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N e w s  &  E v e n t s

Folgenlose Nachbarschaft? - Spuren der DDR-Außenpolitik in den deutsch-tschechischen Beziehungen

Konferenz der Forschungsgruppe Deutschland in Zusammenarbeit mit der Brücke/Most-Stiftung Dresden/Prag am 24./25. Juni 2004 im Brücke/Most-Zentrum Dresden. Gefördert durch die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

06.07.2004 - Forschungsgruppe Deutschland


Unbestritten ist, dass die DDR Spuren hinterlassen hat in der politischen, kulturellen, gesellschaftlichen und politisch-kulturellen Verfasstheit des vereinten Deutschlands. Während diesen Spuren bereits in zahlreichen Politikfeldern nachgegangen wurde, stellt die Frage nach über den 3. Oktober 1990 hinaus identifizierbaren Wirkungen Ost-Berliner Außenpolitik noch ein Forschungsdesiderat dar. Dieser Befund ist umso bemerkenswerter, als für die Außenpolitik der DDR eine "kaum entwirrbare enge Wechselbeziehung zwischen ideologischer Motivation und macht- bzw. interessenpolitischem Handeln" (Johannes Kuppe) zu konstatieren ist. Beschreiben Ideologien Orientierungsrahmen über den Tag und einzelne Akteure hinaus, ist im Besonderen davon auszugehen, dass Elemente der vom SED-Staat propagierten außenpolitischen Ideologie Eingang fanden in die personalen Normen-, Werte- und Einstellungssysteme der in der DDR Sozialisierten. Zugespitzt ist damit die Frage zu stellen, ob die DDR-Außenpolitik mit 1990 ganz in der bundesrepublikanischen Außenpolitiktradition aufgegangen ist, letztere also auch auf diesem Terrain kolonialisierend im Sinne von traditionsnegierend gewirkt habe, oder ob es nicht vielmehr eine Wiedervereinigung deutsch-deutscher Außenpolitiken im Sinne einer Integration ideologischer Prägeelemente der DDR-Außenpolitik in die bundesrepublikanische Außenpolitiktradition gegeben habe.

Dass die DDR als einziges sozialistisches Land eine Teilnation dargestellt habe und aus diesem Legitimationsdefizit eine sozialistische Übertönung des Deutschlandbegriffes erfolgt sei, verdeutlichte Beate Ihme-Tuchel, wissenschaftliche Assistentin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Weil außerdem das tschechoslowakische Fremdbild des neuen sozialistischen Nachbarn noch von einer Feindbildprägung gekennzeichnet gewesen sei, habe die Ost-Berliner Politik der 50er Jahre vornehmlich darauf abgezielt, sich gegenüber Prag als "unwiderruflich neues Deutschland" zu präsentieren. Maßnahmen wie die Besetzung der diplomatischen Vertretung der DDR in der Tschechoslowakei mit ausgewiesenen Antifaschisten sowie ein "bescheidenes, beinahe devotes Verhalten" begleiten eine dezidierte Freundschaftspropaganda. Mit 1956, als sich sowohl Ost-Berlin wie Prag als Bollwerke des Kommunismus vor allem gegenüber Polen und Ungarn positionierten, erklomm die Nachbarschaft tatsächlich einen Beziehungshöhepunkt, der jedoch keinem uneingeschränkten Vertrauensverhältnis gleichkam. Nachdem die Bundesrepublik bereits 1955 diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion aufgenommen hatte, fürchtete die SED-Spitze nunmehr eine Annäherung zwischen Bonn und Prag über ihren Kopf hinweg. Dass die von Ost-Berlin ausgegebene Parole der "Kampfgemeinschaft" DDR und Tschechoslowakei nur bedingt miteinander verband, da letztere nicht unmittelbar von einem bundesdeutschen Grenzrevisionismus bedroht war, vermochte solche Ost-Berliner Ängste zu stärken. Als darüber hinaus Prag deutlich machte, dass mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 auch das Ost-Berliner-Argument der "Superspezifik" der DDR, womit in Verweis auf ihre Lage an der Nahtstelle zwischen Kapitalismus und Sozialismus besondere Mittel der "Bruderstaaten" eingefordert wurden, nicht mehr gelte und sich die Tschechoslowakei in der Folgezeit außerdem aus der engen sozialistischen Umklammerung zu befreien suchte, befürchtete die DDR endgültig, Prag könne an den Grundfesten der "Kampfgemeinschaft" rühren.

