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ZDF Online , 30. Juni 2004

Mehr Detailarbeit, weniger Glanzlichter

Die Niederlande übernehmen die EU-Ratspräsidentschaft

Die irische Ratspräsidentschaft war ein voller Erfolg. Die größte Erweiterung der EU-Geschichte ist vollzogen, ein Kompromiss zur Verfassung gefunden und in den letzten Tagen seiner Amtszeit konnte Bertie Ahern auch noch einen neuen Kommissionspräsidenten präsentieren. Am 1. Juli übernehmen die Niederländer turnusmäßig für sechs Monate den Vorsitz der europäischen Staats- und Regierungschefs. Unter ihrer Führung wird nicht nur die neue Kommission ernannt, sondern auch über die EU-Finanzen und den Türkei-Beitritt verhandelt.


Bertie Ahern kann zufrieden sein. Er übergibt seinem niederländischen Kollegen Jan Peter Balkenende ein gut bestelltes Haus - trotz der jüngsten Querelen um die Nachfolge von Kommissionspräsident Romano Prodi. "Hut ab vor den Iren, die haben eine tolle Leistung vollbracht", lobt der Europa-Experte Janis Emmanouilidis vom Münchner Centrum für angewandte Politikforschung die Arbeit von Ahern und seinen Kollegen. Noch im Januar habe man von einer großen Krise gesprochen, jetzt sei die Stimmung "definitiv anders" und in der Öffentlichkeit "Ruhe eingekehrt".

Keine europäischen Höhepunkte

Der irische Erfolg ist kein ganz leichtes Erbe für Regierungschef Jan Peter Balkenende. "Die Niederländer stehen im Schatten der irischen Präsidentschaft. Das ist schwer zu toppen", so Emmanouilidis. Balkenende gilt zudem als langweilig und farblos, als "ein blasses Gesicht auf der europäischen Bühne". Ob das ein Vor- oder Nachteil ist, wird sich zeigen.

Fest steht: Europäische Glanzlichter wie die Osterweiterung oder die gemeinsame Verfassung sind im kommenden Halbjahr nicht zu erwarten. Stattdessen herrscht bei vielen Politikern Katerstimmung wegen der verheerend niedrigen Beteiligung an der Europawahl. Nach dem Streit um die Verfassung und den neuen Kommissionspräsidenten müssen die Niederländer jetzt Führungsstärke zeigen und den Bürgern deutlich machen, dass Europa funktioniert. Zeit für Detailarbeit.

"Sie sind eher Abschließer"

Eine Aufgabe, die ihnen liegen dürfte. Die Niederländer gelten als stille, aber gute Verhandlungsführer. Schon häufig haben die Iren Beschlüsse vorbereitet, die Niederländer sie zum Abschluss gebracht. Unter ihrer Führung entstanden die Verträge von Amsterdam und Maastricht. "Die niederländischen Ratspräsidentschaften waren bislang sehr technisch, aber unbemerkt. Sie sind keine PR-Arbeiter, suchen kaum Öffentlichkeit. Sie sind eher Abschließer", beschreibt Andreas Maurer von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Spannungsfrei werden die nächsten sechs Monate aber nicht werden. Insbesondere zwei Themen dürften für Zündstoff sorgen. Zum einen entscheiden die Staats- und Regierungschefs im Herbst, ob Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen werden. "Damit werden die Niederländer ziemlich zu kämpfen haben", glaubt Emmanouilidis. Die Türkei-Frage war nicht nur in Deutschland eines der umstrittensten Themen des Europawahlkampfes. "Die Niederländer haben zuhause ebenfalls die Diskussion. Daher ist es für sie auch innenpolitisch nicht unheikel." Dennoch gehen die Experten davon aus, dass eine Entscheidung zu Gunsten der Türkei fallen wird.

Harte Finanzverhandlungen

Als zweites großes Streitthema stehen die Verhandlungen über den künftigen Finanzplan der Union an. Die großen Nettozahler-Länder haben bereits Ende des vergangenen Jahres angekündigt, trotz der größeren Anzahl an EU-Ländern nicht mehr Geld geben zu wollen. "Das ist das erste, was kracht", prognostiziert Europa-Experte Maurer. "Hier wird es harte Kämpfe geben." Die Niederländer - selbst Nettozahler - müssen dabei die richtige Balance zwischen Kompromiss und Eigeninteressen finden.

Doch nicht nur die Ratspräsidentschaft, auch die Brüsseler Spitze muss sich in dieser Frage beweisen. "Das wird der Lackmustest für die neue Kommission", sagt Maurer. Denn der designierte Kommissionspräsident, der Portugiese José Manuel Durão Barroso, kommt aus einem kleinen Staat, der zudem Nettoempfänger ist. Die Position der Großen nachzuvollziehen, dürfte für ihn schwierig sein. Die Finanzverhandlungen werden somit zur ersten Probe für seine Neutralität.

Neuer Kommissionschef Barroso

Nach langen Diskussionen haben sich die europäischen Staats- und Regierungschefs auf einem Sondergipfel auf den portugiesichen Regierungschef geeingt. Er ist ein Kompromisskandidat, den noch vor kurzem niemand auf seiner Liste hatte. Dass Barroso die richtige Wahl war, glaubt Maurer nicht: "Ich habe die Befürchtung, dass er sich in der Kommission nicht durchsetzen kann. Wir brauchen aber jemand, der öffentlich diszipliniert. Das hat er schon als Regierungschef in Portugal nicht gemacht."

Außerdem sei der 48-Jährige zu jung für den Posten in Brüssel. "Wenn ein Komissionspräsident so jung ist, dann strebt er noch was Höheres an, in der Regel im eigenen Land. Daher ist es durchaus realistisch, dass er sich in die portugiesische Innenpolitik einmischt - das macht ihn nicht neutral." Die europäischen Sozialdemokraten haben bereits Unmut geäußert und wollen ihre Zustimmung im Parlament verweigern.

"Superkommissar" für Deutschland?

Auch die Auswahl der Kommissare könnte noch reichlich Konfliktstoff in den nächsten Monaten bergen. Deutschland beispielsweise hofft auf einen "Superkommissar" mit erweitertem Kompetenzbereich. Diese Forderung dürfte angesichts der nunmehr 25 Brüsseler Kommissare nur schwer durchsetzbar sein. Hier müssen die Niederländer einen geeigneten Kompromiss vorschlagen, der für alle Seiten akzeptabel ist.

Neben den großen Pflichtthemen steht eine Menge Kleinarbeit auf der Agenda. So ist es Aufgabe der Ratspräsidentschaft, die neuen Mitgliedsstaaten auch im Alltag vollständig zu integrieren. Die Chemikalien- oder die Geldwäscherichtlinie könnte verabschiedet weden. Auch außenpolitisch haben die Niederländer Prioritäten gesetzt: Die Beziehungen zu Asien und Nahost sollen im Mittelpunkt ihrer Präsidentschaft stehen. Zuletzt aber werden es wohl doch die großen europäischen Themen sein, an denen Balkenende gemessen werden wird.


   
           
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Aktualisiert am: 05.07.2004   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang