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Frankfurter Rundschau, 14. Juli 2003

Irak ist eine Herausforderung für Europa

Um der Stabilität willen muss sich die EU in die Gestaltung der Nachkriegsordnung einmischen / Ein Strategiepapier der Bertelsmann Forschungsgruppe Politik

Trotz aller Bemühungen, haben die Alliierten, allen voran die USA und Großbritannien, größte Schwierigkeiten, die Stabilität in Irak zu gewährleisten. Doch Schadenfreude ist fehl am Platz. Europa muss sich einmischen, auch wenn es in Teilen den Waffengang abgelehnt hat. Zu seiner eigenen Sicherheit muss es die erfolgreiche Transformation der gesamten Region unterstützen. Zu diesem Schluss kamen Politiker, Wissenschaftler und Experten am Wochenende bei den 8. Kronberger Gesprächen. Wir dokumentieren einen Auszug aus dem Strategiepapier, das die Bertelsmann Forschungsgruppe Politik der Runde vorgelegt hat (...).


(...) Der Krieg sowie die Art und Weise, in der die Probleme nach dem Krieg angegangen worden sind, haben tiefe Veränderungen in der sozialen und politischen Verfasstheit des Iraks ausgelöst, deren Folgen noch schwer abzuschätzen sind. Der Krieg hat zum Zusammenbruch des sunnitischen Machtzentrums geführt und zu einer Machtzunahme der peripheren Kräfte, vor allem der Schiiten und der Kurden.

Irak nach dem Krieg

Die Kurden, die sich jahrzehntelang am Rande der irakischen Gesellschaft befanden, haben als Alliierte der siegreichen amerikanischen Streitkräfte im Norden am Krieg teilgenommen. Ihre enge Beziehung zu Washington, gepaart mit ihren militärischen Kompetenzen und einer beachtlichen politischen Institutionalisierung, die auf mehr als einem Jahrzehnt Autonomie und Selbstregierung basiert, macht die Kurden zum ersten Mal in der irakischen Geschichte zu einem bedeutenden Machtanwärter auf nationaler Ebene.

Die zwei kurdischen Hauptorganisationen, die Kurdische Demokratische Partei (KDP), angeführt von Masud Barzani, und die Patriotische Union Kurdistans (PUK), angeführt von Jalal Talabani, haben die kurdischen Gebiete verlassen und ihren Hauptsitz nach Bagdad verlegt. Die Ankündigung der alliierten Besatzungsmächte, dass irakischen Milizen und Einzelpersonen mit Ausnahme der kurdischen Peshmerga schwere Waffen entzogen werden sollen, beweist die privilegierte Position der Kurden.

Die Schiiten, eine heterogene Gemeinschaft innerhalb der irakischen Bevölkerung, die eine klare Mehrheit der Bevölkerung bildet, sind von der schweren Unterdrückung durch den sunnitisch dominierten Staats- und Sicherheitsapparat befreit worden. Das erste Mal seit Jahrzehnten können sie sich frei äußern, ihre Religion uneingeschränkt praktizieren und ihre kommunalen Angelegenheiten selbst verwalten. Jedoch hat die schiitische Bevölkerung weder die organisatorische Kraft der Kurden noch ihre Erfahrung territorialer Autonomie. Die Schiiten sind tief gespalten in zahlreiche Gruppen, die pro- und antiamerikanisch, säkular und religiös sind, und denen sowohl Exilanten als auch Ortsansässige angehören. Dennoch ist allen schiitischen Gruppen das Ziel gemeinsam, ihre zahlenmäßige Stärke in entsprechende Repräsentation und politische Macht auf nationaler Ebene umzusetzen. Der Krieg hat sie diesem Ziel möglicherweise näher gebracht als jemals zuvor. Diese Zentrifugalkraft, in Verbindung mit der Machtübertragung auf zuvor marginalisierte Gruppen, ist außerdem verstärkt worden durch die Entscheidung der Alliierten, die Baath-Partei, die Armee und die Sicherheitsdienste aufzulösen, die die Hauptwerkzeuge des sunnitischen Repressionsapparates waren.

Ein kompletter Zusammenbruch der Ordnung in vielen Regionen des Iraks, gekoppelt mit weit verbreiteten Plünderungen und allgemeiner Anarchie direkt nach dem Kollaps des Baath-Regimes haben zu der Auflösung des zentralistischen politischen Systems beigetragen. Drei Gruppen von Akteuren sind bereit, das politische Vakuum zu füllen:

Erstens, das Stammessystem, das von dem Baath-Regime instrumentell wiederbelebt wurde, um die ländlichen Gegenden zu kontrollieren, nachdem der Sicherheitsapparat durch die Niederlage von 1991 ernsthaft geschwächt worden war. Durch das Machtvakuum, das seit dem Sturz von Saddam existiert, ist die Rolle von Stammesführern weiter gestärkt worden. In jedem politischen System der Nachkriegszeit werden sie wichtige Machtpositionen einnehmen.

Zweitens, die Auflösung des faktischen Einparteiensystems hat zu der Entstehung zahlreicher unterschiedlicher Parteien geführt; einige von ihnen sind alt (die Kommunistische Partei, die Nationaldemokratische Partei und die Bewegung der Muslimbrüder), andere sind völlig neu. Das Aufkommen dieser Parteien zog auch die Publikation von mindestens 30 neuen Zeitungen nach sich, von denen die meisten politischen Parteien angegliedert sind.

Drittens, während des Krieges und der ersten Tage der Anarchie spielten Moscheen und religiöse Führer eine wichtige Rolle beim Erhalt der öffentlichen Ordnung und der Bereitstellung von Grundversorgung, wozu Patrouillen in den Straßen, medizinische Behandlung, humanitäre Hilfe und spirituelle Führung in der chaotischen und verwirrenden Atmosphäre zählten.

Trotz dieser tief greifenden Transformationsprozesse gibt es Anzeichen dafür, dass das alte Netzwerk aus Bürokraten, Stammesführern und alten Regimefreunden (der "Schattenstaat") bis zu einem gewissen Maße intakt geblieben ist, obwohl das Regime zusammengebrochen ist. Diese Überbleibsel könnten das System der informellen Kontrolle und Belohnung, die die Herrschaft Saddam Husseins kennzeichnete, fortführen. Dieser Mechanismus erinnert an die mafiösen Strukturen in vielen ehemaligen kommunistischen Ländern Osteuropas. Diese Gruppen können mit der Unwissenheit über die irakische Gesellschaft seitens der Koalitionstruppen rechnen. Ein Beispiel ist die kürzliche Ernennung eines ehemaligen Mitglieds der Baath-Partei und irakischen Armeebrigadiers zum Zivilverwalter der Provinz Basra.


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Aktualisiert am: 14.07.2003   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang