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P o s i t i o n

Bin Laden und der Balkan

Von Wim van Meurs - Dezember 2001


Nicht zuletzt unter der neuen Bush-Administration verfestigte sich in Europa der Eindruck, die Konfliktregion Balkan sei aus der Sicht Washingtons ganz weit weg. Nach dem 11. September 2001 stellt sich die Frage, ob aus dem Blickwinkel von sowohl Brüssel als auch Skopje oder Sarajewo "ground zero" in New York und die neuen Schlachtfelder des Kampfes gegen den Terrorismus in Afghanistan ähnlich weit weg sind. Oder haben die Attentate der islamischen Extremisten nicht nur die Weltordnung geändert, sondern auch auf dem Balkan strategische Veränderungen herbeigeführt. Bei näherer Betrachtung lassen sich kurz- und mittelfristig einige Folgefragen für den Balkan und die europäische Balkanpolitik anreißen.

Taliban auf dem Balkan

Bald nach dem 11. September wurden in der Presse der Region mit neuer Vehemenz Berichte und Gerüchte kolportiert über engste Verbindungen zwischen Muslimen auf dem Balkan und den fundamentalistischen Taliban oder gar Osama bin Laden und seinem Al-Qaida-Netzwerk. Diese Meldungen - in der Sache weder neu noch verwunderlich - wurden rasch von den westlichen Medien aufgegriffen. Angesichts der Konfliktlage der letzten Monate wäre es eher erstaunlich gewesen, hätten nationalistische slavisch-mazedonische Medien in Skopje nicht die "Afghanistan-connection" der albanischen Rebellen um Tetovo eruiert. Ebenso wie Moskau seinen Feldzug gegen die tschetschenischen Rebellen ex post als Terrorismusbekämpfung gutgeheißen sehen möchte, nutzen Nationalisten in Skopje die Chance nachzuweisen, dass der Aufstand der Albaner nicht nur keine einheimischen Wurzeln hat, sondern Teil einer großalbanischen Verschwörung, ja sogar Teil eines weltweiten islamischen grand design sei. Einzelne Politiker in Skopje oder Belgrad möchten als Bürge für regionale Stabilität an Ansehen gewinnen, indem sie ihre Opponenten pauschal als Terroristen darstellen und damit versuchen, in Washington und Brüssel den richtigen Nerv zu treffen.

Gerade da die europäische Stabilisierungs- und Assoziierungsstrategie für die Region umfassend, langfristig und strukturell angelegt ist, haben derartig krude Versuche, vermeintliche Präferenzen für einzelne Staaten oder Volksgruppen zu beeinflussen, wenig Erfolgsaussichten. Lokale Krisen wie in Tetovo oder im Presevo-Tal können kurzfristig die Konditionalität der europäischen Heranführungsstrategie durchkreuzen, aber weder Albaner noch Serben können einen Sonderstatus oder eine Sonderrolle als Stabilisator und bevorzugter Partner in der Region für sich beanspruchen. Die Krise im Presevo-Tal hat dies den Albanern klar gemacht und die Intervention in der mazedonischen Staatskrise hat den anderen ein Zeichen gesetzt.

Am Anfang des Jugoslawien-Konfliktes hieß es, IRA-Söldner würden an der Seite der Kroaten kämpfen und russische "Afgancy" (Afghanistan-Veteranen) mit ihren serbischen Brüdern, während radikale Muslime aus Nahost und Afghanistan die bedrängten Bosniaken verteidigten. Seit dem Dayton-Abkommen gab es nur noch sporadische Meldungen über radikale ausländische Muslime in Bosnien. Unumstritten ist, dass es diese Unterstützung gab und auch, dass es Verbindungen zu gewaltbereiten islamischen Gruppen weltweit gab. Auch wenn Bosnien bislang vielleicht ein relativ sicheres Versteck für islamische Extremisten bot, mögen die Mujahedin des Bosnienkrieges nicht dem FBI-Täterprofil des hochgebildeten Selbstmordattentäters entsprechen. Manche sind nach dem Krieg geblieben, haben geheiratet und sind zu einer gewissen Normalität zurückgekehrt, wie die einheimischen Taliban in Afghanistan selbst, die nach der Zerschlagung des Regimes wieder in der Bevölkerung verschwinden. Sicherlich werden das Ressort "Inneres und Justiz" sowie die Bekämpfung von Terrorismus und seines Nährbodens (organisierte Kriminalität und Staatsschwäche) in der europäischen Balkanpolitik an Stellenwert gewinnen, z.B. im Stabilitätspakt. Solange aber handfeste Beweise über aktive Terroristennetzwerke fehlen und Terroristen in Hamburg studieren oder in Florida eine Flugschule besuchen können, scheint zuviel Aufregung über Bosnien als "Trojanisches Pferd" der westlichen Sicherheit unangebracht.

