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FTD, 16. Juni 2003

Plädoyer für eine Republik

Der Verfassungsentwurf des EU-Konvents schafft die Grundlage für eine stärkere politische Beteiligung der Bürger. Nur sie können die erweiterte Union vor der Selbstblockade bewahren.

Von Stefan Collignon


Die vom Europäischen Konvent erarbeitete Verfassung wird die EU fundamental verändern. Die Weichen für ein handlungsfähigeres und demokratischeres Europa sind gestellt, aber es wird sich erst noch zeigen müssen, ob und mit welchem Tempo der Zug in die vorgegebene Richtung fährt. Vor zweieinhalb Jahren war der europäische Einigungsprozess in Nizza fast entgleist. Jetzt bietet sich eine vielleicht letzte Chance, Europas Handlungsfähigkeit und seine demokratische Legitimität zu sichern. Europas Bürger müssen sich dazu mobilisieren.

Es ist höchste Zeit, denn Europa steht vor riesigen Herausforderungen. Mit zehn neuen Mitgliedsländern wird die EU unregierbar. Wirtschaftlich, politisch und sozial nehmen die Differenzen zu. Die Spieltheorie zeigt, dass sich die Komplexität von Verhandlungslösungen zwischen autonomen Regierungen mit jedem neuen Mitglied verdoppelt. Ohne stärkere Institutionen verkäme die EU rasch zu den Vereinten Nationen Europas.


Europa muss aber handlungsfähig bleiben, wenn es sich in der Welt behaupten will. Die Vorstellung, dass europäische Kleinstaaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien (von Bayern ganz zu schweigen) mit kaum einem Prozent der Weltbevölkerung noch Einfluss ausüben könnten, ist aberwitzig. Europa braucht eine einheitliche Regierung, die den Willen und die Interessen ihrer Bürger zu Hause und international durchsetzen kann.

Die alten Methoden, Europa zu regieren, funktionieren nicht mehr. Das Zusammenspiel von zwischenstaatlicher Kooperation und Gemeinschaftsinstitutionen war die Grundlage der Integration. Ihr Erfolg hat zugleich politische Sekundäreffekte geschaffen, die mit staatlicher Zusammenarbeit allein nicht mehr zu bewältigen sind. Die Theorie der kollektiven Handlung zeigt, dass große Gruppen unfähig werden, öffentliche Güter in ausreichendem Maße bereitzustellen. Europa braucht deshalb Institutionen, die die Lücke füllen. Nicht Subsidiarität, sondern Zentralisierung ist die richtige Antwort. Das geht nicht ohne ein Mehr an Demokratie. Die Bürger blieben bisher in Europa außen vor. Paternalistisches Wohlfahrtsdenken der Regierungen ersetzte demokratisches Engagement. Bürokratische Überregulierung und politische Blockade sind die zwei Seiten einer Münze, die ständig an Wert verliert. Demokratische Legitimität ist aber unabdingbar für eine handlungsfähige Union.

Auch der nun vorgelegte Verfassungsentwurf bietet keine perfekte Lösung für alle Probleme. Er schafft jedoch ein Rahmenwerk, in dem die Stärkung der europäischen Demokratie zu einem Konsens der Bürger über ganz Europa betreffende politische Fragen beitragen kann: Erstmals werden Bürger und Staaten gleichberechtigt als Souverän definiert. Die Europäische Kommission wird als Exekutivorgan anerkannt, das dem Parlament gegenüber verantwortlich ist. Der Europäische Rat, das Herrenhaus der Regierungen, darf nicht eigenständig Gesetze erlassen. Der Zuständigkeitsbereich des Parlaments wird auf 40 neue Felder erweitert. Das erlaubt den Bürgern eine größere Kontrolle der Gesetzgebung. Volksbegehren ermöglichen den Bürgern direkte Einflussnahme auf die europäische Politik.
In welcher Verfassung Europa sich in 10 oder 50 Jahren befinden wird, hängt davon ab, wie die Verfassungsregeln mit Leben gefüllt werden. Wird sich das Parlament das Recht nehmen, nur Kommissionspräsidenten zu wählen, die sich auf ein Bürgervotum in Wahlen stützen können, oder wird es sich vom Vorschlagsrecht des Rates bevormunden lassen? Die Verfassung lässt beides zu.

In einigen Bereichen ist Handlungsfähigkeit noch immer nicht gewährleistet, so zum Beispiel in der Außenpolitik oder der Wirtschaftspolitik, wo nationale Vetorechte weiter bestehen. Gerade im Euro-Raum sollte die makroökonomische Stabilisierungspolitik auf europäischer Ebene bestimmt werden. Jedoch hüten die Regierungen diese Domäne wie ihren Augapfel. In einer stärkeren europäischen Demokratie könnten die Krücken des Stabilitätspaktes durch effizientere Methoden ersetzt werden.

Eine gelebte europäische Verfassung erfordert das Engagement der Bürger für ihre gemeinsame Sache, für ihre Res publica. Deshalb ist wichtig, wie die Verfassung ratifiziert werden wird. Ein gesamteuropäisches Referendum am Tag der Europawahl wäre elegant. Ist dies, wie in Deutschland, in einigen Ländern prinzipiell nicht möglich, wäre eine symbolische Volksbefragung denkbar, die die Parlamente bei ihrer Ratifizierung berücksichtigen. In Deutschland könnten die Regierungen der Länder immerhin regionale Volksabstimmungen durchführen und daran ihr Votum im Bundesrat binden. Und wenn ein Referendum scheitert? Dann sollte man die betroffenen Länder wie ausscheidende EU-Mitglieder behandeln, während die anderen weiterschreiten zur Europäischen Republik.


  Publikation

Stefan Collignon:
The European Republic -
Reflections on the Political Economy of a Future European Constitution
, London 2003
 
           
© 1998-2004 - Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) - Ludwig-Maximilians-Universität München
Aktualisiert am: 24.06.2003   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang