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Europäische
Zeitung, Februar 2003
Keine Hinterzimmerdiplomatie
Der Verfassungskonvent vor dem Endspurt
Von Franziska
Hagedorn
Der Konvent ist nach der Weihnachtspause in seine entscheidende Phase
getreten. Denn nun wird um Konsens in den eigentlichen Machtfragen gerungen.
Hierbei geht es vor allem um die Frage der Präsidentschaft der Europäischen
Union und um das Gleichgewicht zwischen den Institutionen. Nach den Worten
seines Präsidenten, Valéry Giscard d'Estaing, steckt der Konvent
mitten im Studium der verschiedenen Vorschläge. Um rechtzeitig ans
Ziel zu gelangen, muss der Konvent nun aber einen konkreten Verfassungsentwurf
formulieren. Haben doch die Staats- und Regierungschefs in ihren Schlussfolgerungen
von Kopenhagen klargestellt, dass der Konvent im Juni 2003 in Thessaloniki
das Ergebnis seiner Arbeit vorlegen soll. So zahlreich und komplex sind
die Herausforderungen für den Konvent, dass ein klarer Fahrplan notwendig
ist, damit die Versammlung die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen
kann.
Die Aufgabe des Konvents war von Anfang an enorm: Er musste einen Ausgleich
finden zwischen den Befürwortern eines reinen Organisationsstatuts
und einem vollen Verfassungswerk, zwischen Regierungsvertretern und Parlamentariern,
zwischen Vertretern der intergouvernementalen und der gemeinschaftlichen
Ebene. Dazu kam ein umfangreicher Aufgabenkatalog, den die Regierungschefs
im Dezember 2001 in Laeken zusammengestellt hatten.
Bisher ist dieser Spagat dem Konvent gut gelungen. Die entscheidende
Frage wird nun sein, ob die Versammlung auf einen Endspurt einschwenken
kann, der sie rechtzeitig zum Ziel führt und der einen kohärenten,
klar mehrheitsfähigen Entwurf ermöglicht. Der diesjährige
Träger des Karlspreises Giscard macht Druck: Er sei nicht sicher,
ob diese schwierige Aufgabe gemeistert werden könne, ließ er
wissen. Der Beschluss zur Erweiterung im Dezember habe ihm die immense
zu leistende Arbeit und ihre außergewöhnlichen Schwierigkeiten
bewusst gemacht. Es ist jedoch nicht zu vermuten, dass der Präsident
wirklich so schwarzsieht. Vielmehr ist er ein Taktierer und muss dafür
sorgen, alle Konventsmitglieder auf eine konzentrierte letzte Phase der
Arbeit einzuschwören. Dazu sind durchaus auch einmal solche Unkenrufe
geeignet.
Der Konvent hat gute Voraussetzungen, den Zeitplan einzuhalten. Bereits
Ende Oktober hat das Präsidium ein Gerüst einer Verfassung vorgelegt,
das die Zielrichtung klar macht und nun mit Inhalten gefüllt werden
muss. Valéry Giscard d'Estaing hat erkennen lassen, wie die Zeitplanung
aussehen soll: Im Januar oder Februar sollen die ersten Artikel zu den
Zielen, Werten und Kompetenzen der Union ausgearbeitet werden. Es folgen
die Artikel zu den Verfahren und Mitteln zur Umsetzung der Unionspolitik,
die in etwa bis März diskutiert werden müssen. In den darauf
folgenden Monaten sollen dann in einem letzten Kraftakt die Artikel über
die Institutionen, die Unionszugehörigkeit und das Handeln der Union
in der Welt formuliert werden.
Parallel zu diesen Debatten muss der Konvent eine komplexe, juristische
Arbeit erledigen: Die Artikel zur Durchführung der einzelnen Politiken
sollen den Reformbedürfnissen angepasst werden und mit dem ersten,
grundlegenden Verfassungsteil in Einklang gebracht werden. Dazu muss Klarheit
darüber herrschen, welche Artikel unverändert bleiben, welche
modifiziert und hinzugefügt werden müssen, und welche überflüssig
werden.
Diese Meilensteine weisen in die richtige Richtung. Dennoch gilt es noch
einige Defizite zu überwinden, damit der Konvent in den Endspurt
gehen kann. Der Fahrplan für die nächsten Schritte sollte weiter
konkretisiert werden, damit Konventsmitglieder rechtzeitig eigene Texte
über die verschiedenen Teile des Verfassungsvertrages vorlegen können.
Denkbar wäre darüber hinaus, die Textentwürfe in Arbeitsgruppen
prüfen zu lassen. Wichtig wäre dann ein ständiger, enger
Austausch zwischen dem koordinierenden Präsidium und den jeweiligen
Gruppen, um einen kohärenten Text zu erreichen.
Als ein Nachteil könnte sich herausstellen, dass die Fragen nach
den institutionellen Reformen und der Präsidentschaft der Union nur
im Plenum diskutiert werden sollen. Dies sind die Kernfragen, die die
Befürworter der gemeinschaftlichen Ebene in Opposition zu denjenigen
bringen, die den Einfluss der Mitgliedstaaten stärken wollen. Es
ist fraglich, ob sich solche komplexen Probleme in Drei-Minuten-Beiträgen
lösen lassen. Kritiker befürchten, dass das Präsidium versucht,
unter dem sich abzeichnenden Zeitdruck zuviel Einfluss auszuüben.
Dies ist vor allem deshalb problematisch, da die einzige Erfolgsgarantie
für den Konvent ein Vorschlag ist, der von einer breiten Mehrheit
getragen wird. Es müssen also Parlamentarier und Regierungsvertreter
gleichermaßen eingebunden werden, um die Akzeptanz des Endergebnisses
sicherzustellen.
Bleibt noch die Frage, wann ein erster Gesamtentwurf vorliegen kann.
Wäre ein solcher Entwurf bald erhältlich, könnte sich die
Öffentlichkeit ein klareres Bild machen, wohin die Reise gehen soll.
Das Präsidium scheint jedoch zu befürchten, dass eine frühe
Veröffentlichung eines Gesamttextes Gefahren birgt. Einerseits könnte
eine frühe, öffentlichkeitswirksame Ablehnung des Entwurfs die
Dynamik des Konvents ins Stocken bringen; andererseits könnten die
nationalen Regierungen versuchen, den Entwurf frühzeitig zu beeinflussen.
Die neuesten Initiativen der deutschen und französischen Regierungen
weisen bereits in diese Richtung. Der von Giscard favorisierte Ansatz,
den Entwurf Stück für Stück zu füllen, soll die Aufmerksamkeit
bis zuletzt auf den Konvent lenken. Damit setzt sich der Konvent jedoch
dem Verdacht aus, er imitiere die Gipfel der Staats- und Regierungschefs,
auf denen oft in letzter Minute hinter verschlossenen Türen die entscheidenden
Fragen geklärt werden.
Der Konvent muss nun noch einmal einen Sprung nach vorne machen. Er muss
beweisen, ob er den Spagat zwischen Transparenz und Effizienz bewältigen
kann. Das viel beschworene, offene Konventsprinzip ohne Hinterzimmerdiplomatie
ermöglicht es den Konventsmitgliedern für ihre Vorstellungen
zu werben, bevor die Regierungskonferenz zusammentritt. Dennoch scheinen
im Moment die vielen Einzelvorschläge den Weg zum Ziel zu verstellen.
Hier sind Strukturierung, ein klarer Zeitplan und viel Vermittlungsarbeit
vonnöten. Dies ist die Aufgabe des Präsidiums. Es sollte sich
darauf konzentrieren, dem Konvent auf seiner letzten Wegstrecke die Bahn
zu ebnen. Gelingt dies, dann ist Valéry Giscard d'Estaing ein Platz
in den Geschichtsbüchern sicher.
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Link
Webdossier zum EU-Konvent
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