Herausforderung der europäischen Stabilisierungspolitik
Für ein handlungsfähiges Europa in der neuen Welt(un)-ordnung steht an erster Stelle die Weiterentwicklung von GASP und ESVP zur Debatte. Sind die ursprünglich wohl nur für den Balkan konzipierten schnellen Eingreiftruppen noch auf der Höhe der Zeit? Positiv gewendet stellt sich aber auch die Frage, ob die neuerdings relativ erfolgreiche europäische Balkanstrategie, die neben Krisenmanagement und Militäreinsatz auch Wiederaufbauhilfe und Reformunterstützung umfasst, auf eine post-Taliban Ära übertragbar sei.

Für Afghanistan könnte sich jedoch das "Balkan-Modell" ebenso wie ein "Stabilitätspakt" als Trugschluss erweisen. Noch abgesehen von der Fragilität der europäischen "Erfolge" auf dem Balkan seit dem Ende des Milosevic-Regimes (wie sie in letzter Minute durch den unter Kontrolle gebrachten, aber wohl kaum gelösten Konflikt in Mazedonien unter Beweis gestellt wurde), ist auch die Übertragbarkeit zweifelhaft. Die (wenn auch langfristige) Zusicherung der EU-Mitgliedschaft bietet den Staaten und Völkern des Balkans eine gemeinsame Zielperspektive und bietet Brüssel gleichzeitig einen Hebel, um Reformprozesse zu steuern und im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses zu stimulieren. Langfristig ist eine Insel von Instabilität und Konflikt in einer kontinentalen pax europeana nicht hinnehmbar. Schon ein Blick auf das politische und wirtschaftliche Umfeld Afghanistans macht klar: Nichts Vergleichbares ist für Afghanistan denkbar.
Außerdem ist bei aller Brisanz der ethnischen und territorialen Konflikte auf dem Balkan Staatssouveränität das höchste Ziel: Minderheiten mögen weitgehende Autonomie oder gar Unabhängigkeit anstreben, Staats- und Nationsbildung ist jedoch auch für sie Programm. Wenn man auf dem Balkan von "weak or failing states" spricht, ist die Rede dennoch von demokratisch gewählten Regierungen, deren Souveränität über Territorium und Bevölkerung anerkannt ist und die "lediglich" in der Konzipierung und Umsetzung ambitionierter Modernisierungs- und Integrationsprojekte versagen. Dagegen machte sich in den letzten zwanzig Jahren (oder gar vorher) in Afghanistan niemand Gedanken über Souveränität, die auf einer anderen Legitimationsgrundlage als Zwang, Terror und Kontrolle über strategische Orte basiert. Ein staatsbürgerliches Integrationskonzept, das verschiedene ethnische und religiöse Gruppen in einem durch sein Funktionieren legitimierten Staat integriert, wirkt hier völlig deplaziert. Während Offenheit und Vernetzung die Stärke, aber auch die Verletzbarkeit der hochentwickelten westlichen Gesellschaft ausmachen, macht das Gegenteil vormoderne Regime, die keine nachhaltige Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik oder gar demokratische Legitimation anstreben und sich schlimmstenfalls wieder in die Berge zurückziehen, unangreifbar. Somit fehlen die wichtigsten Prämissen für eine Stabilisierungspolitik nach dem Balkan-Modell, was aber nicht heißen soll, dass die Lektion von zehn Jahren Balkankriegen nicht übertragbar wäre: Militärische Intervention braucht ein ebenbürtiges Programm für humanitäre Hilfe, Wiederaufbau und vor allem ähnliche internationale Entschlossenheit bei der Stabilisierung und Aufbau einer tragfähigen Ordnung danach.

Der Kommentar erschien in der Europäischen Zeitung 12/2001.


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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang