N e w s & E v e n t s
Die Zukunft des Internet
Vortrag von Dr. Florian Langenscheidt
02.07.2002 - C·A·P
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Dr. Florian Langenscheidt
Foto: Ladwig
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Wie geht es weiter mit dem "Netz der Netze" nach der Bruchlandung
der "Start-Ups". Dr. Florian Langenscheidt - Verleger, Essayist,
Unternehmer, Vordenker - nahm im C·A·P-Kolloquium zu diesem
interessanten Thema Stellung.
Langenscheidt bietet Ihnen eine Wette an. In zehn Jahren - so seine These
- werden sich uns Alltag und Wirtschaft grundlegend verändert darstellen.
Er präsentierte dem Auditorium im C·A·P 33 Thesen zu
einer rasanten Entwicklung des Internet, von denen seiner Ansicht nach
in einer Dekade mindestens 22 Realität werden. Wenn dies nicht so
eintreffen sollte, so Langenscheidt, können Sie ein Essen mit ihm
in der "Paris Bar" in Berlin gewinnen. Urteilen Sie selbst.
Das Internet der Zukunft - 33 Visionen
Es war einmal ein Märchen, wie man es aus Kinderzimmern kennt, nicht
jedoch aus dem harten Wirtschaftsleben. Dieses Märchen handelte von
jungen, schönen Firmen, die für glänzende Ideen und elegante
Charts Millionen Sterntaler einsammeln konnten. Damit wollten sie ungebremstes
Wachstum, Technologie und auch Marketingbudgets finanzieren, von denen
traditionelle Werbechefs nur träumen. Und kurz darauf - so wurde
aus den USA überliefert - würde sich eine Gewinnflut einstellen,
in der alle Angestellten baden könnten und schnell zu Millionären
würden. Die Unternehmen waren bevölkert von jungen Menschen
beiderlei Geschlechts, die voller Energie und Unternehmertum Tag und Nacht
in wohngemeinschaftsähnlichen Büros für die gemeinsame
Sache arbeiteten, nicht zuletzt, weil sie beteiligt sein würden,
wenn aus der Firma ein zweites Microsoft, Cisco oder Yahoo würde.
Statt Kantinenessen bestellte der Chef ganz unhierarchisch Pizza für
alle, wenn man denn überhaupt hungrig wurde und die Gummibärchen
aufgebraucht waren; statt gepflegter Anzüge und disziplinierender
Krawatten trugen alle offene Hemden und T-Shirts; die Betriebsfeste waren
locker und sehr lustig, da sich ohnehin alle duzten und Privates vom Geschäftlichen
schwer zu trennen war; und von Überstunden redete man nicht, denn
dafür hätte man ja wissen müssen, was die Regelarbeitszeit
ist.
Doch wie immer in Märchen: Die Idylle hält nicht lang, das
Paradies wird schnell brüchig. So kam der böse Wolf und brachte
Kurseinbrüche und Konkurse. Und plötzlich hielten die Prämissen
nicht mehr. Optionsprogramme und Mitarbeiterbeteiligungen waren nichts
mehr wert, wenn der Kurs 70 % unter dem Emissionspreis lag. Pizza und
Gummibärchen machten dick und die langen Arbeitstage das Privatleben
kaputt. Dem plötzlich notwendigen Sparkurs fielen die kostenlose
Massage am Arbeitsplatz und manche millionenschwere Werbekampagne zum
Opfer. Betriebsräte wurden gegründet, über Kündigungsschutz
diskutiert und viele variable Gehaltsanteile in feste verwandelt. Wen
interessierten Gewinnbeteiligungen, wenn die Profitabilität im zweiten
Quartal 2005 eintreten würde? Die Miete war am nächsten Ersten
fällig.
Ist dies das Ende vom Märchen? Und von der New Economy, deren Glanz
sich darauf gründete, dass das Internet unser gesamtes Leben und
Arbeiten neu definieren würde?
Nein, denn die Wahrheit liegt, wie meistens, in der Mitte. Der Hype von
1998 bis März 2000 war genauso unrealistisch, wie es der Katzenjammer
seitdem ist. Jeder Kenner der Literatur fühlt sich an Kleists "Marquise
von O..." erinnert, für welche ein gewisser Herr in überschaubarem
Zeitraum Engel und Teufel zugleich ist.
Lassen Sie uns endlich zu einem professionellen Pragmatismus kommen, der
mit Visionen, Chancen, Einschränkungen, Risiken und vor allem dem
Faktor Mensch wirklichkeitsnah und mit einem guten Gefühl für
Proportionen umgeht! Lassen Sie uns überprüfen, was das Netz
der Netze uns Menschen privat wie geschäftlich wirklich bringen kann!
Lassen Sie uns untersuchen, wie es unser aller Alltag einfacher, schneller,
preiswerter, bunter und attraktiver machen kann! Und lassen Sie uns dabei
nicht das technisch Machbare denken, sondern das menschlich Gewünschte!
Als das Fernsehen groß wurde, dachte man, dies sei der Tod der Publikumszeitschriften.
Und was ist heute das größte Segment derselben? Das der Fernsehzeitschriften!
Als das Handy groß wurde, sah man SMS als nette kleine Spielerei
der Ingenieure. Und wie viele solche kleinen Nachrichten der praktischen
oder romantischen Art werden momentan jährlich in Deutschland verschickt?
Über 20 Milliarden!
Was lehrt uns das? Dass Menschen unberechenbar sind in ihren kleinen
Alltagsgelüsten und dass sie Dinge an neuen Medien und Techniken
attraktiv finden, die abseits von den gepriesenen neuen Möglichkeiten
liegen. "Nicht im Jenseits liegt das Paradies, sondern im Abseits"
sozusagen - wenn auch nicht beim Fußball ...
Klar, das Internet ist in der Lage, Transaktionen in allen Lebensbereichen
neu zu definieren - von "Cyberbride", wo ich meine gesamte Hochzeit
online planen kann, bis zum B2B-Markt für zu verschrottende Schiffe.
Es ist unschlagbar, wenn es um Geschwindigkeit, Globalität, Datenmenge
und Individualisierung geht. Aber das sagt noch nichts darüber aus,
welche Funktionen die großen "killer applications" sein
werden.
Schraubenzar Reinhold Würth meinte auch, per Internet könne
jeder Handwerksbetrieb einfacher nachbestellen als bei seinen Außendienstmitarbeiter(inne)n.
Aber niemand wollte das, denn zu angenehm ist offensichtlich der kleine
Kaffee mit dem Vertreter ...
Also: Ein bisschen Bescheidenheit, ein wenig Demut und viel Flexibilität
für den Umgang mit dem Überraschenden - das wünscht man
der New Economy.
Als Anfang der Achtzigerjahre der PC erfunden wurde, dachte man auch,
alles würde nun anders. Die Kurse schossen ähnlich nach oben
wie die des Neuen Marktes in den ersten drei Jahren - und dann kam der
Absturz, und nichts ging mehr für 18 Monate. Wer damals in der schlechten
Phase allerdings nicht das Kind mit dem Bade ausschüttete und solide
Werte wie Compaq, Lotus oder Apple im Portfolio behielt, hat das wahrlich
nicht bereut, als dann die bekannte langfristige Steigerung der Kurse
über viele Jahre hinweg begann. Schützbarer Mehrwert für
den Kunden - darauf sollten Sie schauen, wenn Sie Aktien kaufen oder für
ein Unternehmen arbeiten wollen, und darauf schauen Venture-Capital-Firmen
wie unsere Transatlantic Ventures AG ob in Hamburg oder San Francisco,
wenn sie Geld, Zeit und Know-how in junge Unternehmen stecken!
Die Tatsache, dass noch ganz wenige Internetfirmen Geld verdienen, hängt
damit zusammen, dass die meisten wirklich sinnvollen Dienstleistungen
im Netz noch gar nicht entwickelt wurden! In diesem Sinne sind meine 33
Visionen für das Internet der Zukunft zu sehen. Manche sind weniger
Visionen als Forderungen an die Firmen, die besorgt auf ihren Aktienkurs
und auf ihre Umsatzentwicklung sehen. Das hat Gründe, und die lassen
sich benennen. Das Medium Internet ist noch so jung und unsere Sicht darauf
noch so wenig von Empirie geprägt!
Entschuldigen Sie, wenn jede Vision ganz kurz und pointiert daherkommt:
Wir haben nur 45 Minuten. Es wird ein wenig wie bei Giorgio Manganellis
wunderbaren Eine-Minute-Geschichten werden ...
Bevor es nun losgeht, noch etwas Ungewöhnliches: Ich biete jedem
von Ihnen eine Wette an. Meine Position dabei: 22 von den 33 Visionen
werden in den nächsten zehn Jahren eintreffen.
Wenn Sie dagegen halten, lassen Sie uns nachher Visitenkarten tauschen.
Und der Verlierer wird den Gewinner ab Herbst 2011 in mein Lieblingsrestaurant
in der Hauptstadt, die Paris Bar, einladen. Okay? Das dürfte Sie
von meiner Sicherheit überzeugen. Ich habe die Rede übrigens
vom Notar Dieter Karl in München im Umschlag versiegeln lassen, damit
wir in zehn Jahren zweifelsfrei die Basis unserer Wettentscheidung vorliegen
haben, ohne dass ich noch daran herumfeilen kann.
I.
Wie Toaster, Tischlampe oder Kaffeemaschine:
Das Internet wird einfach
Plug 'n' Play ist die größte Lüge und Kundentäuschung
seit Erfindung des Computers. Der Anschluss ans Internet und auch das
Surfen darin sind geprägt von so unendlich vielen Klippen und Fallstricken,
dass Boris Beckers Frage "Bin ich schon drin?" zum reinsten
Sarkasmus wird.
Wir werden es gemeinsam schaffen, den Anschluss ähnlich einfach
wie den ans Stromnetz und die Benutzung ähnlich klar wie die des
Telefons zu gestalten. Sonst werden wir in breiten Bevölkerungskreisen
einen "digital backlash" (nach Matthias Horx) mit sehr emotionalen
Verweigerungshaltungen erleben und manchen frustrierten Nutzer auf seinen
PC einschlagen sehen. Wie beim Auto: Die steigende Komplexität wird
von den Experten und nicht vom Nutzer gemanagt werden und sich dienend
verstecken hinter einer intuitiv bedienbaren Oberfläche.
II.
Lächelnde Hosts:
Das Internet wird freundlich
Nehmen wir an, Sie reservieren ein Hotelzimmer oder bestellen ein Royal
TS-Menü. Was würden Sie tun, wenn Sie aufgrund eines kleinen
Fehlers eine Rückmeldung wie die folgende bekämen?
"Application Error
Exception E Access
Violation in module Sting Desert Rose I.SCR at 00014A3E
Access Violation at address 0000001.
Read of address FFFFFFFF."
Nie mehr zurückkommen, oder? PCs und das Internet behandeln uns
ständig so. Das werden wir uns nicht lange gefallen lassen. Was Apple
mit dem Macintosh in die Computerwelt einführte, brauchen wir endlich
im Netz: Charme, Wärme, Lächeln, Freundlichkeit und Menschlichkeit.
Wir brauchen Kühlschränke, die uns entschuldigend sagen: "Die
Leitung zum Supermarkt ist im Moment leider ausgefallen; ich probiere
es in fünf Minuten wieder."
III.
Endlich redet einer mit mir:
Das Internet wird uns verstehen
Wann endlich werden wir mit der virtuellen Welt da draußen nicht
mehr nur mit zwei Fingern auf dem Keyboard kommunizieren, sondern mit
dem Interface, das wir seit unserem zweiten Lebensjahr am besten beherrschen?
Wann endlich können wir dem PC sagen, er solle mir mal meine neuen
E-Mails zeigen - und zwar so, wie uns der Schnabel gewachsen ist? Und
wann können wir ihn ganz einfach bitten herauszufinden, ob die Biomasse
aller Ameisen der Welt wirklich größer ist als die aller Menschen?
Hier streiten sich die Gelehrten, da natürliche Sprache unendlich
komplex ist und an Speech-to-Text-Technologie schon seit langem geforscht
wird. Ich glaube, es ist wie bei der Computerübersetzung: Nach jahrzehntelangen
Investitionen funktioniert sie langsam doch. Daher werden die Befehle
und Fragen, bei denen es eher auf einzelne Wörter als auf syntaktische
Zusammenhänge ankommt, in der nächsten Dekade ins Mikrofon an
PC oder Laptop gesprochen werden können.
IV.
Mit dem Porsche auf der Datenautobahn:
Das Internet wird schnell
Was tun Sie, um beim Warten vor dem Internetterminal die Entstehung von
Magengeschwüren zu vemeiden? Ich blättere in Fachzeitschriften,
kopiere Dokumente, telefoniere oder gehe auf die Toilette. Das ist, als
wenn man beim Umschalten eines Fernsehkanals eine Minute auf den Aufbau
des neuen warten müsste.
Die Lösung existiert: DSL. Noch ist es ein High-End-Produkt, zu
teuer für die meisten Medienbudgets und zu anfällig. Aber in
zehn Jahren werden die meisten von uns so schnell im Internet surfen und
in mehr als 12facher ISDN-Geschwindigkeit Filme, Bilder, Musik und Bücher
herunterladen.
Und dann werden wir hierzu nicht mehr T-Online-Kunde sein müssen
...
V.
Die Telefonzelle der Zukunft:
Das Internet wird öffentlich zugänglich
Im Tengelmann der Zukunft werde ich mich durch saisonal gefärbte
Rezeptvorschläge inspirieren lassen, was ich mit welchem frischen
Gemüse kombinieren kann und welcher Wein ideal dazu passen würde.
Im IKEA der Zukunft werde ich meine Wohnung virtuell auf einer Art PDA
dabei haben und mir am Terminal neben der Regalabteilung die verschiedenen
Modelle herunterladen, um dreidimensional zu sehen, wie sie bei mir aussehen
würden. Im Warteraum meines Arztes werden sich nicht nur Hypochonder
auf die Konsultation vorbereiten können, indem sie neueste Forschungsergebnisse
zum schmerzenden Organ und zu möglichen Therapieformen am Bildschirm
checken. Die Krankenhaustabletts der Zukunft werden gleichzeitig Internetterminals
und so den Kranken ein unterhaltsames Fenster zur Welt sein. In manchem
Restaurant werde ich auf dem Bildschirm im Tisch nicht nur die Speisekarte
in allen Sprachen haben; nein, ich kann von dort aus bestellen, mir die
Rezepte ansehen und der attraktiven jungen Frau am nächsten Tisch
eine Mail schreiben. Schulen und Universitäten werden Recherche-
und Trainingsterminals an jeder Ecke haben und Flughäfen und Bahnhöfe
sowieso: zur Information über Ankunfts- und Abfahrtszeiten, zum Preisvergleich
im ehemaligen Duty-Free-Shop, zum Autoverleih oder zur Hotelreservierung.
Solche digitalen Zapfsäulen werden laut Friendlyway AG, Marktführer
auf diesem Gebiet, mehr dem Geldautomaten oder dem Check-in-System der
Lufthansa ähneln als dem heimischen Internet-PC.
Falls Sie sich fragen, ob das Webpad oder der PDA mit UMTS-Anschluss
die öffentlichen Terminals nicht ebenso obsolet machen wird wie das
Handy die Telefonzelle: Ich glaube nicht. Denn vieles braucht große
Bildschirme (die will ich nicht mit mir herumschleppen) und hohe Geschwindigkeit
bzw. Breitbandigkeit. Von der Kostenfrage ganz zu schweigen (die jeweils
15 Milliarden Lizenzgebühr plus Zinsen müssen ja verdient werden).
VI.
Ich will alles!
Das Internet wird zum Konvergenzmedium schlechthin
Ein Trend in der Mediennutzung der letzten Jahrzehnte: Die Menschen nutzen
immer mehr Medien in immer schnellerem Wechsel und häufig gleichzeitig.
Das kann das Netz der Netze bieten, ob über Telefon-, Strom-, Fernseh-
oder Glasfaserkabel. Wir werden im Internet billig und manchmal mit Sichtkontakt
telefonieren, Musik aus riesigen virtuellen Jukeboxes hören, fernsehen,
telearbeiten, kommunizieren, Nachrichten übermittelt bekommen, recherchieren
und flirten.
VII.
Nach Telefon, Radio, TV und Fax:
Das Netz wird wirklich zum Massenmedium
Im August 2001 lasen wir alle konsterniert und zum ersten Mal: "Weniger
Web-Nutzer in den USA. Die Zahl der Gäste im Internet sinkt erstmals."
Wie bei den Arbeitslosenzahlen, bei denen der Blick auf die saisonalen
Schwankungen oft die Tragik der absoluten Größe in den Hintergrund
drängt, sagten zwar die Analysten: "Keine Panik." Aber
aufpassen sollten wir auf solche Signale! Zwar ist die Zahl der Internetnutzer
in Deutschland von 8,4 Millionen 1998/99 auf 24,2 Millionen 2000/01 gestiegen
(laut GfK Online-Monitor), aber das allein macht kein Medium zum Massenmedium.
Wir sehen es an den Handys: Es werden zwar immer mehr gekauft, nur liegen
auch immer mehr ungenutzt herum und verderben den Telekommunikationsfirmen
Laune und Kurse. Nur wenn die ersten sechs Visionen und Forderungen erfüllt
werden, wird das Internet zum wirklichen Massenmedium! Und wir sollten
nicht vergessen, dass weltweit 2,5 Milliarden Menschen noch nie ein Telefonat
geführt haben.
VIII.
Von Verona bis Alice:
Frauen als Wachstumspotenzial Nr. 1
Massenmedium sein kann man nicht ohne die Hälfte der Menschen. Und
die hat gewaltig aufgeholt und wird es weiterhin tun. Das Internet hat
den Geruch nach pickligen Technofreaks verloren, die nächtelang unter
falschen Mädchennamen chatten und erotische Sites ansehen. Es ist
offensichtlich interessant geworden für den attraktiveren Teil der
Menschheit - und das ist gut so. Es würde mir nun den Vorwurf des
Sexismus einbringen, brächte ich das in Zusammenhang mit den Forderungen
nach Einfachheit, Freundlichkeit und erkennbarem pragmatischen Nutzwert
- aber irgendwas ist trotzdem dran. Männer sind einfach technikverliebter
und daher zu manchem Opfer bereit.
IX.
Die nicht Senioren sein wollen ...
Das zweite große Wachstumspotenzial sind ältere Menschen
Für Menschen, die sich nicht mehr ganz so gut bewegen können,
und natürlich erst recht für jene, die im Krankenhaus oder Pflegeheim
sein müssen, ist das Internet wie gemacht. Es ist für sie Fenster
zur Welt und Kommunikationsplattform mit Kindern, Enkeln und Freunden;
man bleibt in Verbindung mit dem Heute und kann alles nach Hause bestellen.
Wenn bereits eine Treppenstufe eine nahezu unüberwindbare Hürde
darstellt, wird der Routineeinkauf zur Qual. Von daher ist es großartig,
dass allein von I/2000 auf I/2001 die Internetzugangsmöglichkeit
der über 60-Jährigen in Deutschland über 80% stieg.
Und die ersten Internetstationen in Krankenhäusern hatten nur ein
Problem: ihren sensationellen Erfolg, der zu inakzeptablen Wartezeiten
führte ...
X.
Der E-Pass: Identifikationssysteme ermöglichen die eindeutige Zuordnung
des Nutzers bei jeder Nutzung weltweit
Wohlgemerkt: ermöglichen. Denn weiterhin wird es zahlreiche Nutzungen
geben, in denen ich nicht erkannt werden möchte. Und weiterhin wird
es die Angst geben, ausgehorcht und ausgespäht zu werden in der Gesamtheit
meines Verhaltens.
Aber auf der anderen Seite braucht es für eine Fülle von Transaktionen
die klare Zuordnung der Identität: fürs Bezahlen, für jeden
Vertrag, für den M-Commerce, für die Steuererklärung, fürs
Wählen in der Online-Demokratie, für jede Buchung oder Reservierung,
für den virtuellen Klub, fürs Abonnement, für den personalisierten
Service etc. Egal, ob es unsere Augen oder unser Fingerabdruck sein wird:
Wir werden uns ausweisen müssen und auch wollen. Und Kriminalität
und Missbrauch wird es zwar geben, aber das ist beim traditionellen Pass
auch so.
XI.
Aldi oder Käfer?
Surfen und Mailen werden preiswert, attraktive Inhalte hingegen teuer
Zwei gegenläufige Trends werden dazu führen, dass das Medienbudget
der Menschen (inzwischen eine Art zweiter Miete in den virtuellen Wohnungen
der Informationsgesellschaft) weder stärker strapaziert noch entlastet
wird.
Die allgemeine Nutzung des Internets wird billiger werden - durch Flat
Fees, gesponserte Nutzung bei vorinstallierten Diensten,Schülertarife,
härteren Wettbewerb der Anbieter etc.
Der Zugang zu bestimmten Angeboten mit "must have"-Informationen
oder einzigartigen Dienstleistungen von hohem Wert für den Nutzer
hingegen wird Geld kosten, da sich die Anbieter nicht mehr durch Börsengänge
oder allein durch Werbeeinnahmen finanzieren können.
XII.
Es lebe die Telekom!
Bezahlung weder über Cashkarten noch über virtuelles Geld -
sondern über Telefonrechnungen
Zugegeben: Das ist aus Nutzersicht gedacht. Denn wie umständlich
ist es, bei jeder Transaktion ein paar Cents oder Euros per Kreditkarte
zu bezahlen, eine Überweisung zu tätigen, eine Abbuchungsermächtigung
auszustellen oder die virtuelle Geldbörse zu öffnen! Wie angenehm
wäre es, alle Kleinbeträge am Ende des Monats auf der Telefonrechnung
aufgelistet zu sehen, sei es nun die von der Telekom oder die ihrer Konkurrenten.
Auch kämen wir so schneller zu der notwendigen Einstellungsänderung,
dass Internetangebote nicht immer kostenlos sein können, denn bei
anderen Dienstleistungen vom Weckruf über die Auskunft bis hin zur
SMS akzeptieren wir das ja auch im großen Bauch der Telekommunikationsrechnung.
XIII.
Don't leave home without it:
Das Internet wird mobil
Licht am Ende des Tunnels: Das Kriechen unter Hotelzimmerschreibtischen
zum Finden der richtigen Buchse für den Internetanschluss hat ein
Ende. Ob der Übertragungsstandard der Zunkunft nun UMTS, Bluetooth,
Wireless LAN oder sonst wie heißt - wir können überall
ins Internet, und zwar kabelfrei. Wir werden vom Festnetz befreit, wie
es das Handy beim Telefonieren schon für uns getan hat. Die treibende
Kraft wird dabei nicht so sehr der Content sein (außer er nützt
mir in meiner spezifischen Situation), sondern die Interaktion mit anderen
Nutzern und der Zeitvertreib durch Spiele. Und losgehen wird alles an
Standorten größter Langeweile wie Flughäfen, Bahnhöfe,
Warteräume oder Hotels mit lokalen Funknetzen.
XIV.
Nie mehr allein:
Terminals sind überall im Leben
Wir werden umringt sein von Terminals, die meisten davon werbe- und transaktionsfinanziert.
Ob in der Eisschranktür oder in der Innenseite des Aktenkoffers,
ob als digitaler Schulranzen oder als Bildschirm in der Kleidung, ob am
Point of Sale oder am Fitnessfahrrad, ob im Restaurant- oder im Schreibtisch
- überall warten Ausschnitte des Internets mit ganz spezifischen
Funktionen und leichtester Bedienbarkeit auf unsere Aufmerksamkeit. Sie
werden sein wie Uhren, von denen auch immer irgendeine in der Nähe
ist.
XV.
E-Mail für die Dame auf Platz 17C:
Internetzugang auch in Verkehrsmitteln
Die Lufthansa will bis 2003 warten, Cathay Pacific hat es schon: Wir
sind nicht nur die einzigen Lebewesen, die fliegend eine warme Mahlzeit
verzehren können (nach Loriot), sondern wir können auch in 10
000 Meter Höhe E-Mails senden oder im Netz surfen. Für das Auto
gilt das Gleiche mit spannenden Dienstleistungen wie stauberücksichtigender
Navigation oder touristischen und gastronomischen Tipps auf den Standort
bezogen. Lange Bahnfahrten werden ebenfalls verkürzt. Nur beim Fahrrad
bin ich ein wenig skeptisch ...
XVI.
