Und es bedeutet
natürlich auch nicht, dass die bereits geschlossenen Abkommen keine
Gültigkeit mehr hätten, im Gegenteil, sie bleiben das einzige
organisierende Prinzip zwischen beiden Völkern.
Oslo hat die Bedeutung von Abkommen zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten
auf der Basis "Land für Frieden" gestärkt und eine
Zwei-Staaten-Lösung nachhaltig legitimiert. Der Prozess veränderte
das psychologische Umfeld, initiierte eine bescheidene Ent-Dämonisierung
auf beiden Seiten und schuf die politisch-legalen Normen und ein akzeptiertes
Vokabular, um die israelisch-palästinensischen Beziehungen zu diskutieren.
Verglichen mit 1993 hat sich der Abstand zwischen den Positionen von Israelis
und Palästinensern entscheidend verringert und die Probleme sind
mit sehr viel größerer Präzision definiert. Oslo ermöglichte
es Israel, ein Friedensabkommen mit Jordanien auszuhandeln, und seine
Beziehungen mit einer ganzen Reihe von anderen Staaten zu verbessern,
mit positiven Konsequenzen für Israels Sicherheit und Wirtschaft.
Oslo gab den Palästinensern eine territoriale Basis, eine beschränkte
Selbstverwaltung und eine potentiell fruchtbare Beziehung zu den Vereinigten
Staaten.
Der tiefe Abgrund im Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern
nach der jüngsten Eskalation wird symbolisiert durch die beiden Führungsfiguren
Jassir Arafat und Ariel Scharon, die, getrieben von persönlicher
Feindschaft, keine fruchtbare Vision vom friedlichen Zusammenleben ihrer
Völker haben. Scharon ist nicht bereit, territoriale Zugeständnisse
zu machen und setzt auf die militärische Karte des "Kampfes
gegen den Terrorismus" als kleinsten gemeinsamen Nenner seiner heterogenen
Koalition. Arafat hat sich nie glaubwürdig von terroristischen Anschlägen
distanziert noch versucht, eine tragfähige Basis für die Unterstützung
des Friedensprozesses in der palästinensischen Gesellschaft zu schaffen.
Die Verantwortung der Hauptprotagonisten Sharon und Arafat darf jedoch
nicht den Blick auf die strukturellen Problame des Oslo-Prozesses verstellen,
die maßgeblich zu seinem Scheitern beigetragen haben.
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Die berühmte UN-Resolution 242, die als Grundlage des Oslo-Prozesses
gilt, wird von den Konfliktparteien unterschiedlich ausgelegt. Während
Israel einen territorialen Kompromiss auf der Westbank anstrebt, bestehen
die Palästinenser darauf, dass die Teilung des ehemaligen Mandatsgebiets
Palästina durch ihren Verzicht auf das Territorium des Staates
Israel in den Grenzen von 1948 bereits besiegelt sei. Zusätzlich
verlangt das Prinzip "Land für Frieden" von Israel
die Aufgabe "materielle Güter" (Territorium), während
die Gegenleistung der Palästinenser in "immateriellen Gütern"
(Frieden, Sicherheit) besteht, deren Qualität wesentlich schwieriger
zu kontrollieren ist.
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Auf beiden Seiten wurde nicht entschieden gegen extremistische Gegner
des Friedensprozesses vorgegangen. Signifikante Minderheiten wie islamistische
Gruppen oder die Siedlerbewegung haben den Prozess in Schlüsselsituationen
durch gewaltsame Aktionen beschädigt, z.B. das Massaker im Heiligtum
von Hebron (1994) oder die verheerenden Anschläge auf Linienbusse
in Jerusalem und Tel Aviv (1996). Insbesondere auf palästinensischer
Seite überwog ein ambivalentes, funktionales Verhältnis
zur Gewaltanwendung gegen Zivilisten. Die Israelis dagegen setzten
die Vergrößerung der Siedlungsblöcke in den besetzten
Gebieten fort, so dass die Zahl der Siedler von 120.000 (1993) auf
über 200.000 (2000) anstieg.
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Beide Konfliktparteien haben nie eine öffentliche Diskussion
über die Implikationen einer Zwei-Staaten-Lösung angestrengt.
Die Palästinenser verständigten sich weder über die
Natur des zukünftigen palästinensischen Staates und sein
Verhältnis zu Israel, noch über die Implikationen einer
Einigung für die Flüchtlingsfrage. In Israel beharrte das
politische Establishment hartnäckig auf der "Unteilbarkeit"
Jerusalems und behandelte die palästinensische Entität eher
als Protektorat denn als werdender souveräner Staat.
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Schließlich wurde die Rolle der Ökonomie als Motor regionaler
Kooperation grotesk überschätzt. Aufgrund der langen israelischen
Blockaden und der suboptimalen Verwaltungstätigkeit der palästinensischen
Autonomiebehörde sind Wirtschaftsleistung und Lebensstandard
in den Autonomiegebieten im Verlauf des Prozesses drastisch gesunken.
Ein Ausbruch aus der Spirale der Gewalt ist nur durch die intelligente
Verknüpfung eines Endes der Kampfhandlungen mit der Perspektive auf
substantiellen Fortschritt im politischen Bereich möglich. Die Grundbedürfnisse
der beiden Völker, Sicherheit in anerkannten Grenzen für die
Israelis und das Ende der Besatzung für die Palästinenser müssen
in gleicher Weise verwirklicht werden. Die Konfliktparteien selbst sind
in dieser Situation kaum zu einem echten Durchbruch in der Lage. Diese
Einsicht legt einen starken, koordinierten Eingriff der wichtigsten externen
Akteure, der Vereinigten Staaten und der EU in Koordination mit anderen
Spielern wie Russland, Ägypten, Jordanien und den Vereinten Nationen
nahe. In diesem Zusammenhang ist der Ansatz des saudischen Kronprinzen
Abdullah von enormer Bedeutung, auch wenn seine Vorschläge weder
neu noch originell sind. Die auf dem arabischen Gipfel von Beirut vorgestellte
Initiative artikuliert zu einem entscheidenden Zeitpunkt des Konflikts
die Bereitschaft der arabischen Staaten, zu einer Verhandlungslösung
auf der Basis des Grundsatzes "Land für Frieden" zu kommen.
Ein israelischer Teilrückzug verbunden mit der Räumung einiger
Siedlungen könnte das notwendige Signal für eine Phase der Abkühlung
geben und gleichzeitig durch die räumliche Trennung eine besseren
Schutz vor terroristischen Anschlägen im israelischen Kernland bieten.
Zumindest mittelfristig muss eine weitgehende Trennung zwischen israelische
und palästinensischen Bevölkerungszentren in Betracht gezogen
werden, allerdings unter Berücksichtigung der ökonomischen und
humanitären Bedürfnisse der Palästinenser. Eine internationale
Beobachtermission oder sogar eine Friedenstruppe könnte in diesem
Prozess eine wichtige Rolle spielen, allerdings nur mit einem klaren Mandat
und der Zustimmung beider Seiten. Ist diese nicht gegeben, besteht die
Gefahr einer direkten Involvierung in den Konflikt oder der völligen
Wirkungslosigkeit wie das Beispiel der UNIFIL im Südlibanon gezeigt
hat.
Die Implementierung der im Mitchell-Report vorgesehen vertrauensbildenden
Maßnahmen ist eine wichtige Basis für den Beginn, kann aber
nur der erste Schritt auf dem Weg zur Wiederaufnahme der Verhandlungen
sein. Ein umfassendes Abkommen, das alle Kernfragen löst, mag heute
unerreichbar sein, aber es muss die ultimative Zielsetzung bleiben. Das
Problem könnte durch die graduelle Implementation eines Abkommens
umgangen werden, das einige Paketlösungen enthält, wie sie aus
der europäischen Erfahrung bekannt sind. Die Umrisse einer langfristigen
Lösung sind aus den Vorschläge und Ideen, die in dem Zeitraum
zwischen Camp David (Juli 2000) und Taba (Januar 2001), einschließlich
der Clinton-Vorschläge (Dezember 2000), diskutiert wurden, deutlich
erkennbar. In Taba war der EU-Vermittler für den Nahen Osten Moratinos
sogar der einzige Zeuge einer dritten Partei, der den Verhandlungen beiwohnte
und ein Protokoll über die Diskussionen führte. Der Text dieses
Dokuments, der kürzlich in der liberalen israelischen Tageszeitung
Ha'aretz veröffentlicht wurde, zeigt die Annährung der Positionen
und vielen Schlüsselfragen und skizziert in weiten Teilen ein mögliches
Endstatusabkommens. Auch wenn nicht in allen Bereichen eine Einigung erreicht
wurde, lassen sich folgende Bausteine einer langfristigen Ausgleichs benennen:
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Die Gründung eines palästinensischen Staates in 94-97%
der Westbank und dem gesamten Gasastreifen. Die übrigen 3-6%,
die die wichtigsten Siedlungsblöcke mit ungefähr 80% der
Siedlerpopulation beinhalten, werden von Israel annektiert, wobei
die Palästinenser mit einem adäquaten Stück israelischen
Territoriums kompensiert werden. Die Grenzzone des Jordantals wird
nach einer Übergangszeit Teil des palästinensischen Staates
werden, wobei israelische Frühwarnstationen bestehen bleiben
können.
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Zwei Hauptstädte in Jerusalem. Das jüdische West-Jerusalem
wird die Hauptstadt Israels bleiben, während das arabische Ost-Jerusalem
die Hauptstadt des neuen palästinensischen Staates wird. Die
Palästinenser werden die Souveränität über den
Haram Al-Scharif/Tempelberg-Bezirk erhalten, während Israel die
jüdischen Stadtteile jenseits der grünen Linie einschließlich
des jüdischen Viertels der Altstadt und der Klagemauer (mit Zugang
durch das armenische Viertel) behalten wird.
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Die Rückkehr der Mehrheit der Flüchtlinge in den neuen
palästinensischen Staat oder deren Einbürgerung in einem
Gastland. Nur eine kleine Zahl wird aus humanitären Gründen
die Rückkehr nach Israel in den Grenzen von 1948 erlaubt werden.
Israel wird im Gegenzug Verantwortung für das Schicksal der Flüchtlinge
übernehmen und Kompensationen leisten. Die internationale Gemeinschaft
wird ausreichende Mittel zur Verfügung stellen, um die Eingliederung
in Palästina und anderen Ländern zu finanzieren.
Positionen >>
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N
e w s & E v e n t s
VII. Kronberger Gespräche
zur Zukunft des Nahen Ostens am 18. und 19.01.2002
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