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Danas Belgrad, 14. Januar 2002

Ein regionaler Verhandlungsprozess

Der Vorschlag des Strategiepapiers der Bertelsmann Stiftung über einen regionalen "Verhandlungsprozess" für den Balkan ist nicht die Unabhängigkeit des Kosovo und Montenegros.

Von Dragan Bisenic


Anstelle eines neuen Daytons, würde ein "Verhandlungsprozess" eingeleitet werden, der alle Staaten, entstanden auf dem Territorium der ehemaligen SBRJ, umfaßt. Vor den Verhandlungen wären alle teilnehmenden Länder verpflichtet, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichten, die Ergebnisse des Verhandlungsprozesses zu respektieren. Vorgeschlagen wird ein einheitliches Visa-Regime und die Koordination in außenpolitischen Fragen in internationalen Organisationen. Die wichtigste Empfehlung ist, daß es seitens der Länder dieser Region und Europas keine Entscheidung über den Status von Kosovo gibt. Vor allem müßte ein regionaler Verhandlungsprozeß beginnen, der alle involvierten Akteure umfasst und die regionalen Streitfragen behandelt. Das sind nur einige der Beurteilungen/Analysen und Empfehlungen aus dem aktuellen Strategiepapier des Centrum für Angewandte Politikforschung der Bertelsmann Stiftung über den Kosovo. Es sprechen viele Gründe dafür, diese Empfehlungen als die Einleitung einer konkreteren Politik der Europäischen Union bzw. anderer Regierungen gegenüber unserer Region zu betrachten. In den Kreisen der Politiker und Balkanexperten bestehen schon seit längerer Zeit zwei Optionen. Eine Option wäre, das Problem auf einer neuen "Dayton Konferenz" zu lösen, in der letztendlich all jenen die Unabhängigkeit gewährt wird, die sie erlangen können, und in der das Prinzip der Grenzveränderungen akzeptiert wird. Dieser Vorschlag wurde vor kurzem vom britischen Lord Owen unterbreitet. Er impliziert ein unabhängiges Montenegro und ein unabhängiges Kosovo und sicherlich das Ende Bosnien-Herzegowinas. Der zweite Vorschlag geht davon aus, daß man das Problem nach dem Muster des Helsinki Prozesses lösen könnte. Während die erste Idee ziemlich deutlich erscheint, ist die zweite recht nebulös, weil in dieser Region zahlreiche Konfliktfragen bestehen, so daß es schwer fällt, sich solch einen Prozeß vorzustellen. Gerade das "Strategiepapier" der Bertelsmann Stiftung stellt dar, wie denn solch ein Prozeß implementiert werden müßte, und es ist bislang das einzig bekannte Dokument, das sich im Detail mit dieser Frage beschäftigt.

Integration des Balkans und Konsens

Das Konzept des Stabilitätspaktes wurde anfangs in Vorschlägen dieses Centrums angedacht, bevor es als europäisches Projekt akzeptiert wurde. Vor kurzem lancierte der deutsche Minister Joschka Fischer die Idee eines regionalen Ansatzes für die Probleme des "westlichen Balkans". Es ist nicht unrealistisch, dass er in seinem Verfahren sich gerade die Analyse aus diesem Material vor Augen halten wird, während Michael Steiner mit hoher Wahrscheinlichkeit zum neuen Leiter der UNMIK aufsteigt. Den Worten von Wim van Meurs, Koordinator des Bertelsmann Projektes, zufolge empfiehlt das in den Studien vorherrschende Konzept keinesfalls die Unabhängigkeit für den Kosovo und Montenegro, und damit auch kein Szenario der Desintegration. Erst seitdem die EU Beitrittsverhandlungen mit Rumänien und Bulgarien aufgenommen hat, erscheint der "Verhandlungsprozess" als eine Chance. Sofern die Integration dieser beiden Länder in die Union beginnt, gibt es keinen Grund mehr, weshalb die gesamte Region nicht an der "euro-atlantischen" Integration teilhaben sollte. In der Analyse wird betont, dass "die einzig realistische Option eine Diplomatie des langen Atems gekoppelt an einen Verhandlungsprozess ist". Eher auf einem "Arrangement" als auf einer "Lösung" basierend, ist regionale Stabilität jedoch die Bedingung für die euro-atlantische Integration. Ein "Arrangement" impliziert Kompromisse und Akzeptanz der Forderungen und Interessen anderer. Der jetzige Konsens in der Region über die Priorität der Integration in die "euro-atlantischen" Strukturen, vorrangig in die der EU, impliziert die Akzeptanz von "Regionalismus". Die regionale Annäherung ist im Kern des Stabilitätspaktes enthalten. Gleichzeitig schließt die Abwicklung der Nationen- und Staatenbildung jede einseitige oder zweiseitige Entscheidung aus. Der regionale Verhandlungsprozess muss so früh wie möglich einsetzen, damit er das erneute Aufkommen der "ewigen Frage" bzw. das Aufbegehren verantwortungsloser, unkooperativer Eliten verhindert. "Das ist ein großer Unterschied zu den vielen anderen, und beispielsweise zur Unabhängigen Kommission für den Kosovo. Es ist diese sogenannte Goldstone-Kommission, die entschieden hat, dass "die Albaner im Kosovo so sehr unter dem Miloševic-Regime zu leiden hatten, dass sie nun daher unabhängig sein müssten", so van Meurs. Die Ausgangsthese der Studie besagt ihm zufolge, dass der Periode der regionalen Fragmentierung und Desintegration ein breiter regionaler Konsens über die Integration in die EU als einzig denkbare Option für die Region folgt. Mit der Integration der Region wächst die Rolle der EU zusehends, und dies ist eine der Bedingungen, die es dem Gebiet erleichtert an die Integrationsprojekte heranzutreten. Das klingt alles schon etwas wie eine Phrase, denn die Praxis erwies sich trotz identischer Rhetorik als vollkommen gegensätzlich. "Was bleibt noch übrig, wenn man weitere Desintegration nicht akzeptiert?" fragt sich van Meurs. "Es bleibt das Konzept des funktionierenden Staates. Die Staaten müssen nicht nach ihrer ethnischen Homogenität oder ihrem historischen Erbe bewertet werden, sondern aufgrund ihrer Funktionalität, wie z. B. im Hinblick auf die Innenpolitik und dem Verhältnis zu den Nachbarn. Auf jeden Fall wäre es ideal, wenn die Länder in der Region eigens das Projekt der Integration führten, aber das ist nicht möglich ohne die europäische und internationale Unterstützung", fügt er hinzu.

Besondere Verpflichtungen gegenüber der BRJ

Jene, die glauben, dass Jugoslawien fern ab eines "funktionierenden Staates" ist, nehmen an, dass die völlige Unabhängigkeit Montenegros und Kosovos die Voraussetzung für eine neue "subnationale", "binationale" oder "trinationale" Integration ist. Diese Meinung ist unter den Fürsprechern der Unabhängigkeitsoption weit verbreitet. Allen Optionen voran gibt das "Strategiepapier" dem Ansatz den Vorzug, der Folgerungen über die Statusfrage vermeidet und den Beginn des Verhandlungsprozesses einleitet, welcher es ermöglicht, dass alle profitieren, statt sich in einem Spiel als "Gewinner" und "Verlierer" im Zusammenhang mit der Desintegration und Unabhängigkeit zu verstricken. Folglich würde der Kosovo kurzfristig eine "funktionale Entität" werden, die verantwortlich und fähig zu Selbstverwaltung, Marktreformen und Demokratisierung wäre. Schrittweise wird die UNMIK ihre Schlüsselrolle in den Entscheidungen begrenzen, womit auch das Problem des Status des Protektorats Kosovo reduziert wird. Die Wahlergebnisse im November und der Verfassungsrahmen vom Mai 2001 werden die Voraussetzungen für die Selbstverwaltung des Kosovo sein. Gerade deswegen ist Jugoslawien, wenn auch aus zahlreichen fiktiven Merkmalen heraus, ein existenter Staat und muss auch als ein solcher betrachtet werden. Damit der "Verhandlungsprozess" auch effektiv wäre, muss sichergestellt sein, dass eine gleich Repräsentation gegeben ist. Äusserst interessant erscheint hier, dass man in diesen Prozess alle ehemaligen Republiken der SFRJ einschließt, auch Slowenien. Aus der regionalen Perspektive betrachtet, müsste man dann auch die Albaner mit einbeziehen. Wenn die Rede ist von der BR Jugoslawien, von Montenegro und Kosovo als "nicht-unabhängige Entitäten", muss man auch die föderale Regierung und die Regierung Serbiens als Unterhändler akzeptieren. "Der Ausschluss auch nur einer dieser beiden Akteure würde den ganzen Verhandlungsprozess zunichte machen", wird im Dokument gefolgert. Es sind nur dann Ergebnisse zu erlangen, wenn alle öffentlich ihre Bereitschaft bestätigen und die Entscheidungen oder Statusfragen nicht präjudizieren. Und andererseits müssen die südslawischen Regierungen die Partner aus Podgorica und Priština als "gleiche Verhandlungsparteien, nicht aber als unabhängige Entitäten" annehmen. Diese Fragen können nicht durch ein legales Verfahren zufriedenstellend gelöst werden, da die BRJ viele ihrer Kompetenzen und ihrer früheren Staatlichkeit verloren hat. Aber gerade deswegen hat die internationale Gemeinschaft besondere Verpflichtungen gegenüber Jugoslawien in der Vermittlung zwischen den politischen Seiten. "Die Frage der Repräsentation ist vor allem eine Frage des guten Willens und nicht der juristischen Argumente", führt man in der Analyse an. In der Phase der "Vorverhandlungen" wäre auch die Unterzeichnung einer formalen Erklärung seitens der Beteiligten und aller internationalen Vermittler inbegriffen. Darin wären aufgenommen: der Verzicht auf die Anwendung von Gewalt als Mittel zur Lösung politischer Probleme; die Isolation all jener, die die Gewaltanwendung zur Erlangung und Vertretung ihrer Interessensziele propagieren; der Verzicht auf unilaterale Maßnahmen, die sich auf den Status Montenegros und Kosovos beziehen; die Anerkennung und Achtung der Interessen und Standpunkte der anderen Verhandlungsparteien als gleich und legitim; die völlige Respektierung und Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal als Basis der Verhandlungen. Die Unterzeichner würden sich ferner dazu verpflichten die Normen des Helsinki Prozesses, die grundlegenden Kriterien des Stabilitätpaktes, die Menschen- und Minderheitenrechte, die Unverletzbarkeit der Grenzen (internationale und Binnengrenzen der BRJ), und die Reformen für eine pluralistische Demokratie und eine Marktwirtschaft zu unterschreiben.