Die zwei ungleichen Brüder:
Mobiler E-Commerce wird zu Spannungen mit dem stationären Handel
führen
Bisher war es zum Leidwesen der B2C-Anbieter ja oft so: Die Konsumenten
informierten sich ausführlich auf deren Internetseiten über
das Angebot und kauften ihr Auto oder ihre Reise dann doch in der gewohnten
stationären Filiale. Die Seitenstruktur im Netz war zu kompliziert,
die Transaktion zu undurchsichtig oder auch das Verkaufspersonal zu nett
...
Das wird sich im M-Commerce ändern. Man wird sich Produkte im Laden
ansehen, auch Beratungsleistungen in Anspruch nehmen oder Informationen
wie Herstellervideos auf ein mobiles Handgerät herunterladen - dann
aber schnell ins Netz gehen, den günstigsten Anbieter herausfinden
und sich das Produkt nach Hause schicken lassen. Gerade bei den schnäppchenverliebten
Deutschen werden nach dem Wegfall des Rabattgesetzes Preisvergleiche im
Netz eine Art Volkssport werden. Gezielte Entwicklung von Multichannelstrategien
wird daher das Gebot der Stunde.
XVII.
Totgesagte leben länger:
B2C wird revolutioniert durch Optimierung von Bestellung und Lieferung
Wenn einer eine Reise tut, wird er sich an eine Full-Service-Adresse
wenden und ihr in normaler Sprache mitteilen: "Ich will an Ostern
nach Capri." Der Computer wird ihm zu der Entscheidung gratulieren
und Schritt für Schritt alle Fragen stellen, die zum Ticketkauf,
zu Hotel-, Restaurant- und Mietwagenreservierung, zum Erwerb von Reiseführer,
Wörterbuch, Sonnencreme, Fremdwährung etc. führen. Alles
wird in einer Transaktion abgewickelt, bezahlt und ausgeliefert. Angenehm
und kundenfreundlich, oder?
Wenn ein spannender Autor gestern bei Biolek in der Talkshow war und sein
neues Buch erwähnte, wird der Interessent heute seinen Computer fragen,
welches gemeint war, und ihn normalsprachlich bitten, es dort zu bestellen,
wo es schnell verfügbar ist und die Versand- und Bearbeitungskosten
am niedrigsten sind. So wollen wir das, oder?
Durch Zusammenfügung der Angebote nach Bedarfsclustern und Integration
der Auslieferung in große Logistiksysteme und Offline-Präsenzen
werden die B2C-Anbieter ihre Distributionskosten in den Griff bekommen.
Die gerade für Singlehaushalte schwierige Anwesenheitsnotwendigkeit
wird reduziert, da gebündelt ausgeliefert wird, Anlieferungszeiten
ausgemacht werden können und zusätzlich Abholmöglichkeiten
bei Bäckereien, Tankstellen und ähnlichen engmaschig vorhandenen
Geschäftsnetzen geschaffen werden. Das Jahrzehnt wird die Dekade
der Logistiker und der Vernetzer.
XVIII.
Das Öl des 21. Jahrhunderts:
Ohne Internet kann die Wirtschaft nicht mehr
Die Produktivitätserhöhung durch Computer prägte das ausgehende
20. Jahrhundert. Das beginnende 21. wird Ähnliches durch das Internet
erleben - und zwar in fast allen Abläufen und Wertschöpfungsketten.
Natürlich wird es wie bei all solchen Revolutionen von der Dampfmaschine
bis zur Autobahn auch zu effizienzverringernden Negativeffekten kommen,
aber das Positive wird eindeutig überwiegen. Nur ein Beispiel: Große
Vereine und Organisationen können allein durch die Übertragung
ihres Massenversands auf virtuelles One-to-many-Marketing in Kooperation
mit Firmen wie eCircle jährlich zweistellige Ausgaben für Druck
und Versand einsparen. Und nicht nur das: Sie werden schneller und können
konsequent personalisieren.
XIX.
True statt New:
Auch die neue Ökonomie unterliegt alten Gesetzen
Man dachte, die New Economy wäre durchgehend anders. Die Grenzkosten
würden gegen Null tendieren, der Unterschied zwischen Original und
Kopie würde verschwinden, und alle würden sich auf die kostenfreien
Angebote stürzen, die so windowsartig zu Standards und später
daher zu Goldeseln würden. Alles richtig, aber nur halb. Eingesetztes
Kapital will weiterhin verzinst und zurückgezahlt werden, Markenaufbau
ist auch im Internet teuer, und Werbe-Euros fließen nur, wenn die
Menschen ein Angebot hier und heute nutzen und lieben. Mit der weit verbreiteten
Umsonstmentalität ist der P2P (path to profit) lang. So lernte mancher
Dot.com nah am Abgrund zum Dead.com, dass sich die klassischen Wirtschaftsgesetze
nicht aushebeln lassen. Und die Nutznießer der nächsten Jahre
werden die Konzerne sein, die ihre jungen Internetkonkurrenten in Notsituationen
billig kaufen können.
XX.
McDonalds oder Currywurstbude?
Globalität und Nationalität laufen parallel
Was beobachten wir in Europa? Die Integration zur EU mit gemeinsamer
Währung und zugleich ein erstarkendes Bewusstsein für Regionales
und auch Nationales.
So wird es auch im Internet sein: Die Amazons und eBays werden als First
Movers nicht automatisch die ganze Welt erobern. Dazu ist globaler Marken-
und Logistikaufbau zu teuer und der Bedarf der Menschen nach Berücksichtigung
ihrer nationalen Identität und Tradition zu groß. Wir werden
spannende Duelle erleben wie das zwischen MTV Deutschland als Ableger
eines weltumspannend agierenden Konzerns und VIVA als deutscher Gründung.
XXI.
Der Traum vom virtuellen Butler:
Das Netz als Haushaltsmanager
Der Drucker, der sich seine Tinte selbst nachbestellt, gibt schon einen
Vorgeschmack:
Viele Haushaltstransaktionen werden Schritt für Schritt von Computern
und Internet übernommen werden, ohne dass wir noch etwas davon merken.
Beispiele: Wiederauffüllung der Eisschrankes mit dem immer Gleichen,
Nachbestellung des Heizöls, Überwachung von Heizung oder Alarmanlage
und Fernsteuerung von Videorekordern. Die einen werden sich per Webcam
im Urlaub zeigen lassen, wie es Garten und Katzen geht, die anderen schon
vom Büro aus der Badewanne Bescheid sagen, sie solle um 19:30 bitte
bei 38 Grad voll sein, und mancher wird während der Heimfahrt mit
seiner Angebeteten schon dezent zu Hause Kuschelrock auflegen und schummrige
Beleuchtung einstellen.
XXII.
Vom ersten Automobil bis zur S-Klasse:
Das wirklich menschenfreundliche und effiziente Suchen kommt erst noch
Mit wie viel Datenmüll müssen wir uns herumschlagen, wenn wir
zwei Begriffe in eine Suchmaschine geben! Das muss und wird sich definitiv
ändern. Die Systeme der Zukunft werden beobachtend über uns
und unsere Informationsbedürfnisse lernen und so unmerklich zu persönlichen
Informations- und Rechercheassistenten oder auch Knowbots werden. Sie
werden die gefundenen Daten für jeden Einzelnen persönlich vorauswählen,
nach Bedeutung für ihn sortieren und vorstrukturieren. Sie werden
Kontexte des Suchens würdigen und lieber vor der Suche rückfragen
als danach ersticken lassen. Sie werden natürliche Sprache statt
logischer Verknüpfungen als Eingabe verwenden, hohe KIQs (Quotient
künstlicher Intelligenz) haben und uns Maßanzüge des Verstehens
und Begreifens anbieten. Wie sagte John Naisbitt? "Wir ertrinken
in Information und hungern nach Wissen."
(Hier zeigt sich der Wert von Visionen und Forderungen. Wenn Sie und
ich nicht klar wissen und formulieren, was wir wollen, wird ein Zukunftsmedium
wie das Internet zum Spielball inkompetenter Politik und undurchsichtiger
Firmeninteressen. Ohne Martin Luther King und seinen Traum hätten
die Schwarzen in der Welt nicht bekommen, was sie heute haben. Und ohne
klare Vorstellungen davon, wie das Netz unser aller Zusammenleben besser
machen kann, werden wir noch viele Firmenpleiten und Pseudogurus erleben.
Von daher widerspreche ich Helmut Schmidt, der meinte: "Wer Visionen
hat, soll zum Arzt gehen."
Trotzdem muss ich mich der Frage stellen, worauf sich meine 33 Schneisen
ins Chaos der realen Entwicklung gründen. Auf unzählige Reden
und Artikel, auf jahrelange Sprecherfunktion für die gesamte Buchbranche
in Sachen Internet, auf zahlreiche Fernsehsendungen und Kolumnen, auf
nächtelange Gespräche mit den Vordenkern der New Economy, auf
Marktforschung und auf Erfahrungen aus zahlreichen persönlichen Beteiligungen
an Internetfirmen.)
XXIII.
"Gib mir mal die Homepage von Gerhard Schröder!"
Wir brauchen ein übergreifendes virtuelles URL-Verzeichnis mit einer
Vielzahl von Zugängen
Es ist verständlich, dass die URLs im Netz präzise sein müssen.
Das ist wie bei den Telefonnummern. Doch welche Vielfalt gibt es inzwischen
beim Aufnehmen, Verwalten und Finden von Telefonnummern! Ob im Handy oder
im PDA, in der Telefonanlage oder im Intranet, im ledergebundenen Büchlein
oder im allgemeinen Telefonbuch, in den gelben Seiten oder in der CD-ROM
- der Zugang ist schnell und effizient.
Analoges wird bei den URLs geschehen, in vielen Medien, manche aktuell
und manche beständig, online wie offline und mit multiplen Zugängen,
wie sie dem menschlichen Hirn entsprechen und nicht der Logik von Doppelpunkten
und Schrägstrichen.
XXIV.
Ein Freund, ein guter Freund ...
Das Internet als Helfer und Begleiter durchs Leben
Träumen wir ein wenig: Morgens, mittags und abends bekomme ich auf
ein paar Bildschirme alle für mich relevanten Nachrichten nach meinem
Interessensprofil hinsichtlich Personen, Firmen, Themengebieten, Sportarten,
Börsenkursen etc. gemailt. Dazwischen kommt eine SMS-Nachricht, dass
ein Freund von mir heute abend bei Christiansen sein wird und danach ein
Film mit der von mir so verehrten Audrey Hepburn kommt. Drei Monate vorher
werde ich an runde Geburtstage von Freunden, Verwandten und Kollegen erinnert,
drei Tage vorher an normale. Wenn meine Lieblingsmodemarke die Preise
reduziert, erhalte ich eine E-Mail darüber natürlich mit den
Öffnungszeiten des Ladens in meiner Stadt und Parktipps. Wenn Sting
oder Elton John ein Konzert in meiner Nähe annonciert, werden mir
sofort und rechtzeitig Tickets angeboten und ich werde daran erinnert,
dass ich mit Kirsten um einen Konzertbesuch gewettet habe. Zu Beginn der
Spargelzeit werden mir als Spargelliebhaber ein paar Rezepte gemailt -
mit Kalorienangabe und entsprechenden Work-out-Vorschlägen. Und wenn
der neue Julia-Roberts-Film anläuft ...
Träumen wir weiter! Alles ist technisch längst möglich.
Es muss nur gemacht und zusammengeführt werden. Ich hätte größte
Lust dazu, denn das Resultat wäre ein Traum - der Traum vom persönlichen
virtuellen Freund. Nur Julia Roberts wird er mir leider nicht vorstellen
können.
XXV.
Lernkurven hochsurfen:
Die Ineffizienz der Internetnutzung in Kinderschuhen wird verschwinden
Haben Sie einmal ermittelt, wie viele E-Mails Sie täglich erhalten
und schreiben? Haben Sie gemessen, wie viel Zeit Sie mit dem Screenen
von Unerwünschtem im Netz verlieren? Haben Sie ein Gefühl dafür,
wie viel Zeit Sie mit dem Hochfahren von PCs, mit dem Onlinegehen, mit
Netzzusammenbrüchen u. Ä. verbrauchen?
Während die ersten Unternehmen deswegen No-E-Mails-Days einführen,
werden andere viel Geld investieren, um diese Ressourcenverschwendung
zu reduzieren. Sie werden klar strukturierte virtuelle Büros mit
Auswahlfiltern, Wiedervorlagen, Ablagen, intelligenten Weiterleitungs-
und Verteilsystemen, Zusammenfassungsoptionen, standardisierten Antworten
und weitgehender Personalisierung einrichten. Die Menschen werden weiterhin
Nischen zum Moorhuhnabknallen finden, aber ihre Arbeit im Netz doppelt
so effizient erledigen.
XXVI.
Immer für Sie da: der geduldigste Lehrer und größte Wissensspeicher!
Die Bereiche E-Learning und Wissensmanagement werden explodieren
Die Halbwertzeit des Wissens wird kürzer und kürzer, lebenslanges
Lernen und Neugier als Lebensprinzip wichtiger und wichtiger in einer
Zeit, die Mobilität, Flexibilität und Innovativität erfordert
wie keine zuvor. Angesichts der Unfähigkeit der existierenden Systeme
der Weiter- und Umbildung, diesem Anspruch gerecht zu werden, bietet sich
das Internet als der ideale Lehrer an: geduldig, immer bereit, an jedem
Ort nutzbar, auf jedes Niveau eingehend, freundlich und stressfrei. Als
umfassendste und größte Schule bzw. Uni der Welt wird es jeden
geeigneten Lehrstoff anbieten, und als Wissensspeicher der Menschheit
(und auch jeder Organisation oder Firma) wird es bereitstehen, Antwort
zu geben auf jede Frage.
XXVII.
Vom Tod der Wahlurne:
Der Staat wird sich massiv des Internets bedienen
Zugegeben: Hier bin ich mir unsicher. Aber wie immer regiert das Prinzip
Hoffnung in mir. Und es flüstert:
Passverlängerung von zu Hause aus online, Steuererklärung als
E-Mail-Anhang, KFZ-Kennzeichenvergabe am Laptop, Wahl vom Urlaubsort aus.
Keine Warteschlangen und Öffnungszeiten. Schnelle, transparente,
serviceorientierte und kostengünstigere Verwaltung. Der Staat als
Leitanwender - natürlich auf der Basis, dass alle in der Schule wie
selbstverständlich den Umgang mit dem Netz lernen. So weit die Hoffnung.
Ob der Amtsschimmel sie erfüllt, werden wir in zehn Jahren sehen.
XXVIII.
Cyberlove und Virtual Reality:
Wir werden umgeben sein von virtuellen Figuren
Ein Kind wies mich in einem Gespräch über den Film "Final
Fantasy" kürzlich darauf hin, Tom Cruise sei ein "Echte-Haut-Schauspieler".
Lara Croft ist inzwischen beides - virtuelle Kultfigur und reale Kinoheldin.
So wie Special Effects und Computerbearbeitungen schon heute Fotos und
Bewegtbild prägen, wird es ein aufregendes Durcheinander von real
gespielten und virtuell erzeugten Figuren in unseren Köpfen und Herzen
geben und die erkenntnistheoretische Frage "Was ist wahr?" auf
der Müllhalde der Philosophiegeschichte landen. Virtuelle Verkäufer,
Models, Moderatoren, Freunde, Schauspieler, Coaches, Berater und Nachrichtensprecher
werden die Welt bevölkern.
(Und trotzdem werden wir nach der Liebe mit der Traumfrau allein im Bett
liegen. Oder wie kürzlich in einer großen süddeutschen
Zeitung zu lesen war: "Auf Dauer kann den Netsurfern dieser Welt
auch kaum verborgen bleiben, dass sie nach stundenlangem Surfen weder
Sonne noch Wind noch Wasser und schon gar nicht den Geschmack von Freiheit
und Abenteuer abbekommen, sondern nur 1001-mal mit der Maus geklickt haben.")
XXIX.
Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
Wir werden unsere Wahrnehmungsbreite enorm erweitern
Es sind nicht nur die neuen Figuren. Wir werden per Webcam bei Großmuttern
im Wohnzimmer sitzen oder bei Freunden in der Sommerfrische. Wir werden
den Reinhold Messner des 21. Jahrhunderts auf den Achttausender begleiten
und den Weltumsegler am Kap der Guten Hoffnung.
Und wir werden Wirklichkeit simulierend verändern können, Zukunft
vorwegnehmen und erleben, wie sie sich anfühlt: Wie sähe der
Balkon mit Geranien aus und wie die Küche mit dem schwarzen Tisch?
Wie stünde meiner Freundin der gelbe Minirock und wie Angela Merkel
der neue Haarschnitt?
Doppelte Befreiung sozusagen: aus der Begrenztheit meiner örtlichen
Perspektive und aus der meiner vorgegebenen Realität zugleich.
XXX.
Haben Sie heute schon einen Fehler gemacht?
Jede Chance birgt Risiken - das Internet besonders
Der Vatikan erwägt, einen Schutzheiligen für das Internet zu
benennen. Den kann es brauchen. Denn schon wurde ein bundesweiter Selbsthilfeverein
für Onlinesüchtige gegründet - um Netzjunkies wieder zurück
ins richtige Leben zu holen. Viele Menschen haben Angst, aufgrund der
von ihnen im Netz getätigten Transaktionen gläsern zu werden
im Sinne Orwell'scher Horrorvisionen (Stichwort Datenschutz). Psychologisch
Denkende befürchten Vereinsamung zu Hause ("Cocooning").
Soziologisch Geschulte malen Szenarien an die Wand, in denen die Welt
aufgeteilt wird in Netz-Nutznießer und Menschen ohne Netzanschluss
("Digital Divide"). Politisch Engagierte zeigen auf, wie negativ
das Saldo der durchs Internet geschaffenen Arbeitsplätze gegenüber
den dadurch vernichteten ist. Eltern und Lehrer sagen, jeglicher Jugendschutz
vor rechtsradikalen und pornographischen Inhalten ließe sich im
Netz nicht durchsetzen. Juristen verweisen auf unendliche Urheberrechtsverletzungen
und Software-Experten auf große Verseuchungsgefahr durch global
agierende Viren und Bedrohung sensibler Systeme bis hin zum Pentagon durch
raffinierte Hacker und Netzspione. Betriebsräte wollen es sich nicht
bieten lassen, dass E-Mails von Mitarbeiter(inne)n überwacht und
Mobbing-Rachefeldzüge auf Hassseiten ausgetragen werden, und die
Finanzwelt zittert vor weiteren kursrelevanten Falschmeldungen, die manipulativ
auf Profiseiten geschmuggelt werden. Kriminalisten können Bücher
schreiben über neue Formen des Cybercrimes, und selbst Bill Gates
muss zusehen, wie ein Hacker mit seiner Kreditkarte Viagra ordert.