Insgesamt seien die Beziehungen zwischen der DDR und der Tschechoslowakei dem Historiker Jaroslav Kucera von der Karls-Universität Prag nach als "freundschaftlich-kühl" zu charakterisieren. Der Anspruch Ost-Berlins, in allen deutschlandpolitischen Fragen sowie in Fragen der bilateralen Beziehungen zwischen Prag und Bonn federführend die Richtung vorzugeben, sei in der Tschechoslowakei nicht selten als Ost-Berliner Bevormundung interpretiert worden. Zu einer eigenständigen deutschlandpolitischen Positionierung Prags führten jedoch auch diese mentalen Spannungen mit Ost-Berlin nicht. Entsprechende Initiativen entwickelte die Tschechoslowakei weder vor wie nach 1968, stattdessen wurde am bundesdeutschen "Revanchismus" als einer der Legitimationsgrundlagen des politischen Systems der Tschechoslowakei festgehalten. Bilanzierend seien die bilateralen Beziehungen zwischen Prag und Bonn in fünf Phasen einzuteilen: auf eine erste Etappe des "kontaktlosen Zustandes" 1949-1955, in dem lediglich Außenhandelsbeziehungen bestanden, folgte von 1955 bis 1958 eine Zeit der ersten Entspannung, geprägt durch Annäherungsversuche der Tschechoslowakei in Unterbreitung von Vorschlägen zur Normalisierung der Beziehungen. Aufgrund deutschlandpolitischer Fragen sei dagegen im Zeitraum 1958 bis 1962 von einer erhöhten Spannung zu sprechen, die erst 1963 in einer bis 1973 andauernden zweiten Phase der Entspannung mündete. Mit der Normalisierung der Beziehungen im Prager Vertrag 1973 sei der Beginn der letzten, bis 1989 andauernden Etappe der kühlen und spannungsvollen Nachbarschaft anzusetzen.

Widerspruch erntete Kucera mit seiner These, der Prager Frühling und seine Niederschlagung 1968 könnten nicht als einschneidende Zäsur im bundesdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungsgeflecht angesehen werden, da die deutschlandpolitische Blockdisziplin auch in den Folgejahren unvermindert Bestand gehabt hätte. Zwar blieb aufgrund der noch unbefriedigenden Quellenlage die Frage offen, ob mit dem 1968 erfolgten Aufmarsch der Streitkräfte der DDR nahe der Grenze zur Tschechoslowakei auch der Antifaschismus als struktureller Kern des sozialistischen Selbstverständnisses Ost-Berlins im Fremdbild Prags nachhaltig Schaden genommen habe. Zumindest für die gegenseitige Wahrnehmung jedoch müssten, so der Einwurf von Diskutanten, die Ereignisse des Jahres 1968 durchaus als folgeträchtig charakterisiert werden. Der Widerstand der tschechoslowakischen Bevölkerung gegen die sowjetischen Panzer habe in weiten Teilen der DDR-Bevölkerung einen Solidarisierungseffekt ausgelöst. In der Bundesrepublik sei der bis dato nur pauschalisierend als feindliches Regime wahrgenommenen Tschechoslowakei dagegen ein "menschliches Antlitz" verliehen worden. Dass außerdem die nach 1968 ins westliche Exil geflüchteten tschechoslowakischen Exilanten in der Folgezeit einen großen Einfluss auf Oppositionelle in DDR ausübten, ergänzte der aus Jena stammende ehemalige Regimekritiker und Schriftsteller Lutz Rathenow.

Eine größere "emotionale Nähe" und Aufgeschlossenheit zum tschechischen Nachbarn als die Westdeutschen, welche mehr in Kosten-Nutzen-Kategorien denken würden, bescheinigte den Ostdeutschen auch Vladimír Handl vom Institut für Internationale Beziehungen Prag. Während damit auf Mikroebene durchaus ein Fortleben der Kontakte zwischen der DDR und der Tschechoslowakei Bedeutung erlangt, meldete Handl Zweifel an, ob eine solche Wirkung auch in den offiziösen Nachbarschaftsbeziehungen zu identifizieren seien. Zwar stelle Deutschland den wichtigsten Partner der Tschechischen Republik dar und auch die Chancen auf die künftige Entwicklung guter Nachbarschaft seien hoch einzuschätzen. Die erste Phase der Euphorie jedoch, als 1989/90 die bilateralen Beziehungen weniger gestaltet, als ihr innewohnende Bremsmechanismen abgebaut wurden, habe einem durchaus ambivalenten Verhältnis weichen müssen. Mit der beginnenden Normalisierung der bilateralen Beziehungen in der ersten Hälfte der 90er Jahre bemächtigte sich den Nachbarschaftsbeziehung eine ernüchterte Abkühlung, die bis zur Mitte des Jahrzehnt zu einem Tiefpunkt in den Beziehungen führte. Die Entspannung dieser Situation erfolgte allmählich, die deutsch-tschechische Erklärung von 1997 stellte keine radikale Wende dar. Inzwischen könne die Nachbarschaft zwar durchaus positiv als gelebt und europäisiert bezeichnen werden, so stabil, dass sie kurzfristige Krisen wie im Jahr 2002 vorbeugend begegnen und verhindern könne, sei sie jedoch noch keineswegs. Als Problem bewertete Handl dabei weniger die geographische Asymmetrie, als vielmehr die Tatsache, dass die deutsche Politik der Tschechischen Republik nur geringes Gewicht zubillige. Wenn Deutschland aus Prager Sicht auch ein anderer Stellenwert zukomme, sei Berlin doch auch für die tschechische Regierung nur ein Partner neben anderen auf dem europäischen und globalen Parkett. Politischer Wille, die Zusammenarbeit zu vertiefen, sei hüben wie drüben nicht zu erkennen. Auf höchster politischer Ebene des vereinten Deutschlands ist, so konnte dem Vortrag Handls entnommen werden, von der Bedeutung, welche die DDR dem tschechoslowakischen Nachbarn einstmals zollte, kaum noch etwas zu spüren. In der Politik gegenüber ihren ostdeutschen Nachbarn setzte sich mit der Lösung der deutschen Frage vornehmlich die bundesrepublikanische Außenpolitiktradition durch. Statt nach Prag richten sich die Blicke Berlins nunmehr verstärkt nach Polen, das seit jeher eine größere Rolle im politischen Kalkül der Bundesrepublik spielt.

Dass die ehemaligen sozialistischen und kommunistischen Eliten von DDR und Tschechoslowakei den gegenwärtigen außenpolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik ihren Stempel (noch) nicht aufdrücken können, verdeutlichte Helmut Fehr von der Universität im polnischen Rzezówski. Obwohl sowohl die PDS wie auch die Kommunistische Partei Böhmen und Mährens (KSCM) durchaus Erfolge in ihrer Entwicklung seit der Wende vorzuweisen haben, seien ihre Möglichkeiten, außenpolitische Kontinuitätslinien zu der Zeit vor 1989/90 zu ziehen, doch begrenzt. Obwohl der ersten Wahl in der Tschechoslowakei nach der "sanften Revolution" im Juni 1990 eine ausgeprägte antikommunistische Stimmung vorausging, gelang es der KSCM doch, 14 Prozent der Stimmen auf sich zu vereinigen. Ähnlich erfolgreich agierte in Deutschland die PDS, welche bei der Bundestagswahl vom 2. Dezember 1990, die keinem Referendum zur Abwahl der Kommunisten, sondern vielmehr einem Votum für die Wiedervereinigung gleichkam, in den neuen Ländern 11,1 Prozent der Stimmen erzielte. Rasch gelang es der PDS in der Folge, sich als Oppositionspartei zu profilieren, und auch die KSCM ging aus den vom Lustrationsgesetz gekrönten Entkommunisierungskampagnen in der Tschechischen Republik konsolidiert hervor. Inzwischen habe sich die KSCM am linken Rand des Parteienspektrums mit einem stabilen und im wachsen begriffenen Wählerkern profilieren können, sei aber bis dato mit lokalen Ausnahme noch nicht koalitionsfähig. Die PDS hingegen, welche über wenig programmatisches Eigenprofil verfüge, werde inzwischen nicht mehr vorwiegend unter historischen Stereotypen gefasst und - neben ihrer Regierungsbeteiligung auf Länderebene - sogar von der CDU immer ernsthafter als Koalitionspartner in den Kommunen in Betracht gezogen. Könnten somit für die Entwicklung der beiden Milieuparteien durchaus Analogien identifiziert werden, dürften hierfür doch keinesfalls gleiche Erklärungsansätze geltend gemacht werden.

Da die PDS nach Fehr schon rasch nach der Wende einer kapitalistischen Grundsatzkritik entsagte, die KSCM dagegen weiterhin an der kommunistischen Evolutionstheorie festhält, müsste - so ein Hinweis in der Diskussion - auch eine weitere aktive Einbindung der beiden Parteien in politische Entscheidungsprozesse nicht zwangsläufig eine Wiederbelebung alter bilateraler Traditionen aus der Zeit von Sozialismus und Kapitalismus herbeiführen. Allerdings wurde durch zahlreiche Diskutanten gleichfalls deutlich gemacht, dass die gegenwärtige Zusammenarbeit zwischen PDS und KSCM sowohl auf regionaler-grenzüberschreitender wie auch auf Ebene der Parteispitzen außergewöhnlich intensiv sei. So habe die PDS wesentlichen Anteil daran gehabt, dass sich die KSCM nicht eindeutig gegen einen EU-Beitritt der Tschechischen Republik positioniert habe.

Im Gegensatz zu den ehemaligen sozialistischen und kommunistischen Eliten, welche bisher in beiden Ländern kaum Einfluss auf die Außenpolitik des jeweiligen Staates auszuüben imstande sind, ist das Stimmengewicht der früheren Bürgerrechtler und Dissidenten in Deutschland und der Tschechischen Republik unterschiedlich zu bewerten. Eugenie Trützschler von Falkenstein, Mitarbeiterin des Wissenschaftlichen und Parlamentsdienstes des Landtages Thüringen, differenzierte das geläufige Bild, wonach der Einfluss ehemaliger Opponenten in Tschechien als besonders hoch einzuschätzen sei, ohne es zu verwerfen. Zwar hätten in den ersten Jahren mit der Wende zahlreiche Unterzeichner der Charta 77 wie Václav Havel oder Jiri Dienstbier Platz im tschechischen politischen System gefunden. Das vor allem von Chartisten 1989 gegründete Obcanski-Forum jedoch sei derzeit gerade noch mit zwei Senatsvertretern - darunter Präsident Petr Pithard - in den beiden Häusern des tschechischen Parlamentes vertreten. Während an der Staatsspitze stattdessen der Einfluss ehemaliger "68er" auffällig sei, agierten in den untergeordneten bürokratischen Ebenen zumeist noch immer die Protagonisten der alten kommunistischen Zeit. Allein an den Universitäten und in den Medien fänden sich zahlreiche Vertreter des Bürgerforums wieder. Ganz anders laute hingegen der Befund für Deutschland, wo unmittelbar nach der Wiedervereinigung ein Elitenexport von West nach Ost stattgefunden habe, der bis heute die Situation in den ostdeutschen Bundesländern präge, beispielsweise in den Mitarbeiterstäben der Parlamente und Ministerien. Da es gleichwohl gegenwärtig auch in Ostdeutschland zahlreiche Opponenten des SED-Regimes in politischen Schlüsselfunktionen gebe, müsste der Diskussion zufolge im Detail untersucht werden, ob diese Personen ihre auch außenpolitischen Traditionen der DDR-Sozialisierung artikulieren, oder ihre von Westdeutschen dominierten Behörden eine bundesdeutsche Traditionsverlängerung in die Politikgestaltung mit einzubringen vermögen.

Während es damit der Konferenz gelang, auf ihrer schwierigen Suche nach Spuren der DDR-Außenpolitik in den deutsch-tschechischen Beziehungen zahlreiche Forschungsdesiderate aufzuweisen, konnte Michael Weigl vom Centrum für angewandte Politikforschung München (C·A·P) aufzeigen, dass solche Folgewirkungen in der gegenseitigen Wahrnehmung von Deutschen und Tschechen zweifelsohne bestehen. Ausgehend von dem Befund einer aktuellen Studie der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, wonach die Nachbarschaft zu Deutschland bei den Einwohnern der tschechisch-sächsischen Grenzregion mehr Ängste hervorruft als bei den tschechischen Bürgern nahe der bayerischen Grenze, legte er dar, dass hierfür nicht nur die größere ökonomische Attraktivität Bayerns eine Rolle spiele. Vielmehr sei von großer Bedeutung, dass die sächsischen Grenzregionen im Gegensatz zu ihren bayerischen Pendants durch die schleichende Aufgabe der eigenen Lebenswelt in Form des Einwohnerschwundes das Bild einer instabilen, hoffnungsarmen Region vermittelten. Die regionale Selbstdarstellung wirke wenig selbstbewusst, womit sie aber auch für Außenstehende wenig attraktiv erscheine. Hinzu trete, dass Zeitgeschichte in der Regel nicht als Anknüpfungspunkt grenzüberschreitender regionaler Verständigung tauge, wie selbst das Beispiel der deutsch-französischen Aussöhnung zeige, welche weniger die historischen Belastungen ausdiskutiert, als sie unter dem Deckel der gemeinsamen Zukunftsvision "Europa" eingesperrt habe. Übertragen auf die deutsch-tschechische Nachbarschaft bedeute diese Beobachtung, dass das Verhältnis zwischen Sachsen und Tschechen rund 50 Jahre für den grenzüberschreitenden Dialog untaugliche Zeitgeschichte belasteten, welche für das bayerisch-tschechische Verhältnis keine Rolle spielten. Dass die Nachbarschaft zwischen der DDR und der Tschechoslowakei keinesfalls immer die zwischen "Bruderstaaten" war, sich vielmehr auch gegenseitige Vorurteile verfestigten, bedeute eine Hypothek, mit der die sächsisch-tschechische Nachbarschaft trotz der von allen Konferenzteilnehmern gleichermaßen konstatierten großen und im Vergleich zu Bayern größeren Aufgeschlossenheit der Ostdeutschen zu Tschechien konfrontiert sei.

