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Internationale
Politik, März 2003
Eine Allianz für Amerika?Die NATO nach Prag Von Wolfgang Bücherl
Für die Führung der Supermacht Amerika hat sich mit den Terroranschlägen vom September 2001 die Bedrohungswahrnehmung substanziell verändert. International agierende Terroristen, Massenvernichtungswaffen im Besitz antiamerikanischer Regime und eine potenzielle Zusammenarbeit der "Schurken" gelten der amerikanischen Regierung heute als die größte Bedrohung der Nation und der Welt. Außerdem erhielt nach dem Trauma des 11. Septembers die Maxime von der nationalen Handlungsfreiheit Amerikas weiteren Auftrieb. Sie wird zusätzlich bestärkt von der Gewissheit einer nie dagewesenen militärtechnischen Überlegenheit gegenüber dem Rest der Welt. Verbündete haben vor diesem Hintergrund nur noch dann einen Mehrwert, wenn sie willens und in der Lage sind, Amerika in seiner Sicherheitspolitik vor allem politisch zu unterstützen. Darüber hinaus können sie mittels ihres Militärpotenzials mithelfen, einzelne Lücken bei den Amerikanern zu schließen. Diesen beiden Determinanten - einer neuen Bedrohungsperzeption und einer "Bündnispolitik á la carte" - entsprechend, sollte der Prager Gipfel im Dezember vergangenen Jahres zum "kritischen Wendepunkt" der Allianz werden. Mit seiner seit dem 11. September wiederholt an die Welt gerichteten Forderung, dass es im Kampf gegen den Terror keine neutrale Position geben könne, stellte Präsident Bush den NATO-Partnern die Gretchenfrage des Bündnisses: Wie haltet ihr's mit Amerika? Testfall IrakIn Prag gab die NATO eine Erklärung zu Irak ab, die sich zwar inhaltlich stark an die UN-Resolution 1441 anlehnte und eine Unterstützungserklärung für die amerikanische Position hinsichtlich der Notwendigkeit einer Militäraktion vermied. Die Relevanz des Dokuments für die Amerikaner erschließt sich jedoch erst im Zusammenhang mit der Erklärung zum Prager Gipfel. Indem in beiden Erklärungen terroristische Angriffe und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen als einzig konkrete Bedrohung genannt werden, akzeptiert das Bündnis die Wahrnehmung der Amerikaner als seine kollektive Bedrohungsperzeption. In dieser Konsequenz spielen regionale Krisen, die im Strategischen Konzept von 1999 zuvorderst als Bedrohungen nordatlantischer Sicherheit genannt werden, heute eine eher untergeordnetete Rolle. In der Folge des Prager Gipfels wird der Irak nun zum Testfall für
die strategische Ausrichtung der NATO. Indem die USA ein Beistandsgesuch
eingebrachten, konfrontierten sie ihre Partner mit der Wahl, die NATO
in die amerikanische Strategie gegen neue Bedrohungen einzufügen,
oder sich gegen die Vereinigten Staaten zu entscheiden. Die Auseinandersetzungen
unter den Europäern bestätigen, dass diese sich in diesem Punkt
alles andere als einig sind. Die Ergebnisse der vor diesem Hintergrund lancierten Initiativen tragen zwar eine amerikanische Handschrift, lassen aber auch Raum für europäische Interessen. Die Liste der Entwicklungs- und Beschaffungsziele der "Prager Verpflichtung für Potentiale" (PCC) genügt nicht nur amerikanischen Prioritäten, sie deckt sich auch weitgehend mit der Wunschliste der Europäer für ihre Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Die neue Reaktionsstreitmacht der NATO (NRF) entspricht zwar amerikanischen Vorstellungen, doch könnte sie auch ein stumpfes Schwert für die Amerikaner werden, wenn einzelne europäische Staaten ihre Zustimmung zu ihrem Einsatz verweigern. Wichtiger für die Transformation der NATO gemäß amerikanischer Interessenlage dürfte hingegen die in Prag beschlossene Transformation der Kommandostrukturen werden. Das "Alliierte Kommando Transformation" (ACT), das das Supreme Allied Command Atlantic (SACLANT) in Virginia ablösen soll, wird schon aufgrund seiner Verknüpfung mit dem United States Joint Forces Command (USJFCOM) und seiner richtungsweisenden Aufgabenstellung den Amerikanern die Möglichkeit geben, zukunftsweisende Entscheidungen bei der Weiterentwicklung des Bündnisses zu beeinflussen. Neue NATO - neues EuropaMit der Einladung an die baltischen Staaten, die Slowakei, Slowenien, Rumänien und Bulgarien, der NATO beizutreten, kommt Europa nicht nur der Vision näher, ein geeinter Kontinent zu werden, in Freiheit und Frieden lebt. Die Amerikaner sehen sowohl in den Mitgliedern Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik als auch in den sieben Kandidaten zuverlässige Partner für ihren Kampf gegen neue Bedrohungen. Den Amerikanern geht es vor allem um politische Unterstützung. Ob
in Fragen der Raketenabwehr oder gegenwärtig zu Irak - die Staaten
Mittel- und Osteuropas waren stets bereit, sich mit der amerikanischen
Bedrohungsanalyse zu identifizieren und die Politik Washingtons offener
und bedingungsloser zu unterstützen als viele in Westeuropa. Donald
Rumsfelds Bemerkung von den neuen Europäern, welche im Gegensatz
zum "alten Europa" die Zeichen der Zeit erkannt hätten,
"belohnte" förmlich die Staaten Mittel- und Osteuropas. Insgesamt stehen diese Staaten und die USA gegenwärtig in einer
symbiotischen Beziehung: Polen, die Tschechische Republik und Ungarn sowie
die NATO-Beitrittskandidaten betrachten die USA - und nicht die EU - als
Garanten für ihre territoriale Sicherheit. Umgekehrt sind sie für
die Amerikaner ein politisch stabilisierendes Element im Kampf gegen den
Terrorismus. Sie gewährleisten den bündnispolitischen Mehrwert
für die USA. Indem sich das Gravitationszentrum der NATO nach Osten
verschiebt, wird die Zahl der Staaten, die Amerikas Wahrnehmung teilen
und seine Bündnispolitik unterstützen, wachsen. Mit der Osterweiterung
wird die NATO nicht nur "osteuropäischer", sondern auch
ein Stück weit "amerikanischer". Eine amerikanische Zukunft für die NATO?Haben die Amerikaner in Prag die NATO nach ihren Vorstellungen verändert? Die Vorgabe aus Washington, wonach die NATO sich der neuen Bedrohungslage anpassen müsse, um für die USA relevant zu bleiben, hat den Transformationsdruck verstärkt. Die NATO war immer nur in dem Maße bedeutsam, in dem sie von den Amerikanern mitgetragen wurde. Mit Prag ist der seit Anfang der neunziger Jahre andauernde Wandlungsprozess in die entscheidende Phase getreten, denn der wichtigste und größte Bündnispartner hatte im Vorfeld des Gipfels gezeigt, dass er auch mit einer bedeutungslosen Allianz leben könnte. Eine ganze Reihe von wichtigen Entscheidungen, die auf dem Gipfel getroffen
wurden, weisen das Bündnis in eine neue Richtung und kommen amerikanischen
Interessen entgegen. So hat der Prager Gipfel nicht nur der neuen Bedrohungswahrnehmung
zwischen New York und San Francisco entsprochen, er hat auch die Basis
für eine strategische Weiterentwicklung der NATO geschaffen: Über
kurz oder lang könnte Prag als Grundlage für eine Neuinterpretation
des stategischen Konzepts dienen. Die Amerikaner haben also der NATO in Prag ihren Stempel aufgedrückt.
Für die Allianz wurde ein "amerikanischer" Rahmen gezimmert,
der sowohl umfassende politische Rückendeckung für Amerika,
als auch eine materielle Unterstützung in einzelnen Nischenbereichen
zulässt. Trotz der jüngsten Vereinbarung zwischen EU und NATO über den
Zugang der Europäischen Union zu Logistik und Planungskapazitäten
des Bündnisses bleiben im beiderseitigen Verhältnis noch einige
Fragen offen, insbesondere was die "Arbeitsteilung" zwischen
einer NATO-Reaktionsstreitmacht und der Schnellen Eingreiftruppe der EU
betrifft. Die Amerikaner argumentieren, eine NRF sei als Kampftruppe komplementär
zur EU-Eingreiftruppe, da letztere nur für humanitäre Aufgaben
und friedenserhaltende Missionen vorgesehen sei. Es bleibt abzuwarten,
ob die Europäer bereit sind, dieser nicht den Petersberg-Aufgaben
entsprechenden Festlegung zu folgen. |