Meine These: Die Liste des Schreckens wird noch wesentlich länger
werden. Allerdings hatte schon der alte Seneca die einzig richtige Antwort
darauf: "Alles kommt weniger schlimm, wenn man mit allem rechnet."
XXXI.
Das Internet wird verschwinden -
zumindest in manchen Köpfen
So wie es konsequente Fernsehabstinente gibt, wird es eine nicht unbedeutende
Menge von Menschen geben, die sich aus all diesen Gründen bewusst
vom Internet abwenden. Nur: Das wird schwierig, da das Netz der Netze
mehr und mehr aus der Aufmerksamkeitssphäre entschwinden wird. Es
wird - wie zahllose Chips und Motoren heute - als omnipräsenter Hintergrundmechanismus
und Dienstleister in zahllosen Lebensbereichen wirken, ohne noch explizit
wahrgenommen zu werden.
(Doch zurück zur Abstinenz. Hier möchte ich die Bühne
kurz frei machen für Christian Nürnberger, den wohl profiliertesten
Internetkritiker in diesem Lande:
"Ich pfeife auf ein Medium, dem ich nicht vertrauen kann. Wenn ich
nicht weiß, ob hinter einer Information, die ich im Internet finde,
eine unabhängige Redaktion steht oder nur eine PR- oder Werbeagentur,
dann ist diese Information nichts wert, und dann bin ich auch nicht bereit,
dafür zu zahlen.
Ich pfeife auf ein Medium, in dem sich Unternehmer tummeln, die Bilanzen
fälschen, Zahlen frisieren, permanent an der Grenze der Legalität
operieren und Kunden und Anleger für dumm verkaufen.
Ich pfeife auf ein Medium, das mir nicht dienen, sondern mich ausspionieren,
Kundenprofile von mir anlegen und mich an Adressenhändler und Marketingagenturen
verkaufen will.
Und ich pfeife auf ein Medium, das mir die Zeit stiehlt."
Sie sehen, wie wichtig Visionen und Forderungen sind - sonst kriegen
wir Herrn Nürnberger nie ins Netz ...)
XXXII.
Prinzip Hoffnung:
Die Chancen überwiegen eindeutig
Das gerade Gesagte wird manchen Pessimisten dazu führen, das Internet
als Höllenmaschine abzuqualifizieren. Für die meisten Menschen
indes werden seine positiven Seiten eindeutig überwiegen. Wir werden
eine ungeahnte Preis- und Angebotstransparenz haben und uns auf das Angenehmste
daran gewöhnen, dass es keine Öffnungszeiten im Internet gibt.
Wir werden auf effizienteste und schnellste Weise an alle Informationen
kommen, die wir zur Bewältigung unseres komplexen Lebens brauchen.
Wir werden mit Menschen aus aller Welt auf das Unkomplizierteste kommunizieren
können. Nächste Generationen werden sich an den positiven ökologischen
Auswirkungen des Internets aufgrund des geringeren Ressourcenverbrauchs
erfreuen. Die Volkswirtschaften der Welt werden voller Freude auf vielfältigen
Wegfall variabler Kosten bei Multiplikation und Distribution schauen.
Die Diktaturen der Welt werden es trotz aller Torpedierungsversuche (gerade
schloss der Iran alle Internetcafés) nicht schaffen, den freien
Fluss der Information einzudämmen, der letztlich zu ihrer Aushöhlung
führt. Manche Nation der Dritten Welt wird medial und kommunikativ
auf das Eleganteste mehrere Entwicklungsstufen überspringen und hervorragende
kabellose Infrastrukturen aufbauen.
Kurz gesagt: Die globalisierte Informations- und Dienstleistungsgesellschaft
demokratischer Prägung findet im Internet ihr Medium.
XXXIII.
Die Büchse der Pandora:
Es wird neue Anwendungen geben, die wir noch nicht einmal erahnen
Das Internet steht heute, wo das Automobil Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts
stand. Schon innerhalb weniger Jahre haben sich erste große Nutzenfelder
herauskristallisiert: E-Mail, E-Banking, E-Commerce, E-Auktionen. In zehn
Jahren werden wir Optionen haben, die noch nicht einmal am Horizont erkennbar
sind. Schreckliche - wie die erste Live-Geburt im Internet kürzlich
- und schönste - wie eine Hochzeit aufgrund perfekten Matchings in
einer virtuellen -Kontaktbörse - zugleich ...
"In Zukunft werden Computer vielleicht nur noch anderthalb Tonnen
wiegen."
(Annahme über die Entwicklung von Computern aus dem Jahr 1949)
Ich hoffe, dass ich mit meinen 33 Visionen und Forderungen eher richtig
liege als mein Kollege damals. Nur wenn wir sie ernst nehmen und umsetzen,
wird die New Economy den Weg aus ihrer Krise finden. Dann allerdings nachhaltig
und mit realen Werten unterlegt. Nehmen wir die Herausforderung an!
See you in September 2011!
Und was mein Wettangebot anbelangt: Ich meine das ernst. Sie erhalten
als kleine Dienstleistung meinerseits heute plastifiziert und verkleinert
die 33 Headlines, damit Sie in den nächsten zehn Jahren immer checken
können, was eintritt und was nicht. Ob Sie wetten wollen, dass weniger
als 22 meiner Visionen eintreten werden, müssen Sie allerdings heute
entscheiden. Geben Sie mir Ihre Visitenkarte im Laufe des Tages oder bei
der Cyberparty heute Abend mit dem unterschriebenen Vermerk "Wette
17. 9. 2001 angenommen". Oder mailen Sie mir diesen Satz mit Ihren
Koordinaten an mail@florian-langenscheidt.de.
Bei www.florian-langenscheidt.de
finden Sie ab heute übrigens unter der Rubrik "Reden" den
ganzen Text.
Ich freue mich auf die Begegnung mit Ihnen und auf viele Entrecotes mit
Sauce béarnaise im Herbst 2011!
Link
Homepage
von Dr. Florian Langenscheidt
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