Den Weg, historische Streitthemen gänzlich aus bilateralen sächsisch-tschechischen Kooperationen auszuklammern, wählen die Initiativen der bilateralen Verständigung auf kommunaler Ebene, wie Jörn Timm als Europabeauftragter der Landeshauptstadt Dresden in der die Konferenz abschließenden Podiumsdiskussion betonte. Statt den Blick in die Vergangenheit zu richten, sei es das Ziel, durch Vernetzung einen regionalen Zukunftsraum im Dreiländerdreieck Deutschland-Polen-Tschechien zu schaffen. Ziel dieser "Vernetzungsregion" als Antwort auf die EU-Osterweiterung sei es nicht nur, Chancen für die kommunale Entwicklung zu eröffnen, sondern gleichfalls durch Projekte nach innen die Zusammengehörigkeit und damit regionale Identität zu stärken. Dass diesem grundsätzlich gut zu heißenden Ansatz jedoch erhebliche Probleme im Weg stehen, verdeutlichten sowohl Václav Houžvicka von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften als auch Daniel Kraft von der Brücke/Most-Stiftung Dresden/Prag. Houžvicka verwies auf die andauernde Vernichtung von Arbeitsplätzen und industriellen Standorten im nordwestböhmische Grenzraum, welche die Suche nach einer attraktiven Zukunftsvision für den Peripherieraum erheblich erschwere. Ähnlich argumentierte auch Kraft, der in der stetigen Abwanderung von qualifizierten Personen jüngeren Alters ein gesellschaftspolitisches Dilemma Sachsens erblickt. Während man sich in Tschechien stark für den deutschen Nachbar interessiere und auf ihn viele Hoffnungen für die Zukunft gerichtet seien, würden viele Bewohner der strukturschwachen Regionen Sachsens ihr Heil in den städtischen Zentren oder in Westdeutschland suchen, womit der Perspektive Tschechien immer weniger Gewicht zuerkannt werde; eine Entwicklung, die durch Initiativen wie der von Timm vorgestellten unbedingt revidiert werden müsse. Unterstützung erhielt Kraft in der von Manuela Glaab vom Centrum für angewandte Politikforschung München (C·A·P) moderierten Diskussion. Hier wurde der Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union zwar durchaus als Chance für Sachsen und seine städtischen Zentren gesehen, weniger aber für seine peripher gelegenen Grenzregionen. Ihre strukturelle Schwäche ist Folge der DDR-Wirtschaft wie der Einheit zugleich.


Referenten

Dr. Beate Ihme-Tuchel, Freie Universität Berlin:
Entfremdete "Kampfgemeinschaft": Die Beziehungen der DDR zum "Bruderstaat" Tschechoslowakei

Dr. Jaroslav Kucera, Karls-Universität Prag:
Den Klassenfeind zum Nachbar: Die tschechoslowakisch-bundesdeutschen Beziehungen zur Zeit des "Eisernen Vorhangs"

Dr. Vladimír Handl, Institut für Internationale Beziehungen Prag: Gesamtdeutsch oder westdeutsch? Die Konstruktion deutsch-tschechischer Beziehungen seit der Wiedervereinigung

Prof. Dr. Helmut Fehr, Universität Rzezówski:
Stimmgewaltig oder wortkarg? Der politische Einfluss ehemaliger kommunistischer Eliten in Deutschland und der Tschechischen Republik

Dr. Eugenie Trützschler von Falkenstein, Wissenschaftlicher und Parlamentsdienst des Thüringer Landtages: Ausgediente Helden? Die politische Integration und Partizipation ehemaliger Dissidenten und Bürgerrechtler im deutsch-tschechischen Vergleich

Dr. Michael Weigl, C·A·P/Ludwig-Maximilians-Universität München: Gegenseitige Wahrnehmung seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes, oder: Warum die Tschechen Bayern mehr mögen als Sachsen

Dr. Václav Houžvicka, Institut für Soziologie AV CR Prag

Jörn Timm, Europabeauftragter der Landeshauptstadt Dresden

Daniel Kraft, Leiter Brücke/Most-Zentrum Dresden

Leitung: Dr. Manuela Glaab, C·A·P/Ludwig-Maximilians-Universität München

Podiumsdiskussion: Der Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union: Chance für Ostdeutschland?


Ansprechpartner

Dr. Michael Weigl
E-mail: michael.weigl@lrz.uni-muenchen.de

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Aktualisiert am: 06.07.2004   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang