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P o s i t i o n

Berlusconi und Europa

Ein politisches Sündenregister

Roman Maruhn - 15. Januar 2002


Am 5. Januar ist der italienische Außenminister Renato Ruggiero von seinem Amt zurückgetreten. Zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen Ruggiero und dem Kabinett von Ministerpräsident Silvio Berlusconi um den europapolitischen Kurs des Landes gingen diesem Schritt voran. Letzter Streitpunkt waren pessimistische Äußerungen führender Regierungsmitglieder - insbesondere von Verteidigungsminister Antonio Martino und Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti - über die Zukunftschancen des Euro. Berlusconi bezeichnete Ruggiero als ihm verantwortlichen und Aufträge ausführenden Techniker; daraufhin reichte der Außenminister seinen Rücktritt ein.

Nachdem Berlusconi nun auch das Außenministerium leitet, sind in den Reihen des zweitstärksten Koalitionspartners Alleanza Nazionale Stimmen laut geworden, der Parteivorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Gianfranco Fini solle das Amt übernehmen. Dies stößt auf Bedenken der EU-Partner, da die Alleanza Nazionale ihren Ursprung in der neofaschistischen MSI hat.

Über eine Isolation Italiens innerhalb der Europäischen Union wird in den Hauptstädten bereits laut vernehmlich spekuliert.

Europapolitisches Sündenregister

Wie Prognosen bereits vorhersahen, entspricht das europapolitische Handeln der Regierung Berlusconi nicht den Vorstellungen von Kontinuität. Deutlich und im Alleingang wich die neue Regierung bei der Entscheidung über gemeinsame Projekte von den europäischen Partnern ab:

  • Der designierte Wirtschafts- und Finanzminister Tremonti stellt bereits eine Woche nach den Wahlen zwischen dem Fortbestehen der EU-Regionalförderungen für Italien im gegenwärtigen Umfang und der Zustimmung Roms zur Osterweiterung ein Junktim auf.

  • Berlusconi versucht im Juni 2001 die noch amtierende Vorgängerregierung dazu zu bewegen, sich nicht der gemeinsamen Europäischen Verhandlungsstrategie für die Weltklimakonferenz in Bonn anzuschließen. Zwar scheitert dieser Versuch, aber eine einheitliche Position der EU-Partner in den Verhandlungen besonders gegenüber den USA war für die Realisierung des Kyoto-Protokolls von besonderer Wichtigkeit.

  • Die neue italienische Regierung kritisiert beim Besuch des US-Präsidenten Bush indirekt die EU-Partner bezüglich einer abwartenden Haltung gegenüber den Raketenabwehrplänen Washingtons. Rom unterstützt den Kurs der US-Regierung, den ABM-Vertrag zu kündigen.

  • Italien entscheidet sich vorerst gegen die Beschaffung des europäischen Transportflugzeugs A400M. Das Militärflugzeug von Airbus ist ein gemeinsames Großprojekt vieler EU-Partner, um das logistische Rückgrat für die gemeinsamen Krisenreaktionskräfte zu bilden.

  • Ministerpräsident Berlusconi verhindert erst und erschwert schließlich die Einführung eines Europäischen Haftbefehls unter anderem als Reaktion auf den 11. September 2001. Ratspräsident Verhofstadt kann die italienische Regierung zu einem Kompromiss überzeugen. Es entsteht der Verdacht, Rom wolle eine mögliche europaweite Strafverfolgung Berlusconis vereiteln.

  • Beim Gipfel in Laeken blockiert die italienische Regierung die Ortsentscheidung über die Europäisches Lebensmittelsicherheitsbehörde und damit einen Package-Deal über die Verteilung von Europäischen Agenturen auf die verschiedenen Mitgliedsstaaten.


Verlust des nationalen und europäischen Konsens?

Der Rücktritt Ruggieros ist an sich und isoliert betrachtet unproblematisch. Zu stark unterschieden sich die Leitideen des Außenministers von den Positionen europakritischer Akteure wie Verteidigungsminister Martino, Finanz- und Wirtschaftsminister Tremonti und dem populistischen Minister für Reformen Umberto Bossi.

Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi und FIAT-Patriarch Giovanni Agnelli stellten Berlusconi für seinen Amtsantritt eine Bedingung: Ruggiero als international angesehener Fachmann und europafreundlicher Politiker sollte Kontinuität und Akzeptanz der Außenpolitik Roms gewährleisten. Zwar sind die verfassungsmäßigen und formalen Vollmachten des italienischen Präsidenten eher von repräsentativer Natur, aber seit dem Ende der Ersten Republik Anfang der neunziger Jahre und der folgenden Systemkrise des Staates ist sein Einfluss materiell erheblich größer geworden. Zudem verfügt der Staatspräsident über eine Vertrauensposition in der Bevölkerung, die ihm selbst im Tagesgeschäft erhebliches politisches Gewicht verleiht.

Hält die Koalition?

Auch international machte sich das Vertrauen auf Kooperation in der italienischen Europapolitik an der Person Ruggieros fest. Die Erinnerung an bereits vorhandene negative Erfahrungen mit der Regierung Berlusconis aus dem Jahr 1994 ließ sich an den keineswegs herzlichen Reaktionen europäischer Partner auf den Wahlsieg des Mitte-Rechts-Bündnisses ablesen. Unmittelbar nach dem Rücktritt Ruggieros begann europaweit eine Welle kritischer Medienberichterstattung über den europapolitischen Kurs Roms. Wenn die Außenministerien in Berlin und Paris das Ausscheiden Ruggieros bedauern, kommt dies offener Kritik der Regierungen Deutschlands und Frankreichs an Berlusconis Politik gleich.

Die weitere Entwicklung der italienischen Innenpolitik, aber auch des Verhältnisses zwischen Rom und seinen 14 EU-Partnern hält verschiedene Szenarien bereit:

  • Im Fall einer weiteren Verschärfung des Dissenses der Person Berlusconis mit der bestehenden Staatsarchitektur oder den europäischen Partnern ist allein der Koalitionspartner Alleanza Nazionale in der Lage, Konsequenzen zu ziehen und die Regierung zu verlassen. Damit würde die Regierung Berlusconi ihre Mehrheit verlieren. Neuwahlen würden unausweichlich werden. Dieser Annahme steht aber der allgemeine Konsens innerhalb der Alleanza Nazionale entgegen, die Regierung weiter führen zu wollen.

  • Das selbe Ergebnis würde aus dem Szenario eines eskalierten koalitionsinternen Streits um das Außenministerium resultieren. Bisher ist die Besetzung der Ministerämter ausgewogen. Der Anspruch Finis auf ein eigenes Fachressort könnte diese Arithmetik stören, zumal das Ministerium vorher mit einem parteilosen Techniker besetzt war. Letzter Stand ist die klare Aussage Finis, Außenminister werden zu wollen. Offen ist allerdings noch, wie hoch sein politischer Einsatz sein wird, um dieses Ziel zu erreichen.

  • Die Besetzung des Außenministeriums mit Fini von der postfaschistischen Alleanza Nazionale würde zu erheblichen internationalen Protesten führen und den Druck von Außen auf die Regierung massiv erhöhen. Ob dieser von außen kommende Druck - vorrangig von den EU-Partnern - nach den Erfahrungen mit den Sanktionen gegen Österreich ausreichen wird, um innenpolitische Veränderung zu erwirken, bleibt höchst fraglich.

Darüber hinaus dürfen massive innenpolitische Konfliktkonstellationen nicht unberücksichtigt bleiben:

  • Ein "Fall Berlusconi" scheint eher unrealistisch. Einen höheren Wahrscheinlichkeitswert hat hingegen der Dauerkonflikt Berlusconis mit dem italienischen Recht. Immer noch sind Verfahren gegen ihn anhängig. Hierbei interveniert die Regierung offensichtlich, um durch neue Rechtsvorschriften den Regierungschef vor Strafverfolgung zu schützen. Eine rechtskräftige Verurteilung könnte Berlusconis politische Laufbahn vorerst beenden.

  • Ebenso stehen weitreichende im Wahlkampf von der aktuellen Regierung versprochene Reformen aus. Das wichtigste Element hierbei ist eine umfassende Steuerreform, die das italienische Abgabensystem vereinfachen und die Bürger finanziell erheblich entlasten soll. Aufgrund einer fehlenden Gegenfinanzierung und der Bestimmungen des Europäischen Wachstums- und Stabilitätspaktes wurde die Steuerreform auf unbestimmte Zeit - unter Umständen auch erst auf die nächste Legislaturperiode - verschoben. Dies könnte Berlusconi einen guten Teil seiner politischen Zustimmung in der Bevölkerung kosten.

  • Konfliktreiche zum Teil auch gesellschaftspolitische Entscheidungen der Regierung stehen ebenfalls bevor. So hat bereits eine von der Regierung geplante Schulreform den Widerstand großer Teile der italienischen Schülerschaft mobilisiert. Ein weiterer Konfliktfall steht mit der Neubesetzung von Entscheidungspositionen des staatlichen Rundfunk- und Fernsehsenders RAI an. In diesem Fall wird wiederum der Interessenskonflikt des Regierungschefs evident, dessen Einflussnahme auf die private Mediengruppe MEDIASET unbestritten ist.

  • Die Schwäche des Wirtschaftswachstums wird auch in Italien den politischen Wettbewerb verschärfen. So soll nach dem Arbeitgeberverband CONFINDUSTRIA das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2001 um 1,8 Prozent und im laufenden Jahr um lediglich noch 1,3 Prozent wachsen. Dies sind zwar Werte, die über den entsprechend für Deutschland erwarteten liegen, Italien kann aber auch nur auf eine sehr kurze Periode eines substanzielleren Wirtschaftswachstums zurückblicken.

Fazit

Italien steht vor einer für die meisten europäischen Länder nicht vergleichbaren politischen Situation: Eine Regierung amtiert, deren größte Partei nach beispielsweise deutschem Parteiengesetz - fehlende Binnendemokratie - überhaupt nicht existieren dürfte. Zudem befindet sich die Politik seit knapp zehn Jahren in einer massiven Vertrauenskrise. Ein Großteil der Bürger traut der Wirtschaft und ihren Vertretern, den Unternehmern, selbst im Bereich des Politischen eine höhere Kompetenz zur Problemlösung und Staatsreform zu. Diese Einstellung schwächt auch die sich als politische Kraft zu erkennen gebende aber in sich gespaltene Opposition. Von ihr droht der Regierung gegenwärtig nur ein geringer und kalkulierbarer Druck, der das Fortbestehen des Kabinetts Berlusconi nicht gefährdet.
Das bisherige Regierungshandeln Berlusconis wirkt sich in erster Linie nachteilig auf italienische Verhandlungspositionen in der Europapolitik aus, beginnt aber zudem bereits, die Europäische Integration in einigen Bereichen zu behindern oder gar zu lähmen.

Darüber hinaus ist der politische Bewegungsraum von Ministerpräsident Berlusconi aufgrund potentieller Konflikte innerhalb der Regierungskoalition bereits jetzt stark eingeschränkt.

Festzuhalten bleibt, dass das Ausscheiden des europafreundlichen Ruggiero jeder europäischen Kritik an Berlusconis Regierung Tür und Tor öffnet und die Koalition in Rom voll angreifbar macht. Politische Veränderungen wird dies allerdings nicht ermöglichen, sondern allenfalls erleichtern.


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Roman Maruhn, M.A.
Tel: +49-89-2180-1305
E-Mail: roman.maruhn@lrz.uni-muenchen.de


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