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FAZ vom 23. September 1999

Bekenntnis zu Deutschlands außenpolitischer Zuverlässigkeit

Bundeskanzler Schröder spricht bei "Fazit-Deutschland" / Kwasniewski für mehr Dynamik in Europa.


K.F. BERLIN, 22. September. Bundeskanzler Schröder (SPD) hat am Mittwoch in Berlin ein nachdrückliches Bekenntnis zur außenpolitischen Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit Deutschlands abgelegt und dies als Teil derZukunftsfähigkeit des Landes beschrieben. Deutschland sei in der Vergangenheit außenpolitisch zuverlässig, berechenbar und verantwortlich gewesen und es gebe keinen Grund, daran etwas zu ändern, sagte Schröder auf dem von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dem DeutschlandRadio Berlin und dem Centrum für angewandte Politikforschung veranstalteten Forum "Fazit-Deutschland". Der Kanzler bestritt energisch, dass es eine Krise in den deutsch-französischen Beziehungen gebe, und behauptete, sie seien "auf staatlicher Ebene erstklassig". Er machte sich dafür stark, dass sich die Europäische Union mit substanziellen Reformen ihrer Institutionen auf die Erweiterung vorbereite, und verwies darauf, dass auch für deren Gelingen deutsch-französische Gemeinsamkeiten unerlässlich seien. Ungeachtet der Serie zum Teil verheerender Niederlagen der SPD bei den zurückliegenden Landes- und Kommunalwahlen verteidigte Schröder das Zukunftsprogramm der Bundesregierung als "alternativlos". Wenn es durchgesetzt werde, könne das "Modell Deutschland" auch angesichts radikaler Veränderungen in der Zukunft Bestand haben.

Haushaltskonsolidierung und die von der Währungsunion erzwungene Ausgabendisziplin seien kein Selbstzweck. Abbau der Schulden und Ausgleich des Haushalts dienten dazu, Sozialstaatlichkeit auch künftig erhalten zu können, sagte Schröder, der eingestand, dass ihn die jüngsten Wahlniederlagen sowie die Enttäuschung und Ratlosigkeit der SPD schmerzten. Dennoch warb er nachdrücklich für die Vorschläge seiner Regierung zur Reform des Gesundheitswesens und der Alterssicherung. Er äußerte Zuversicht, dass sich am Ende auch die Union nicht gegen das Zukunftsprogramm der rot-grünen Koalition stellen werde, weil sonst "nichts mehr durchgesetzt werden" könne. In keinem anderen europäischen Land habe sich so viel aufgestaut wie in Deutschland, sagte der Bundeskanzler. Am Erfolg oder Misserfolg seines Programms werde sich zeigen, ob die Deutschen den Test der Veränderungsfähigkeit bestünden.
Zur außenpolitischen Zukunft, sagte Schröder, gehöre weiterhin die feste militärische und politische Verankerung im Atlantischen Bündnis. Die Kosovo-Krise habe gezeigt, dass an dieser Verankerung trotz gelegentlichen Widerstands in den eigenen Reihen nicht gerüttelt werde. Im übrigen habe das deutsche Engagement im Krieg gegen Serbien dem Ansehen des Landes genützt und das Vertrauen der Partner gestärkt.

Der Bundeskanzler nahm für sich in Anspruch, dass während der deutschen EU-Präsidentschaft unter dem Stichwort "Agenda 2000" grundlegende Reformen auf den Weg gebracht worden seien. Es sei gelungen die Finanzarchitektur der EU bis zum Jahr 2006 "zu zimmern" und die materielle Basis für die anstehende Ost-Erweiterung zu legen. Hätte die Bundesregierung die Verhandlungen über das Agenda-Paket scheitern lassen, wie es innenpolitische Kritiker in Deutschland im Frühjahr mehrfach gefordert hatten, dann wäre es zu einer wirtschaftlichen Krise in Europa mit "katastrophalen Folgen für den Eure" gekommen. "Das war der Grund, warum wir, wenn auch gelegentlich ungern, Kompromisse gemacht haben, die Geld kosten" verteidigte Schröder seine Politik, die er im übrigen mit dem Willen zu einer zügigen Osterweiterung verband. Knapp zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs dürften "wir es nicht zulassen, dass Europa an der deutschen Ostgrenze ökonomisch und politisch gespalten bleibt". Er lehnte es allerdings ab, Termine für einen Beitritt zu nenne. Die Termindiskussion sei vordergründig.
Es liege an den Beitrittsländern selbst, ob sie es bis zu dem von ihnen selbst ins Auge gefassten Jahr 2002 schafften, den Besitzstand der Gemeinschaft zu übernehmen, wie dies für den Beitritt erforderlich ist. Den Ländern des Balkans müsse die Perspektive der politischen und wirtschaftlichen Annäherung an Europa eröffnet werden. Auch dies sei eine Lehre aus der Kosovo-Krise.

Schröder wandte sich trotz spürbarer Skepsis und innenpolitischer Widerstände noch einmal dagegen, die Türkei zu isolieren und vom Prozess der Europäischen Einigung auszunehmen. Die Türkei dürfe nicht zur Beute von Fundamentalisten werden: deswegen brauche sie den Status eines Beitrittskandidaten. Zudem gründe Europa nicht auf einer Religion, sondern auf Werten, nämlich denen der Demokratie, der Menschenrechte, der Abwesenheit von Folter, also der Rechtsstaatlichkeit. "Die Religion der Mehrheit der Bürger eines Beitrittslandes ist nicht die entscheidende Frage", sagte Schröder, der sich freilich nicht äußerte, ob und in welchem Zeitraum die Türkei sich den europäischen Wertekatalog tatsächlich zu eigen machen werde oder könne.

Auf der Konferenz "Fazit: Deutschland", die zum ersten Mal in dem neu eröffneten Berliner Redaktionsgebäude der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stattfand, kleidete Polens Staatspräsident Kwasniewski die Zukunft der deutsch-polnischen Beziehungen in eine europäische Perspektive: "Die polnische Nato- und EU-Mitgliedschaft bedeutet für uns mehr polnisch-deutsche Kooperationschancen und demzufloge eine neue Qualität der polnisch-deutschen Partnerschaft." Zwar seien noch die aus der Vergangenheit herrührenden bilateralen Belastungen zu lösen; aber es werde höchste Zeit, sich mit der Verwirklichung der polnisch-deutschen Partnerschaft in der Perspektive der kommenden Jahrzehnte zu befassen, sagte Kwasniewski, der Deutschlands Rolle als Triebkraft der europäischen Einigung rühmte und für den Kontinent nur eine einzige realistische Zukunftsstrategie sah: "So viel Integration wie erforderlich und möglich" - und dies unter aktiver Gestaltung Deutschlands.

Der Staatspräsident warb indirekt für die Aufnahme seines Landes in die Europäische Union, indem er sich gegen das in Westeuropa verbreitete Denken wandte, welches die Erweiterung der EU ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Kosten betrachte. Von den Kosten der "Integrationsunterlassung" werde hingegen nicht gesprochen: "Westeuropa kann entweder wirtschaftliche Stabilität, soziale Gerechtigkeit und Demokratie exportieren oder aber Instabilität, Unruhe und Gewalt importieren" fügte Kwasniewski hinzu, der eine zweite Runde der Nato-Erweiterung anmahnte und gleichzeitig davor warnte, mit Blick auf die Ukraine an der Ostgrenze Polens eine neue "Festung Europa" mit einem neuen eisernen Vorhang entstehen zu lassen.

Die europäische Entwicklung müsse dynamischer verlaufen, verlangte Kwasniewski, andernfalls drohe Europa seine Position in der Welt zu verlieren. Das werde besonders dann der Fall sein, wenn Europa keine Entwicklungsimpulse von Deutschland und den jungen Reformdemokratien erhalte. Im Umzug der deutschen Staatsorgane und Behörden nach Berlin glaubt er ein wichtiges Projekt im europäischen Maßstab zu erkennen. Denn die Deutschen sagten heute ihren Nachbarn: "Wir sind vital am Erfolg des gesamten Kontinents interessiert, auch dessen Mittel- und Ostteil." Das sei eine gute Nachricht für Polen. Unter Hinweis auf den Großraum Berlin stellte Kwasniewski die Chancen grenzüberschreitender Zusammenarbeit in Wissenschaft und Bildung heraus und verband damit in Anlehnung an die Anfänge der europäischen Einigung seinen "Traum" von einer Oder-Gemeinschaft: Sie könne als Gemeinschaft von Wissenschaft, Technologie und Bildung zu einer neuen Achse der europäischen Integration werden.


   
           
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Aktualisiert am: 05.12.2002   Impressum | Design by [meteme.de]   Seite drucken | Seitenanfang