Schlüsselrolle der EU und USA

Diese Voraussetzungen für die Verhandlungen sind aufgrund des "regionalen Status quo" spezifiziert und ziehen in Betracht, dass ein transparenter Verhandlungsprozess ein Beitrag für die regionale Stabilität, wirtschaftliche Entwicklung und die regionale Zusammenarbeit wäre. Die internationalen Akteure, wie z.B. die EU und die großen europäischen Staaten, die USA und die Länder der Kontaktgruppe, würden in der Vorbereitung des gesamten Prozesses eine Schlüsselrolle spielen. Man würde über ungelöste Fragen verhandeln, die in den vergangenen 10 Jahren aus der Desintegration Jugoslawiens entstanden sind, sowie über Fragen, die direkt und untrennbar mit der Statusfrage verbunden ist, und ferner über Nicht-Statusfragen, die mit regionaler Integration und euro-atlantischer Integration zusammenhängen. Die brisanteste Frage ist die Statusfrage. Im "Strategiepapier" geht man davon aus, dass die BRJ der einzige Staat im Sinne des internationalen Rechts ist, so dass die Statusfragen des Kosovo und Montenegros als interdependent betrachtet werden. "Eine unilaterale Proklamation der Unabhängigkeit Montenegros würde das Ende der jugoslawischen Föderation bedeuten, und würde die Frage über die Zukunft Kosovos in der Serbien-Kosovo-Problematik aufwerfen. Daher stellt sich nun die Schlüsselfrage zum endgültigen Status Montenegros. Bei der Wahl im April 2001 haben die Unabhängigkeitskräfte in Montenegro mit einer knappen Mehrheit gewonnen. Der Stimmenunterschied ist so klein, dass schwer zu glauben ist, dass die Unabhängigkeitserklärung einen inneren Konsens hervorbringen wird. Die einseitige Proklamation der Unabhängigkeit wird daher zu regionalen und inneren Konflikten, sowie zur Instabilität führen", so die Folgerungen des Strategiepapiers. Statt dessen werden "ernsthafte Verhandlungen aufgrund von den zwei Plattformen" empfohlen. Im Falle Kosovos kollidieren drei Tendenzen: die politischen Führer im Kosovo akzeptieren den Status aus dem Jahr 1974 nicht, da sie die Unabhängigkeit anstreben. Dies ist aber wiederum für die serbische Seite inakzeptabel. Und die internationale Gemeinschaft ist fest entschlossen keine Grenzverschiebungen oder Gebietstausch (wie z.B. das Presevo-Tal gegen die Region Mitrovica) zu akzeptieren. Die Verhandlungen zwischen Serbien und Montenegro können deshalb ein adäquates Modell für die Kosovofrage darstellen. Die wesentliche Frage über die regionale Integration auf dem Balkan stellt sich im Bereich der Zusammenarbeit in Politikfeldern, die für die regionale Stabilität relevant sind, sowie im Bereich des Transformationsprozesses und der Erfüllung der EU- und NATO-Beitrittskriterien. "Regionale Zusammenarbeit erfordert ein transparentes Grenz- und Visaregime. Unumgänglich sind auch die Harmonisierung der Beziehungen in der Gesetzgebung, sowie der Kampf gegen die Korruption", wird in diesem Konzept hervorgehoben. Gleichermaßen wird "die Koordination der außenpolitischen Repräsentation in den relevanten internationalen Organisationen" vorgeschlagen. Ferner wird angesprochen, wie man "am besten die Ressourcen nutzt" und "den Einfluss der Region auf politische Entscheidungen in den internationalen Gremien vergrößert", denn "die Region setzt sich (lediglich) aus fünf kleinen und mittelgroßen Staaten zusammen". Dies ist das erste umfassende Konzept einer regionalen Zusammenarbeit. "Wir können nicht sagen, dass dies die Position der deutschen Regierung oder der USA ist, aber es steht mit Sicherheit fest, dass die EU und andere Regierungen unsere Ideen studieren", sagt Van Meurs.


  N e w s  &  E v e n t s

Negotiating the Balkans
Am. 22./23.08.2001 diskutierten in Berlin regionale Schlüsselakteure mit westlichen Experten über einen umfassenden Verhandlungsprozess auf dem Balkan.

 
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang